„Mit KI beginnt die Traumreise schon zu Hause“

Der muss es wissen: Digital-Forscher Wolfram Höpken erklärt, wie Künstliche Intelligenz unsere Art zu reisen verändert. Dazu gestaltete die DB MOBIL-Bildredaktion KI-generierte Reisetraumwelten

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Datum: 13.06.2023
Lesezeit: 10 Minuten
Eine Reisegruppe in futuristischer Umgebung.
© KI generiertes Bild/Midjourney/Sari Schildt
Bahnhof oder Reisebüro? In der KI-animierten Vorstellung der Redaktion können sich Reisende künftig an vielen Orten ein Bild von ihren Traumzielen machen

Kaum eine Technologie sorgt derzeit für mehr Furore als die Künstliche Intelligenz (KI). Sie wird diskutiert bei Anlässen wie dem Greentech-Festival oder dem bundesweiten Digitaltag (siehe Kasten unter dem Interview).

Und vielleicht begegnet Ihnen schon in den kommenden Ferien ein allzeit freundlicher digitaler Guide, der auf jede Anfrage innerhalb von Sekunden einen Restauranttipp gibt oder eine Sehenswürdigkeit erklärt. Einer der kundigsten Fachleute auf dem Gebiet erklärt DB MOBIL, wie KI dabei ist, das Reisen zu revolutionieren.

Herr Höpken, die Künstliche Intelligenz fasziniert und besorgt zugleich – wie wird sie das Reisen beeinflussen?

Es gibt bereits heute einige Anwendungen, zum Beispiel Empfehlungen für Reisen oder Tourenvorschläge, die von einer Software gesteuert sind. Aber mit den textbasierten Dialogsystemen, wie sie vor allem unter dem Namen ChatGPT bekannt geworden sind, kommt eine neue Qualität hinzu.

© Privat
Erforscht den digitalen Wandel im Tourismus: Wolfram Höpken, 57, Professor für Wirtschaftsinformatik und Leiter des Instituts für digitalen Wandel an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Was meinen Sie?

ChatGPT basiert auf einer lernenden Maschine, die unmittelbar mit dem Menschen agieren und in einen Dialog treten kann. Das eröffnet für den Tourismus viele Möglichkeiten.

Welche zum Beispiel?

Ein Chatbot kann mich bei der Suche nach einem Reiseziel unterstützen, mich über mein Urlaubsziel informieren und mich auf nahegelegene Ausflugsziele aufmerksam machen. Ich kann mir eine kleine Broschüre über den Ort, seine Geschichte und die Umgebung erstellen lassen, bis hin zu Tourenvorschlägen und Restauranttipps. Hier kommt eine ganz neue Dimension von Inspiration ins Spiel.

Wie kann das konkret aussehen? Ich plane zum Beispiel eine Reise nach Rom – wird mich schon bald ein Chatbot in den Vatikanstaat oder den Circus Maximus lotsen und mir alles vor Augen führen, während ich zu Hause am Bildschirm sitze?

Es ist vorstellbar, dass ich zum Dialog entsprechende Videoclips eingeblendet bekomme, sodass ich mir schon vor der Reise eine plastische Vorstellung von dem Urlaubsort machen kann. Dazu bedarf es allerdings vieler Daten der jeweiligen Orte. Ein Chatbot ist ein gefräßiger Roboter, der mit viel Input trainiert werden muss, damit er für die Reisenden interessante Informationen bereitstellen kann.

Welche Möglichkeiten liegen darüber hinaus in der KI?

Bisher kann man Fragen eingeben, und der Chatbot wird dazu recht allgemeine Informationen anbieten. Im nächsten Schritt sind es personalisierte Angebote, die allgemeine Infos mit den Bedürfnissen von Reisenden verlinken und daraus persönliche Empfehlungen ableiten. Die Maschine kennt Ihre Präferenzen, weiß zum Beispiel, dass Sie gern mit dem Fahrrad reisen, und zeigt ihnen Radtouren oder E-Bike-Stationen entlang der Reiseroute. Doch das ist zurzeit noch Utopie.

