Ein Haus von allen für alle

Social-Business-Hotels arbeiten mit Menschen, die andernorts ausgeschlossen werden, etwa Geflüchteten oder Menschen mit Behinderung. Das „einsmehr“ in Augsburg zeigt: eine super Idee. Ein Interview

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Datum: 15.02.2024
Lesezeit: 5 Minuten
Hotellobby: Sofas, Sessel, eine Bildergalerie auf blauer Wand
© Martin Beck
Alle willkommen: Das „einsmehr“ lebt Inklusion. 50 Prozent der Mitarbeiter:innen haben eine Behinderung, das Hotel ist barrierefrei gebaut. Die Fotowand in der Lobby zeigt Bilder von der Region und von jungen Menschen – mit oder ohne Down-Syndrom

Social Business – zwei Begriffe, die auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen. Doch schon der bangladeschische Wirtschaftswissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ist überzeugt, dass Wirtschaft soziale oder ökologische Probleme lösen kann. Das Grundprinzip: Gewinne werden nicht weitergegeben, sondern direkt in das Sozialunternehmen selbst oder aber in karitative Zwecke investiert. Social Businesses wollen dabei entweder ein gesellschaftliches Problem lösen oder aber Spenden generieren.

Sandra und Raúl Huerga Kanzler leiten das inklusive Hotel „einsmehr“ in Augsburg, ein Sozialunternehmen, in dem zu 50 Prozent Menschen mit einer geistigen Behinderung arbeiten. Das Hotel ging aus dem Verein „einsmehr“ hervor, einer Initiative für Down-Syndrom, die Hilfestellung gibt, aber auch informiert und an Inklusion arbeitet.

© Martin Beck
Sandra Huerga Kanzler hat viel Erfahrung in der Hotelbranche – eine Voraussetzung für den Erfolg eines inklusiven Geschäftsmodells

Sandra Huerga Kanzler hat vorher 4- oder 5-Sterne-Häuser geleitet. DB MOBIL berichtet sie über den Alltag und die Herausforderungen ihres Berufs und erklärt, warum Social-Business-Hotels ein gutes Zukunftsmodell sind.

Was hören Sie am liebsten von Gästen beim Auschecken?

Wir freuen uns am meisten, wenn Gäste sagen, dass sie gar nicht gemerkt haben, dass sie in einem Inklusionshotel übernachtet haben. Sondern dass es einfach schön gewesen ist bei uns, dass der Service gut war, dass die Mitarbeiter freundlich waren und dass sie sich wohlgefühlt haben. Denn genau das bedeutet schließlich Inklusion: Selbstverständlichkeit.

Buchen viele Gäste das Hotel, weil es inklusiv ist?

Nein, 90 Prozent der Gäste wissen vorab gar nicht, dass sie ein Inklusionshotel gebucht haben. Die suchen ein Zimmer, weil sie zu einer Tagung wollen oder Angehörige in der nahegelegenen Uniklinik besuchen. Auf den üblichen Buchungsseiten steht kein besonderer Hinweis. Ein paar Firmen buchen uns gezielt, auch, weil wir neben sozialer auch ökologische Nachhaltigkeit leben und Greensign-zertifiziert sind. (Anm. der Redaktion: Das Greensign-Zertifikat ist ein vom Globalen Rat für nachhaltigen Tourismus GSTC anerkanntes Siegel, das Hotels nachhaltiges Bestreben u. a. in den Bereichen Umwelt, Mobilität und soziale Nachhaltigkeit bescheinigt.)

Inklusion soll einfach geschehen, nicht groß erklärt werden. Bieten Sie trotzdem ausführliche Infos zu Ihrem Konzept an?

Nein, der Aufenthalt soll für sich sprechen. Es liegt ein Flyer vom Embrace-Verbund aus, unter dem inklusive Hotels zusammengefasst sind. Manchmal fragen Gäste auch detailliert nach oder bitten uns, Vorträge in ihren Unternehmen zu halten.

© Martin Beck
Modern und geräumig: Die Hotelzimmer im „einsmehr“ machen gute Laune – und haben breite Wege

Sie haben eine eigene Ausbildung für Menschen mit geistiger Behinderung ins Leben gerufen. Wie sieht sie aus?

Wir bilden die Menschen zum „Hotelpraktiker“ aus. Es gibt keine theoretische Abschlussprüfung, weil manche nicht gut lesen oder schreiben können, aber ansonsten gleicht die Ausbildung der in der Berufsschule. Bei uns lernen alle Auszubildenden zum Beispiel auch, wie man Bettlaken faltet, damit sie sich überall anders bewerben können, wo diese Fähigkeiten gefordert sind. Den größten Teil der Zeit verbringen die Auszubildenden auch in Hotelbetrieben aus der Region.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit hier zu früher?

