Wie unsere Autorin die Kunst des Rodelns lernte

DB MOBIL-Reporterin Maria Timtschenko hielt Schlittenfahren für eine Kinderdisziplin unter den Wintervergnügen. Bis sie sechs alpine Rodelstrecken in vier Tagen hinabsauste. Und dabei viel Neues lernte

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Datum: 19.12.2023
Lesezeit: 9 Minuten
Autorin Maria Timtschenko steht mit einem Schlitten im Schnee im Gebiet Wilder Kaiser
So weit die Kufen tragen: DB MOBIL-Autorin Maria Timtschenko vor dem Start ihrer Rodel-Exkursion durch Österreich

Zuletzt hatte ich als Kind auf einem Schlitten gesessen. Rodeln, das hieß damals, mit den Nachbarskindern einen Hügel zwischen den Häusern erklimmen, drei Minuten hinauflaufen und dann acht Sekunden herunterrutschen. Es musste nicht immer ein Schlitten sein, ein Plastikteller oder eine Tüte reichten uns. Um zu bremsen, ließ ich mich in den Schnee plumpsen oder fuhr in den nächsten Busch. Hier und da trug ich ein paar blaue Flecken und Kratzer davon. Aber Rodeln – das war eigentlich Kinderkram.

So denke ich noch, als ich mit Marianne Treichl, meiner Rodellehrerin, am Anfängerhügel vom Wilden Kaiser in Tirol stehe. Auf einem Hang mit kaum merklicher Neigung nehme ich Rodelstunden. Eine Kleinkindparade aus dick eingepackten Michelinmännchen auf Skiern gleitet im Schneepflug an mir vorbei, während mir Marianne die Kurventechnik erklärt. Die Grundregeln des Rodelns sind tatsächlich nicht schwer. Will man in perfekter Grundhaltung fahren, sollte man sich zurücklehnen, die Schlittenkordel wie Zügel eines Pferdes in beiden Händen halten und die Beine gerade abheben. So sitzt man besonders aerodynamisch und bricht sich kein Bein, wie es denjenigen passieren kann, die ihre Füße unten auf die Kufen stellen.

Statt Snowboarden oder Skifahren testete unsere Autorin das Rodeln. Ein beliebtes Gebiet ist die Region Wilder Kaiser (Foto rechts), wo man die Hänge auf insgesamt zwölf Kilometern hinunterfahren kann

Wenn man nach rechts fahren will, verlagert man das Gewicht dorthin, stellt den rechten Fuß ganz auf und streckt zusätzlich die rechte Hand nach hinten aus, die dann leicht über den Boden gleitet und den Schlitten ebenfalls lenkt. Hier stellt sich eine eigenartige Gehirnverschränkung in mir ein. Was eigentlich logisch sein müsste – rechts lenken bedeutet rechtes Bein aufstellen –, passt in meinem Kopf nicht zusammen. Das liegt vor allem an meiner Wasseraffinität. Paddelt man im Kanu vermehrt auf der rechten Seite, driftet man nach links ab. Wenn man sich beim Katamaranfahren links halten will, muss man die Pinne nach rechts stellen. Die jahrelang antrainierte Rechts-links-Umkehr muss sich nun beim Rodeln wieder neutralisieren.

Die erste richtige Abfahrt am Wilden Kaiser nennt sich Hexenritt, das vor allem wegen der vielen Kuhlen, die sich durch das stundenlange Befahren am Ende eines Tages in den Schnee gefräst haben – und die die Wirbelsäule erschüttern lassen, wenn man über sie hinweg holpert. Marianne hat mich in eine gelbe Warnweste gesteckt. Die Schulklasse, die mit uns am Gipfel startet, beäugt mich wegen dieser Kleidung mitleidig. Bloß weg hier. Ich bringe meinen Schlitten schnell in Fahrt. Gerade und steil ist der erste Teil der Abfahrt. Immer wieder düse ich an anderen Rodler:innen auf der viel befahrenen Strecke vorbei. Ein gutes Gefühl. Ein Olympiasieger wie Schorsch Hackl wäre stolz auf mich. Ich schneide zwei enge Kurven, krache dabei fast in Marianne, die dort extra auf mich gewartet hat. „Sorry, sorry“, rufe ich ihr zu und schlittere weiter. Ein paar Dutzend Meter später hat mich die 52-Jährige wieder eingeholt, und ich sehe ihre Pudelmütze an mir vorbeiflattern.