Wir werden uns also daran gewöhnen müssen, mit Maschinen zu kommunizieren?

Ja, in Kombination mit Sprachassistenten lässt sich kaum noch erkennen, ob dahinter eine reale Person steckt oder nicht. Am Ende geht es bei der Entscheidung für eine Reise aber auch um Vertrauen, das müssen sich die Roboter erst einmal erarbeiten.

© KI generiertes Bild/Midjourney/Sari Schildt
Voraus in die Zukunft: eine Zugreise in die Bergwelt, frei gestaltet von der DB MOBIL-Redaktion mithilfe des KI-Programms Midjourney

Nach einer Bitkom-Studie von 2021 werden 44 Prozent der Reisen online gebucht – braucht es die Berater:innen im Reisebüro künftig noch?

Man hat den Reisebüros schon öfter das Ende vorausgesagt, doch trotz der vielen Online-Buchungen ist es den Büros gelungen, mit hochwertiger Beratung Kund:innen zu binden. Auch die KI bietet ihnen Chancen, zum Beispiel, wenn die Mitarbeiter:innen einen Chatbot als Hilfsmittel nutzen. Es gibt bereits den Job des „Prompt-Workers“, das sind Spezialist:innen, die wissen, was man am Rechner eingibt, damit man vernünftige Ergebnisse erhält, das hilft auch bei der Reiseplanung. Die Berater:innen vor Ort bieten künftig den Service an, die KI-Ergebnisse auszuwerten und für die Kundschaft die relevanten Infos aufzubereiten.  

Welche weiteren Anwendungsmöglichkeiten bietet die KI über ein intelligentes Dialogsystem hinaus?

Vieles hängt künftig mit der Auswertung von Kund:innen-Daten zusammen. Es geht um das Sammeln und Interpretieren von Daten, um daraus Rückschlüsse auf das Angebot und die Preisstrategie zu ziehen.

Sie haben sich in einem Projekt an der Hochschule mit der Auswertung von Instagram-Posts zur Bodensee-Region beschäftigt. Was wollten Sie herausfinden?

Wir haben 1,5 Millionen Posts ausgewertet und verfolgt, wann Instagram-Fotos zu welchen Orten hochgeladen wurden. Daraus ergaben sich 53 Hotspots wie Museen, Kirchen oder Uferpromenaden. Wir konnten Bewegungssequenzen verfolgen und daraus ableiten, welche Städte und Sehenswürdigkeiten an einem Tag angesteuert werden. Wer zum Beispiel Lochau besucht, fährt anschließend nach Bregenz, wer sich dieses Museum ansieht, schaut auch dort vorbei. Für Tourismus-Anbieter sind das wichtige Daten, um Orte, Hotels und Restaurants in der Nähe zu bewerben.

© KI generiertes Bild/Midjourney/Sari Schildt
Wie sieht’s denn da aus? Die KI-erzeugten Bilder dienen vor allem der Stimulation und liefern noch kein realistisches Abbild einer Ferienregion

Reise-Visionen

Die Redaktion von DB MOBIL entwarf mithilfe des KI-Programms Midjourney fantastische Reiseimpressionen rund um die Themen Berge, Wald, Strand und Bahnfahren. Midjourney ist ein Programm, mit dem per Texteingabe visuelle Kunst, Bilder und Grafiken entstehen. Und die können auf kreative Art Lust auf ferne Welten machen.

Sind personalisierte Empfehlungen noch Zukunftsmusik?

Ja, denn dahinter steckt ein bisher ungelöstes Problem: Um personalisierte Vorschläge zu machen, brauchen KI-Systeme Daten – von den Nutzer:innen, aber auch von den Destinationen. Es klingt banal, aber von den meisten Regionen gibt es keine offen zugänglichen Datenbestände, in denen Sehenswürdigkeiten beschrieben oder wiederkehrende Events erfasst sind. Die Deutsche Zentrale für Tourismus entwickelt gerade eine Open-Data-Plattform, auf der deutschlandweit viele Daten gebündelt werden. Darauf ruhen große Hoffnungen für die KI.

