Wie Caspar Plautz den Viktualienmarkt aufmischt

Auf dem traditionsreichen Terrain verleihen zwei Entrepreneure der Knolle ungeahnte Coolness. Warum weckt die Kartoffel starke Gefühle? Wie viel Moderne verträgt der Viktualienmarkt? Ein Interview

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Datum: 28.12.2023
Lesezeit: 5 Minuten
Ein Mann sitzt vor einer Auslage mit Kartoffeln, einer steht davor, einer steht dahinter.
© Tanja Kernweiß
Präsentieren seit sechs Jahren die Vielfalt der Kartoffel auf dem Münchner Viktualienmarkt: Gründer Dominik Klier (l.) und Theo Lindinger (M.) sowie Koch Kay Uwe Hoppe (r.)

Wer von euch ist denn Caspar Plautz? Bekommen Dominik Klier und Theo Lindinger regelmäßig zu hören. Doch der Namensgeber des kleinen Imbisses auf dem Münchner Viktualienmarkt hat nichts mit den Gründern zu tun.

Caspar Plautz war ein Benediktinerabt, der schon Anfang des 17. Jahrhunderts ein Kochbuch über Kartoffeln schrieb, als die Knollen gerade neu in Europa auf den Tisch kamen. Kartoffelpioniere unter sich also.

Gut 400 Jahre später verkaufen Klier und Lindinger rund 100 verschiedene, meist alte Sorten Kartoffeln an ihrem Stand auf dem Viktualienmarkt. Dazu bieten sie saisonale Mittagsgerichte an, Ofenkartoffeln mit Salbei-Mascarpone-Creme und Maronen etwa, mit Fior di Latte, Fisch vom Starnberger See, Wirsing-Creme oder Szechuan-Tofu. DB MOBIL hätte da noch ein paar Fragen. Dominik Klier antwortet stellvertretend für das Team „Caspar Plautz“.
 

Wieviel Lust auf Kartoffeln haben Sie noch, Herr Klier?

Dominik Klier: Sehr viel, würde ich sagen. Ich esse immer noch mehrmals die Woche welche, entwickle Rezepte und habe über die Jahre viel mehr Wissen angesammelt, Landwirte kennengelernt, war bei der Ernte dabei. Inzwischen können wir zum Teil mitentscheiden, welche Sorten angebaut werden.

Verbindet Sie etwas Besonderes mit der Knolle?

Mit Kartoffeln assoziieren viele zunächst etwas Langweiliges oder Altbackenes, die deutsche Kartoffel eben. Mich hat aber überrascht, wie viele eine emotionale Verbindung zu dem Gemüse haben. Sie erinnern sich an die Kartoffelpuffer ihrer Kindheit, den Sack Sieglinde, den Oma im Keller liegen hatte oder die Pommes im Schwimmbad. Bei mir gab es damals einmal pro Woche Schupfnudeln, die habe ich zusammen mit der Mama gerollt und sehr geliebt. Wir haben immer die gleichen Kartoffeln aus dem Gemüseladen um die Ecke gekauft. Ich mache sie bis heute, inzwischen für meinen kleinen Sohn.

© Sima Deghani
Kartoffel undercover: Unter der üppigen Füllung – in diesem Fall Hühnchen, Cranberry Sauce, Gurkensalat – versteckt sich ein Erdapfel

Wie man überhaupt als junger Mensch zu einem Stand auf dem traditionellen und altehrwürdigen Viktualienmarkt kommt? Indem man einen Schlüssel in die Hand gedrückt bekommt, lautet die Kurzversion. Klier und Lindinger kamen gerade von einem Festival in Frankreich, wo sie ein Wochenende lang für mehrere hundert Menschen gekocht hatten. Dabei sind die beiden eigentlich Goldschmied (Klier) und Soziologe (Lindinger). 

Trotzdem träumten sie an diesem Morgen auf dem Viktualienmarkt kaffeeschlürfend davon, ihre Leidenschaft fürs Kochen zum Beruf zu machen. Am selben Morgen trafen sie einen Bekannten, DJ und Inhaber eines Standes für Kartoffeln im Abschnitt 3 auf dem Viktualienmarkt, der einen Nachfolger suchte, Bandscheibenvorfall, stehen und Kälte sind Gift. Klier und Lindinger sahen ihre Chance. Ganz ohne Bürokratie ging es natürlich nicht: Sechs Monate hat die Übernahme am Ende trotzdem gedauert.