In den nächsten Tagen will ich fünf weitere Rodelstrecken im gesamten Alpenraum erkunden. Denn während mir meine Freund:innen seit Jahren erzählen, wie sie beim Skifahren oder Snowboarden immer besser werden, wie sie abseits der Pisten im Tiefschnee ebenso sicher carven wie im Funpark am schwarzen Hang zu hohen Sprüngen ansetzen, bin ich kaum über den Anfängerstatus hinausgekommen.

Beliebt: Der Hexenritt am Wilden Kaiser schüttelt einen ordentlich durch. Rechts: Rodellehrerin Marianne Treichl im Panoramarestaurant Bergkaiser

Rodeln, dachte ich mir, das kann ich. Kann doch jeder. „Das denken vermutlich viele Leute. Aber alle paar Wochen gibt es hier auf der Piste einen Unfall“, erzählt Marianne. „Besonders Leute, die mit selbstgebastelten Schlitten fahren, ohne Helm oder angetrunken sind, haben öfter mal einen Zusammenprall.“ Vier Tage in der Woche bietet sie einen kostenlosen Rodelkurs an, genutzt wird er kaum. Vielleicht haben sich auch deshalb in der Wintersaison  2021/2022insgesamt 194 Menschen beim Rodeln in Österreich verletzt, zwei sogar tödlich.  Die Statistik findet also ganz und gar nicht, dass Rodeln Kinderkram sei. Ein Helm gehört bei diesem Wintersport mittlerweile ebenso zur Standardausrüstung wie auf der Skipiste. Und wer schlau ist, kauft sich vor der ersten Rutschpartie ein paar Stulpen, der Schnee kraucht einem sonst die Beine hoch, das wird kalt, nass und verdirbt einem den Spaß.

Der Fahrtwind pustet mir den Schweiß von der Stirn

Am nächsten Morgen treffe ich mich mit Elisa Thöni in Pfunds. Sie ist 29 Jahre alt und stammt aus dem Dorf mit 2500 Einwohner:innen im Tiroler Oberland. Wie viele Kinder aus dem Ort hat sie früher an zahlreichen Rodelrennen teilgenommen. „Wir waren nach Alter und Geschlecht getrennt und mussten die Bahn so schnell wie möglich hinunterrasen. Der Gewinner bekam einen Pokal“, erzählt Elisa. Wir laufen zu einem Wanderweg in Tschey, der auch als Rodelbahn dient. Im Gegensatz zu allen übrigen Strecken, die ich besuche, ist der Start nicht mit einer Gondel erreichbar. Etwa eine Stunde laufe ich den Berg hinauf und schaffe einen Kilometer. Die Sonne brennt mir ins Gesicht, der Schnee reflektiert. Ohne Sonnenbrille wird mir schummrig vom gleißenden Licht, ich schwitze. Schade wegen der Kufen, aber den Schlitten trage ich auf keinen Fall. Als ich mich schließlich auf ihn setze und losfahre, ist es so, wie Mutti früher immer gesagt hat: ohne Fleiß kein Preis.

Weiße Weide in Pfunds: Was im Sommer grünt, ist jetzt von dickem Schnee bedeckt und eignet sich gut zum Schlittenfahren

Der Fahrtwind pustet mir den Schweiß von der Stirn, er scheint die rechte Belohnung dafür zu sein, dass ich mich hier hochgearbeitet habe. Es ist früh, der Schnee ist noch präpariert, fast ein bisschen zu eisig. Ich düse abwärts, meine erste Rodelbahn ohne gelbe Warnweste. In einer Kurve bricht der Rodel ein wenig nach hinten aus, ich schlittere, drohe umzukippen und fange mich wieder. Adrenalin. Glücksgefühle. Whuuhuuu. Aus Spaß schreie ich: „Bahn frei, Kartoffelbrei!“, obwohl da gar keiner ist, der die Bahn frei machen müsste. Rodeln – das ist kalkulierbares Risiko. Das, was es so spaßig macht, ist der eine Moment des Kontrollverlusts; die Schrecksekunde, in der man einen Tick zu schnell fährt für das eigene Gefühl, in der der Schlitten die Kurve nicht ganz auf der Bahn nimmt, die man für ihn vorgesehen hat. Denn das ist es doch, was so viele heutzutage wollen. Mal wieder die Kontrolle verlieren. Aber nicht zu viel. Sich dann auch wieder stoppen, aufsetzen, das Heft zurück in die Hand nehmen, die Schlittenzügel wieder fester halten.

