„Raus und machen – auch wenn es kalt ist“

Coach und Autor Christo Foerster hat einen Trend geprägt: kleine Ausfluchten aus dem Alltag. Oder auch mal größere, wie ein SUP-Trip von der Zugspitze nach Sylt. Ein Gespräch über den Willen zum Wagnis

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Datum: 28.11.2023
Lesezeit: 8 Minuten
Christo Foerster steht auf einem Stein (links) und auf seinem Stand-up-Paddelboard
© Jozef Kubica
Ob an Land oder auf dem Meer: Christo Foerster scheut kein Abenteuer

Von der Zugspitze bis nach Sylt mit dem Stehpaddelbrett: Christo Foerster hat ein besonderes achtwöchiges Abenteuer erlebt und darüber einen Film gedreht. Er heißt „Abenteuerland“ und erschien kürzlich auf DVD und bei diversen Streamingdiensten. Es war seine extremste, aber nicht seine erste Draußen-Reise: Regelmäßig sucht er besondere Orte rund um Hamburg, aber auch in ganz Deutschland, die er für sich oder mit seiner Familie entdeckt. Mal schläft er in seiner Hängematte in der freien Natur, mal paddelt er mit seinem Stand-up-Board drauf los. 

„Mikroabenteuer“ nennt er diese kleinen Reisen. Foerster ist 1979 geboren und studierter Sportwissenschaftler, er schreibt Bücher, hostet seinen Podcast „Frei raus“ und hält Vorträge als Coach für Unternehmen, in denen es um Motivation und – man ahnt es – Abenteuer geht. Was er auf seiner Deutschland-Reise erlebt hat und wie wir uns alle unseren Alltag aufregender gestalten können, erzählt er im Interview.

© Jozef Kubica
Unterwegs nach Norden: Wenn die Verbindung zwischen den Gewässern fehlte, lief Foerster mit seinem zusammengefalteten SUP im Wägelchen bis zum nächsten Ufer

Was lernt man, wenn man 1600 Kilometer durch Deutschland wandert und vor allem per SUP paddelt? 

Dass die Natur in Deutschland vielfältiger, wilder und schöner ist, als wir uns das meist vorstellen. Und dass man auch hier richtige Abenteuer erleben kann, kleine, aber auch große. Ich messe Abenteuer ohnehin eher daran, wie und mit welcher Haltung ich unterwegs bin, und weniger an der Anzahl der Flugmeilen, die ich dabei sammle.

Wohin genau führte die Reise? 

Die Idee war: Ich will vom Gipfelkreuz der Zugspitze zum nördlichsten Punkt Deutschlands auf Sylt, wenn möglich auf Wasserwegen. Weil ich aber den Rhein vermeiden wollte, wurde mir schnell klar, dass ich immer wieder auch kurze Abschnitte an Land zurücklegen muss. Da habe ich mein Board dann auf zwei kleinen Rollen hinter mir hergezogen. Meine Route sah so aus: in Garmisch-Partenkirchen auf die Loisach, dann in die Isar, durch München, zu Fuß an die Donau, den Main-Donau-Kanal entlang, die Regnitz runter bis Bamberg, über Land ins Thüringische Schiefergebirge, auf der Saale und der Elbe bis kurz vor Hamburg, hoch an die Ostsee und der Küste nach bis Flensburg. Von dort bin ich rüber zur Nordsee gewandert und wollte die letzte Etappe nach Sylt wieder paddeln.

Was diese Reise geprägt hat, war meine immer intensiver werdende Verbindung zur Natur um mich herum

Christo Foerster

Warum haben Sie einen Großteil des Weges mit dem SUP zurückgelegt? 

Wenn ich mir irgendwo eine halbe Stunde lang die Beine in den Bauch stehe, empfinde ich das als körperlich echt hart. Zehn Stunden an einem Tag auf dem Board zu stehen und zu paddeln, ist ein Traum. Wirklich, ich liebe das. Auf Flüssen ist meist ja sogar noch Strömung, im besten Fall in Fahrtrichtung. Dem Kanu oder Kajak habe ich das SUP deshalb vorgezogen, weil ich im Alltag schon genug sitze. Außerdem war das Board aufblasbar, ich konnte es also in der Bahn zu meinem Startpunkt an der Zugspitze transportieren. 

Was war besonders aufregend? 