Die KI kann Reiseinspiration liefern und zielgerichtete Angebote unterstützen – kann sie auch helfen, den Tourismus nachhaltiger und effektiver zu gestalten?

Das ist eine berechtigte Hoffnung. Angefangen bei Vorschlägen zur Reise mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wie Bus, Bahn oder dem Leihrad bis hin zu Empfehlungen, mit denen Reisende Staus umgehen, können intelligente Systeme viel bewirken. Zum Beispiel können Besucher:innen von Einrichtungen einen Hinweis per Smartphone bekommen, wie lang die Schlange oder die Wartezeit vor einer Sehenswürdigkeit ist und wo sie gerade eher kurz ist. Erste Anwendungen dazu gab es in Venedig, wo Kamerabilder und Mobilfunkdaten gesammelt wurden, um Besucherströme in der Stadt zu lenken. Denkbar für die Zukunft sind auch automatisierte Preissysteme, die je nach Auslastung flexible Preise einstellen. 

© KI generiertes Bild/Midjourney/Sari Schildt
Mainhatten Transfer: So sieht eine Reise durch Frankfurt in einem KI-inspirierten Foto aus

Sie gehörten zu den Expert:innen, die im Bundestag über die Chancen der KI für den Tourismus gesprochen haben – wird KI die Branche einschneidend verändern?

Sie ist schon dabei. Die digitalen Angebote werden intelligenter, und damit wird der Nutzen für die Konsument:innen größer. KI rüttelt die Branche gerade durch. Im Bundestag habe ich dafür plädiert, die Chancen zu sehen. Beim Thema Online-Buchungen hat die Branche in Deutschland erlebt, dass internationale Plattformen wie Booking.com das Geschäftsfeld besetzten. Das sollte sich bei der KI nicht wiederholen. Die Touristiker:innen müssen nicht zu IT-Fachleuten werden, aber sie sollten die neuen Möglichkeiten zu nutzen lernen. Nur abwarten ist keine Option.

Was rollt da beim Reisen in den nächsten Jahren auf uns zu?

Die Maschinen werden schlauer. Für mich als Kunde hat das den Vorteil, dass ich künftig viel genauer weiß, wohin die Reise geht und was mich dort erwartet. So gleite ich vielleicht mit der Bahn durch eine schöne Landschaft, ohne mich zu bewegen. Eine mit Videos und Animationen erweiterte Darstellung kann vorab Fernweh auslösen, mit der KI beginnt die Traumreise schon zu Hause. Tatsächlich wird die Annäherung an ferne Welten vor dem Bildschirm immer realistischer, aber das große Reisemotiv kann keine KI ersetzen: die Sehnsucht, vor Ort etwas zu erleben.

Künstliche Intelligenz zum Kennenlernen

Und jetzt alle
Beim Digitaltag 2023 am 16. Juni sind alle Bürger:innen im Land eingeladen, an Workshops und Infoveranstaltungen teilzunehmen. Im Mittelpunkt stehen verschiedene digitale Anwendungen, vom Coding-Workshop bis zur digitalen Stadtrally. Ein Thema ist auch die Funktionsweise von KI, zu der Workshops in mehreren Städten angeboten werden. Eine Übersicht über die verschiedenen Veranstaltungen finden Sie auf der Aktionslandkarte für den Digitaltag 2023.  

Festival der Ideen
Kann die KI helfen, den Klimawandel aufzuhalten? Das ist eine der zentralen Fragen, denen sich das Greentech Festival im ehemaligen Flughafen Berlin-Tegel (14. bis 16. Juni) widmet. So geht es auf einer Diskussion am 15.6. mit Beteiligung Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger um die Frage: "Will new tech and AI and save us before it's too late?“ (“Werden uns neue Technologie und Künstliche Intelligenz retten, bevor es zu spät ist?”).

Am selben Tag diskutiert ein Forum auf dem Greentech Festival, welche Rolle Nachhaltigkeit bei den KI-Anwendungen spielt – auf der gleichen Webseite auf DEEPDIVE STAGE klicken.

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