Der Rest ist allerdings Geschichte, die vor sechs Jahren unter einer gelb-weiß-gestreiften Markise ihres Standes begann. Dabei gibt es sonst ein monatelanges und aufwändiges Bewerbungsverfahren um die beliebten Stände.

Der Viktualienmarkt ist schon ein eigener Mikrokosmos

Dominik Klier, Inhaber Caspar Plautz

Wie haben denn die anderen Verkäufer:innen auf dem Viktualienmarkt auf Sie reagiert?

Es war kein leichter Start. Der Viktualienmarkt ist schon ein eigener Mikrokosmos, die einzelnen Abteilungen noch mehr. Wir mussten erst einmal verstehen, welche Verbindungen und Freundschaften es zwischen den Ständen gibt. Und dann gibt es so genannte Zuweisungen von der Stadt, also ein Regelwerk: Wir dürfen zum Beispiel keine rohen Zwiebeln verkaufen, sondern wirklich nur Kartoffeln, und auch keine Pommes anbieten. Wenn andere das Gefühl haben, die einen dürfen mehr als die anderen, gibt es schnell Neid, das mussten auch wir erfahren. Dabei haben wir uns genau daran gehalten, was unsere Zuweisung besagt. Dazu kommt: Wir hatten recht früh Erfolg und dann haben sich andere Stände über uns beschwert. Und gleichzeitig dachten einige: Da kommen so zwei Studenten und meinen, sie machen was Besonderes. Mal gucken, ob sie überhaupt den ersten Winter durchstehen.

Wie haben Sie sich eingefunden?

Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass wir möglichst viele unserer Nachbar:innen mit einbinden in unser tägliches Geschäft und teilhaben lassen. Wir kaufen bis heute alles Biogemüse für unseren Salat sowie Blumen bei unseren Nachbarn. Unseren Kaffee trinken wir immer beim Kaffeestand, auch unser Käse stammt vom Viktualienmarkt. Außerdem haben wir von Anfang an versucht, offen zu sein und nachbarschaftlich und cool. Irgendwann bekamen wir dann ein Feedback, dass wir eine Bereicherung sind für unsere Abteilung. Das hat uns sehr gefreut.

© Tanja Kernweiß
Klein, aber oho: In der Küche des Standes auf dem Viktualienmarkt bereiten Dominik Klier (r.) und Theo Lindinger (M.) sowie Koch Kay Uwe Hoppe kreative Kartoffelgerichte zu

Welche Relevanz hat der Viktualienmarkt heute noch für München?

Der Markt ist absolut wichtig, einen täglichen Markt unter freiem Himmel gibt es ja in kaum einer anderen Stadt. Durch die strenge Regulierung bleibt seine Struktur auch erhalten, es gibt immer noch zahlreiche Obst- und Gemüsestände, statt viel Saft und Pommes wie zum Beispiel auf dem Naschmarkt in Wien. Aber trotzdem hatte der Markt lange den Ruf, alt und teuer zu sein.

Und, stimmt das?

Bis vor ein paar Jahren kannte ich keine jungen Leute, die hier einkaufen. Seitdem wir angefangen haben, findet so langsam ein Generationenwechsel statt. Mette Gür, der bei uns gekocht hat, hat nun einen Mezze- und Weinstand eröffnet; Lea Zapf eine Marktpatisserie, und das zieht auch Jüngere an. Ich hoffe, dass die Stadt noch mehr neuen Konzepten Raum gibt. Wir setzen uns dafür ein, dass der Markt noch mehr zu einem wichtigen öffentlichen Raum in der Stadt wird. Wir würden gerne gemeinsam Sommerfeste feiern, Tische oder Bierbänke für alle aufstellen und noch mehr untereinander zusammenarbeiten.

Was klappt nicht so richtig?

Man muss immer noch für viele Ideen einen Antrag stellen, selbst für einen größeren Schirm. Wenn der Antrag dann Wochen später bearbeitet wird, braucht man ihn gar nicht mehr. Wir wollten auch einen Kräutergarten anlegen und das Dach begrünen, dürfen wir aber leider nicht.