Der Abstieg von der Zugspitze war gleich eine riesige Herausforderung. Meine Regel war: Ich transportiere alles, was ich für diese Reise brauche, von Anfang bis Ende aus eigener Kraft, Lebensmittel natürlich ausgenommen. Ich wollte nichts irgendwo deponieren, mir unterwegs keine Ausrüstung kaufen oder Dinge nach Hause schicken, wenn ich sie nicht mehr brauche. Deshalb stand ich unter anderem mit meinem Board am Gipfelkreuz der Zugspitze und musste insgesamt 40 Kilo Gepäck da runterschleppen. Wie ich das anstellen würde, darüber hatte ich mir im Vorfeld ganz bewusst nicht zu viele Gedanken gemacht. Ich ahnte nämlich, dass ich diese Idee dann vielleicht gleich verworfen hätte.

Klingt anstrengend … 

Das war es auch. Aber ich hatte die Hoffnung, dass es vom Eibsee, der ja unterhalb des Zugspitz-Massivs liegt, einfacher würde. Natürlich war es auch danach eine körperliche Herausforderung, aber erstens hatte ich die gewollt, und zweitens rückte sie immer weiter in den Hintergrund. 

Was rückte dafür in den Vordergrund?

Was diese Reise eigentlich geprägt hat, war meine immer intensiver werdende Verbindung zur Natur um mich herum. Ich habe 53 Nächte am Stück unter freiem Himmel geschlafen, in meiner Hängematte, das war schon sehr besonders. Und vom Wasser aus ist die Perspektive auf die Umgebung auch noch einmal eine ganz andere als vom Ufer aus. Alles, was an Land spielt, ist auf einmal weit weg.

Wie schläft es sich draußen über eine so lange Zeit? 

Als ich nach knapp acht Wochen tatsächlich auf Sylt ankam, wollte ich nicht wieder in mein Bett, so sehr hatte ich mich an die Hängematte gewöhnt. Das Geheimnis ist, sich diagonal hineinzulegen, was bei meiner Hängematte, die etwas breiter als eine normale ist, richtig gut funktioniert. Dann ist es sehr bequem, spätestens nach einer kurzen Gewöhnungsphase. Für Regen hatte ich eine dünne Plane dabei. Es war ein großartiges Gefühl von Freiheit, keinen Übernachtungsplatz vorab recherchiert zu haben, sondern einfach dort zu bleiben, wo es sich richtig anfühlte. Ich hatte nicht eine unangenehme Begegnung mit Mensch oder Tier.

© Josef Kubica
Christo Foerster und sein Premium-Schlafplatz: Schon ein knorriger Baum am Wasser kann zur gemütlichen Schlafkoje werden; ohne Zelt sind bloß Schutzgebiete und Privatgrundstücke tabu. Nur schade, dass niemand das Licht für einen ausmacht

Welche Gegend hat Sie am meisten beeindruckt? 

Die Weltenburger Enge, wo rechts und links der Donau senkrechte Felswände in den Himmel ragen, der Oberlauf der Saale im Thüringischen Schiefergebirge, der fast fjordartig oder kanadisch wirkt, und die Elbtalauen im Wendland, da grasen Pferde und Rinder direkt an der Uferkante, und ich habe jeden Tag Adler gesehen. Ost- und Nordseeküste sind natürlich auch grandios, aber die kannte ich schon ganz gut.

Braucht es diese Vergleiche wie den mit Kanada, um sich das Reisen in Deutschland schönzureden? 

Auf keinen Fall. Aber ich habe mich doch selbst dabei erwischt. Die Elbe kam mir oft wie der Mississippi vor. Wahrscheinlich steckt doch in jedem von uns ein bisschen Fernweh. Wenn du dann aber merkst, dass es in deiner Heimat teilweise genauso schön ist wie in Kanada, Skandinavien oder sonstwo, dass du nicht mehr träumen musst, sondern einfach nur losziehen, dann ist das ja eine unglaublich wertvolle Erkenntnis.

© Josef Kubica
Foerster beim Paddeln, Paddeln, Paddeln. Das Besondere: der Blick vom Wasser auf die Natur.

Sie haben den Begriff Mikroabenteuer mitgeprägt. Wie sind Sie zu diesen kleinen Alltagsfluchten gekommen? 