Der einzige Unterschied ist die Bürokratie: Ich habe regelmäßig Kontakt mit dem Inklusions- oder Integrationsamt. Wir haben zum Beispiel eine Auszubildende, die jetzt im dritten Jahr ist. Laut Behindertenkonvention hätte sie einfach so die Berufsschule besuchen können, aber die Schule bestand dann doch auf eine medizinische Assistenz. Da musste ich mir die Frage stellen: Wer engagiert sie, wer bezahlt sie, wo wird sie angemeldet? Ansonsten habe ich als Hoteldirektorin schon immer tagtäglich mit verschiedenen Typen von Menschen zu tun gehabt. Solange ich mit allen auf Augenhöhe kommuniziere, klappt es bestens.

Jetzt mal ehrlich: Wie schwierig ist es, ein sozial und ökologisch nachhaltiges Hotel zu führen?

Natürlich kämpfen wir – wie alle anderen – mit steigenden Preisen, gerade Lebensmittel und die Wäsche sind viel teurer als noch vor zwei Jahren. Gleichzeitig können wir nicht einfach die Zimmerpreise dementsprechend anpassen, da reagieren Hotelgäste sehr sensibel. Immerhin zahlen wir als GmbH auch weiterhin sieben Prozent Mehrwertsteuer. Man muss schon selbst engagiert sein und gut vernetzt mit Kollegen. Vor allem aber kommt es auf ein harmonisches Team an, auf Menschen, die sozial engagiert sind und Lust haben auf den Job. Die nicht bloß für den Verdienst hier sind. Und die unser Konzept gleichzeitig ernst nehmen.

Warum ist das wichtig?

Wir machen ja kein Ehrenamt, sondern verdienen unser Geld damit. Einfach mal so ein inklusives Hotel zu eröffnen, klappt auch selten. Man braucht einen roten Faden – und viel Erfahrung.

© Hotel Eismehr
Frisch gebacken: Im Hotel „einsmehr“ setzt man auf regionale, saisonale Küche und macht viel selbst

Sind Social-Business-Hotels ein Modell für die Zukunft?

Kurzfristig müssen sich zunächst die verkrusteten Strukturen der Branche lösen. Außerdem herrschen viele Vorurteile über die Arbeit mit beeinträchtigten Menschen vor. Dabei ist der einzige Unterschied: Ihnen stehen fünf Tage mehr Urlaub zu. Langfristig ist ein ähnliches Modell wie unseres wahrscheinlich ein Muss.

Wieso?

Das Hotelgewerbe kann Menschen mit Beeinträchtigungen nicht weiter ausschließen, weder als Gäste noch als potenzielle Mitarbeitende. Denn oft möchten diese Menschen gerne arbeiten und sind sehr geeignet für Gästekontakt, weil sie meist die Empathie haben, die es braucht. Gleichzeitig gibt es viele junge Menschen, die den Job in ihrer jetzigen Form nicht mehr machen wollen. Mit einem inklusiven Betrieb schafft man oft ein ganz anderes Betriebsklima, eine andere Wertschätzung füreinander, die allen gut tut. Vielleicht kann man damit Mitarbeitende für den Beruf zurückgewinnen.

Was wünschen Sie sich außerdem?

Mehr inklusive 4- und 5-Sterne-Häuser. Inklusion kann in jedem Hoteltyp funktionieren.

© Magdas Hotel/BWM/Architekten/Severin-Wurnig
Auch das „madgas“-Hotel in Wien überzeugt mit hübschem Vintage-Interieur, viele der Mitarbeiter:innen haben einen Fluchthintergrund

Social-Business-Hotels in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Magdas in Wien: Ein gemütliches Hotel mit Upcycling-Möbeln und Wärme (oder Kühle) aus Geothermie, viel vegetarischer und veganer Küche sowie einem Team aus Mitarbeiter:innen, die allesamt eine Fluchtgeschichte haben. Es gibt auch barrierefreie Zimmer. Das „magdas“ bildet Lehrlinge aus.

Dasbreitehotel in Basel: In dem schlichten Schweizer Designhotel am Rhein arbeiten Menschen mit Invalidenrente oder Behinderungen.

Villa Viva in Hamburg: Im Hotel des Social Business Viva con Agua, das normalerweise Mineralwasser verkauft, fließen 40 Prozent der Gewinne in die Arbeit von Viva con Agua, Brunnen in aller Welt zu bauen. Das Hotel selbst wurde mit CO2-armem Beton und teils recyceltem Aluminium gebaut, Boden und Wände haben sichtbaren Estrich, um möglichst wenige Emissionen zu erzeugen.

Hotel Seeloge in Eutin: Modernes Hotel im nordischen Design am Eutiner See im Naturpark Holsteinische Schweiz, in dem viel regionales Holz verbaut wurde. Es gibt eine Sauna und einen Fitnessraum sowie ein Restaurant. Das Haus ist ein Inklusionsbetrieb und barrierefrei.

Weitere Inklusionshotels finden Sie bei Embrace Hotels, einem Verbund barrierefreier und inklusiver Gasthäuser.

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