Sie arbeiten viel mit anderen Gastronom:innen zusammen. Jede Woche gibt es eine Kartoffel der Woche, kreiert von Gastköch:innen aus München. Wie blicken Sie auf die Gastroszene in München? 

Es sind einige tolle Leute dazugekommen, die auch mutige Konzepte ausprobieren und nicht auf Nummer sicher gehen und den nächsten Burger-Laden eröffnen, was hier schon eine größere Sache ist, einfach, weil die Mieten so hoch sind. Aber einige verlassen auch immer noch die Stadt und gehen lieber nach Berlin.

Dominik Kliers liebste Gastro-Orte in München
Bingo Bistro: zeitgeistiges Bistro mit nachhaltigen Gerichten 
Bar Garçon: Bietet nur Spirituosen aus Europa an, viel Wermuth und Naturweine
Der Dantler: lockeres und bezahlbares Fine Dining aus regionalen Zutaten. Mittags Dreigangmenüs, abends fünf Gänge
Café Faber: Besonderer Kaffee, wechselnde Tagesgerichte., selbstgebackenes Sauerteigbrot und pochierte Eier zum Frühstück 
 

Wie reagieren Münchner:innen auf Neues?

Offener, als man denkt. Ich sehe das an unseren Kund:innen, die immer wieder unsere neuen Kreationen bestellen. Aber wenn hier ein neuer Laden aufmacht, bekommt der auch eine Riesenaufmerksamkeit. In Berlin wären wir vermutlich nie aufgefallen mit unserem Konzept.

Was haben Sie gelernt durch Caspar Plautz?

Wie viele talentierte Köch:innen es in München gibt. Und dass man auch als Kartoffelstand politisch sein kann. Wir können mit unseren Verkäufen und Wünschen an die Produzenten nachhaltigere Landwirtschaft mitprägen, beziehungsweise die Rückkehr alter Sorten fordern. Und werden ernst genommen in unseren Wünschen. Inzwischen kommen sogar Bauern zu uns und sagen: Wegen euch pflanze ich nun alte Sorten an.

Inzwischen kann man in Deutschland auch Süßkartoffeln anbauen

Dominik Klier

Und über München?

Dass die Menschen bereit sind, Neues auszuprobieren und viel vegetarisch und vegan essen, wenn es ihnen angeboten wird. Außerdem, wie treu die Leute sind und wie viel Wertschätzung sie einem entgegenbringen können.

Bemerken Sie an Ihren Kartoffeln eigentlich die Veränderung des Klimas?

Ja, viel häufiger bleiben die Kartoffeln jetzt klein oder schießen viel zu schnell und bilden dann Hohlkörper in der Frucht oder schmecken nicht mehr. Inzwischen kann man in Deutschland auch Süßkartoffeln anbauen, das war vor einige Zeit noch nicht möglich.

Die anderen Marktständler:innen haben ja anfangs geunkt: Nach dem ersten Winter geben sie auf. Hand aufs Herz: Wie sehr setzt Ihnen die Kälte noch zu?

Gar nicht. Wir sind mit diversen langen Unterhosen und Westen ausgestattet, dass es wirklich gut geht. Ich war nie krank in den bisherigen sechs Jahren. Vielleicht hilft das ständige Draußen-Rumstehen sogar?

„Caspar Plautz“ hat dienstags bis sonntags von 8 bis 17 Uhr geöffnet.

Anreise: Vom Hauptbahnhof in München mit der S-Bahn zum Marienplatz. Es halten dort sämtliche Bahnen, die in Ost-West-Richtung fahren.

Loblied auf die Knolle: Das Kochbuch 
„Caspar Plautz – Rezepte mit Kartoffeln“ ist als gedruckte Huldigung des Erdapfels zu verstehen. Lindinger und Klier präsentieren gemeinsam mit Koch Kay Uwe Hoppe eine Auswahl besonderer Rezepte, nach Jahreszeiten sortiert, die mal Erinnerungen wecken, mal modern interpretiert sind und immer Lust aufs Nachkochen machen. Außerdem gibt es eine kleine Entstehungsgeschichte sowie Einblicke in den Alltag von Caspar Plautz und eine ausführliche Warenkunde mit Infos über verschiedene Sorten.

Verlag Antje Kunstmann, 30 Euro

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