Vor sechs Jahren habe ich mit einem alten Freund aus Berlin telefoniert. Ich war in einer Phase, in der die großen Abenteuer erstmal gemacht schienen. Ich war Vater von zwei Kindern, selbstständig, konnte und wollte gerade gar nicht ständig weg sein, spürte aber immer noch eine Sehnsucht nach Abenteuern. Als das Gespräch zu Ende ging und wir beim üblichen „Wir müssen uns mal wieder sehen” waren, fragte ich ihn aus dem Bauch heraus, ob er am nächsten Morgen Zeit für ein Frühstück am Brandenburger Tor hätte. Die hatte er, wir machten den Termin fest, und ich meinte: „Ich komme mit dem Rad.“ Nachdem wir aufgelegt hatten, gab ich „Brandenburger Tor” in meine Navigations-App ein und wählte die Option „Fahrrad”. Von meiner Haustür in Hamburg waren das 320 Kilometer. Ich hatte keine Ahnung, ob ich das schaffen würde, zumal ich erst am Nachmittag aufbrechen konnte und ewig nicht weiter als 20 Kilometer am Stück gefahren war. 

… und?

Ich hatte ein gutes Rad und genug Enthusiasmus. Ich fuhr die ganze Nacht, ohne auch nur eine Minute zu schlafen. Es war März und in der Nacht um die null Grad. Ich hatte nur eine recht dünne Jacke an, aber das war ganz hilfreich, denn immer wenn ich anhielt, wurde mir kalt. Also fuhr ich weiter. Am nächsten Morgen erreichte ich mit etwas Verspätung tatsächlich das Brandenburger Tor, extrem müde und fertig, aber auch stolz und zufrieden. Wir frühstückten und dann stieg ich am Berliner Hauptbahnhof mit meinem Rad in den nächsten Zug zurück nach Hamburg. Genau 24 Stunden nachdem ich aufgebrochen war, stand ich wieder vor meiner Haustür. Und da habe ich gewusst, dass ich auf gar nichts warten muss, um ein Abenteuer zu erleben. Von diesem Tag an habe ich regelmäßig Mikroabenteuer in meinen Alltag eingebaut.

Das Abenteuer kommt oft zu kurz, weil wir meinen, keine Zeit, nicht genug Geld oder nicht die nötigen Skills dafür zu haben

Christo Foerster

Was bringen uns Mikroabenteuer?

Ich glaube, dass die Lust auf das Entdecken, auf Ungewissheit und Herausforderungen genauso in uns verankert ist wie der Wunsch nach Sicherheit und die Bequemlichkeit. Aber das Abenteuer kommt oft zu kurz, weil wir meinen, keine Zeit, nicht genug Geld oder nicht die nötigen Skills dafür zu haben. 

Wie kommt man aus diesem Gedanken heraus?

Die Idee der Mikroabenteuer reißt die ganze Ausreden-Struktur, die wir so haben, komplett ein, indem sie fragt: Bist du wirklich Abenteurer oder Abenteurerin, oder tust du nur so? Wenn du es ernst meinst, dann kannst du heute aufbrechen, vor deiner Haustür, und je simpler deine Ausrüstung, je weniger du durchplanst, desto schneller bist du drin im Abenteuer. Ich habe irgendwann mal das Motto „Raus und machen” formuliert. Wenn du das beherzigst, wird es zur Haltung, und du wirst vielleicht auch in anderen Lebensbereichen weniger träumen und mehr machen. Letztlich sind große Abenteuer und Reisen oft ja auch eine Flucht aus dem Alltag. Mit Mikroabenteuern können wir dagegen unseren Alltag verändern, und das ist vielleicht sogar wertvoller. Mikroabenteuer führen uns natürlich auch nach draußen, und jede Stunde in der Natur ist eine gute Stunde. Sie können an positive Erinnerungen aus der Kindheit andocken und sie lassen uns wachsen.

© Torsten Kollmer; Christo Foerster
Ob beim Schlafen und Kochen (l.) oder Baden (r.) im Eis: Foerster kennt keine Angst vor Kälte

Brauchen wir dafür Natur direkt vor der Tür? 