An jeder Talstation habe ich bisher einen Schlitten ausgeliehen. Auf ihnen prangte stets ein Name: „Kathrein“. Christoph Kathrein ist Rodelhersteller in vierter Generation. 15.000 bis 20.000 Schlitten produziert er pro Jahr in seiner Manufaktur im Tiroler Oberland und beliefert damit den Alpenraum in Österreich und Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien. Manche schickt der 35-Jährige auch nach Skandinavien, Übersee, Pakistan und in die Türkei. Seine Rodel sind aus Eschenholz, das aus nachhaltiger Forstwirtschaft der Region stammt. Das hat sich über die Jahre als besonders belastbar und gleichzeitig elastisch erwiesen. „Im Gegensatz zu Plastik oder Metall ist es schön anzufassen und gibt die kalten Temperaturen nicht an den Rodler weiter“, sagt er.

Von Rodelbahn zu Rodelbahn werde ich sicherer

Bespannt werden die Sitze mit einem Stoff aus Polyestergewebe. Seine Mutter Renate tackert den Stoff mit 1,6 Zentimeter langen Klammern an den Schlitten. Bei der Firma Kathrein werden Modelle aller Art hergestellt – vom Familienrodel mit einer mittleren Kufenneigung von 15 Grad bis zu professionellen Rennrodeln, die tiefergelegt werden, um die Windschnittigkeit zu verbessern und den Schwerpunkt zu verlagern. Und die zusätzlich die maximale Neigung von 25 Grad ausreizen, die laut Rennsportregularien erlaubt ist. Der Rodel läuft auf der Innenkante, je mehr Neigung, desto höher die Kurvengeschwindigkeit, desto besser hält er auch die Spur.

Schlitten in Handarbeit: Martin Lödler montiert in Christoph Kathreins Manufaktur Stahlschienen auf die Holzkufen. Die Rodel von Kathrein sind auch im Rennsport gefragt

Dass Rodeln immer beliebter wird, spürt Christoph Kathrein an den Umsätzen: „In den vergangenen zehn Jahren ist der Verkauf stetig gestiegen“, sagt er. „Kaum ein Tourist will heutzutage noch sieben Tage lang Ski fahren. Alle wollen Abwechslung, also machen sie Skitouren, gehen Schneeschuhwandern oder Schlittenfahren.“

Am Nachmittag erreiche ich die Abfahrt in Fendels, Tirol. Start auf 1860 Meter, 4,5 Kilometer lang, maximales Gefälle 29 Prozent, Ziel auf etwa 1390 Metern. Es gibt Strecken, die sind höher gelegen, länger oder steiler, trotzdem ist diese Bahn fast ein Geheimtipp, besonders für sonnige Tage, denn sie liegt im Schatten. Auch nach der letzten Gondelfahrt ist die Strecke noch fast so gut präpariert wie am Morgen.

Von Rodelbahn zu Rodelbahn werde ich sicherer. Ein Vorteil der Rodelschule und der Erfahrung. Während der Fahrt auf der längsten Rodelbahn Deutschlands am Tegernsee – wunderschönes Talpanorama – machen mich die Schilder „Langsam“, „Achtung, Steinschlag“, „Achtung, Kurve“ wenig nervös. Ich rase die Bahn hinunter, einmal, zweimal. Dass ich schon länger nicht mehr trainiert habe, merke ich auf der Hälfte der 6,5 Kilometer langen Strecke. Mir zieht es in der Leiste, weil ich meine Beine ständig anheben muss. Das dauernde Zurücklehnen geht auf die Bauchmuskeln. Immerhin: Glaubt man verschiedenen Gesundheitsblogs, verbraucht man in einer Stunde Rodeln etwa 400 Kilokalorien.

Nur Mut: Nach einigen Rodelstrecken nimmt Autorin Timtschenko jede Kurve mit wachsender Gelassenheit. Ihr Fazit: Mit ein wenig Technik macht Rodeln richtig viel Spaß

Am letzten Tag meiner Rodeltournee kumuliert alles Gelernte auf einer 14 Kilometer langen Bahn in der Wildkogel-Arena im Salzburger Land – der längsten beleuchteten Strecke der Welt! Etwa 45 Minuten lang fahre ich dem Tal entgegen. Die Strecke verläuft nahezu waagerecht zum Hang, dadurch wird der Schlitten auf einigen Metern so langsam, dass ich absteigen und wandern muss. „Schon Rasanteres erlebt“, denkt mein unersättliches Abenteurergemüt. Wie gesagt, Schlitten fahren war in meinem Kopf immer etwas für Kinder. Als ich älter wurde, verschwand die Lust am Rodeln irgendwo zwischen Erwachsenwerden und Erwachsensein. Sie fand nun keinen Platz mehr zwischen knapp bemessenen Urlaubstagen und der Suche nach dem schönsten Urlaubsziel. Nun, jetzt weiß ich: Rodeln sollte Platz finden.