Nein, Outdoor muss nicht immer wilde Natur bedeuten. Auch im urbanen Raum lassen sich tolle Mikroabenteuer erleben. Schon wenn ich mit dem Fahrrad eine Woche lang jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit fahre, kann das neue Perspektiven auf eine vermeintlich gewohnte Umgebung aufzeigen. Ich kann auch eine komplette S-Bahn-Linie abwandern oder Weihnachtspost zu Fuß austragen. Abenteuer, ob klein oder groß, sind ohnehin individuell. Sie haben mit dem Verlassen der persönlichen Komfortzone zu tun. Wo die endet, kann niemand wissen, außer man selbst.

Im Herbst und Winter fällt es uns besonders schwer, aus unseren warmen, trockenen Wohnungen herauszukommen. Wie motivieren wir uns für Mikroabenteuer in der kalten Jahreszeit? 

Einer der größten Vorteile von Herbst und Winter ist: Draußen ist weniger los, zumindest wenn wir nicht gerade in ein Skigebiet wollen. Außerdem ist die dunklere Zeit des Jahres eine wunderbare Möglichkeit, ehrlich mit sich selbst zu sein. Jetzt zeigt sich: Bin ich wirklich ein Abenteurer oder eine Abenteurerin oder schreibe ich mir das nur auf die Fahne? 
 

© Josef Kubica
Foerster braucht nicht viel für sein Lager: Anders als bei Wildcamping darf man seine Hängematte überall aufhängen, wo es gerade beliebt

Was können kleine Abenteuer sein?

Wir können im Winter gut beginnen, einen Naturspot in unserer Umgebung regelmäßig aufzusuchen und ihn aufmerksam zu scannen. Tun wir es das ganze Jahr über, bekommen wir ein neues Gespür für die Veränderung und die Vorgänge in der Natur im Lauf der Jahreszeiten. Ich liebe auch das Eisbaden. In einer Ecke unseres kleinen Gartens steht seit einigen Jahren sogar eine ausrangierte Badewanne mit kaltem Wasser. Dafür sollten wir aber gesund sein und am besten eine Begleitperson dabeihaben.

Für die Mutigen: Wie sieht es mit Übernachtungen unter freiem Himmel aus? 

Das ist im Winter vor allem eine Frage der Ausrüstung. Wichtig ist bei der Wahl des Schlafsacks immer, sich am angegebenen Komfortbereich zu orientieren, nicht an den Grenzwerten. Da sollte man sich auf jeden Fall beraten lassen oder erfahrene Freunde fragen, bevor man sich in einem dünnen Discounter-Schlafsack einen abfriert. Was im Winter natürlich nervt, ist nachts zum Pinkeln aus dem Schlafsack zu kriechen. Aber ich kann nur raten, nicht darauf zu warten, dass ein solches Bedürfnis wieder verschwindet, das tut es nämlich selten. 

© Luke Foerster
Draußen zu Hause: Der nächste Ort, um im Herbst und Winter draußen zu übernachten, kann der eigene Balkon oder eine Terrasse sein. Der Vorteil: Die Familie – jedenfalls die von Christo Foerster – serviert morgens Kaffee

Und wie stehen Sie zum Thema Smartphone unterwegs?

Ich hab’s meist im Flugmodus und nur für den Notfall dabei. Das Ding sorgt doch maßgeblich dafür, dass es kaum noch Ungewissheit gibt in unserem Leben. Wir können ständig und überall auf alle möglichen Informationen zugreifen, was auch dazu führt, dass weniger Raum für Abenteuerliches da ist. 
 

Christo Foersters Tipps für kleine Ausflüge auf oder am Wasser entlang seiner Abenteuerland-Route

Der Donaudurchbruch an der Weltenburger Enge: Zwischen Bad Vohburg und Kelheim ist die Donau noch besonders schön und ruhig, ab Kelheim ist sie dann Bundeswasserstraße. Gut per Bahn und Donauradweg erreichbar.

Der Oberlauf der Saale im Thüringischen Schiefergebirge: Hier gibt es an den bewaldeten Hängen viele versteckte Zugänge zum Wasser.

Die Elbauen im Wendland: Die einzigartige Tier- und vor allem auch Vogelwelt lässt sich zu Fuß oder mit dem Rad erleben – der Elberadweg lädt ebenfalls zu einer längeren Tour an Land ein.

Ostseeküste: Die Steilküsten sind perfekt für ausgedehnte Erkundungstouren, auf der dänischen Seite der Flensburger Förde verläuft mit dem Gendarmenstien ein herrlicher Wanderweg.

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