10-mal Kurven auf Kufen

Dies sind die fünf Rodelstrecken in der Alpenregion, die unsere Autorin befahren hat:

Hexenritt, 3 km, 15 Minuten, leicht
Von Hochsöll startet die Tour auf der Hexenritt-Rodelbahn. Sie verläuft eng und kurvenreich und endet bei der Stampfangerkapelle, nahe der Talstation der Hochsöllbahn. Weitere Rodelstrecken in der Region Wilder Kaiser.

Fendels, 4,5 km, 20 Minuten, mittelschwer
Eingebettet in die Kulisse des Kaunertaler Gletschers in Tirol, verläuft die Rodelbahn kurven- und abwechslungsreich ins Tal. Weitere Strecken auf der Webseite vom Kaunertal.

Wanderweg/Rodelbahn Tschey bei Pfunds, 1,5 km, 8 Minuten, leicht
Der Wanderweg im Tiroler Hochtal Pfundser Tschey wird nicht präpariert, darf aber mit dem Schlitten befahren werden. Mehr Strecken zeigt eine Karte von Tirol.

Wallbergbahn, 6,5 km, 30 Minuten, mittelschwer
Die Rodelbahn am Wallberg in Rottach-Egern in Südbayern gehört zu den längsten und sportlichsten Strecken in Deutschland.

Rodelbahn Wildkogel, 14 km, 45 Minuten, leicht
Die weltweit längste beleuchtete Rodelbahn der Welt im Salzburger Land zieht sich vom Wildkogel hinunter nach Bramberg.

Hier sind noch weitere fünf Strecken, die DB MOBIL kältestens empfehlen kann:

Wurmberg-Rodelbahn, 1,7 km, 10 Minuten, mittelschwer bis schwer
Start ist auf dem 971 Meter hohen Wurmberg bei Baunlage im Harz. Von dort windet sich die Rodelstrecke in zum Teil steilen Passagen hinunter bis zur Talstation einer Kabinenbahn. Dort kann man sich auch einen Schlitten ausleihen. Für sanftere Abfahrten mit kleinen Kindern eignet sich die 350 Meter lange Rathaus-Skiwiese in Braunlage.

Fichtelberg-Rodelbahn, 1,8 km, 8 Minuten, mittelschwer
Die Strecke am Fichtelberg bei Oberwiesenthal in Sachsen erreicht man am schnellsten mit einer Seilschwebebahn. Vom Rodelstart auf 1200 Metern Höhe geht es in mal flachen, mal steilen Kurven durch den Fichtenwald. Nur geöffnet, wenn Skibetrieb möglich ist.  

Bremberg-Rodelbahn, 1,5 km, 8 Minuten, mittelschwer  
Neben der Strecke über den Bremberg bietet Winterberg in Nordrhein-Westfalen beschneite Hänge zum Rodeln. Auf die Berge gelangt man per Lift oder Förderband.

Imberger Horn, 3,5 km, 15 bis 20 Minuten, mittelschwer
Per Seilbahn gelangt man auf das Imberger Horn im Allgäu (1320 Meter Höhe), von wo drei Schlittenbahnen mit einer Länge von jeweils etwa drei Kilometer Länge abgehen. Leihrodel gibt es an der Talstation.

Hocheckbahn, 3 km, 15 bis 20 Minuten
Die drei Kilometer lange Rodelstrecke in Oberaudorf (Oberbayern) beginnt am Berggasthof Hocheck, den man auch zu Fuß über eine geräumte Fahrstraße erreicht. Viermal pro Woche kann man abends unter Flutlicht abfahren.

Mit der Bahn in den Schnee
Günstig zum Rodeln ins Salzburger Land oder nach Tirol – Österreichs Wintersportgebiete sind mit der Bahn gut erreichbar. Kurzstrecken, zum Beispiel von München nach Tirol, können Sie ab 19,90 € buchen.

Volles Gepäck voraus: Damit Sie die dicken Jacken und Skihosen nicht selbst in den Winterurlaub schleppen müssen, bietet die DB einen Gepäckservice an. Ab 21,90 € können Sie sich Koffer innerhalb Deutschlands von Haustür zur Haustür senden lassen. Flexibel und besonders günstig ist der Kofferversand bei Abgabe im Hermes PaketShop - für 16,90 €.

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