Wo Deutschland wild ist – 5 Orte, an denen die Natur das Sagen hat

Die Wildnis ruft – aber ist heute noch etwas von ihr übrig? Gibt es unberührte Natur in Deutschland und wenn ja, wo? Wir zeigen die schönsten und wildesten Flecken des Landes und wie Sie sie naturschonend erkunden können.

Von:
Lesezeit: 5 Minuten
© Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an „Wildnis“ denken? Womöglich das dichte Grün tropischer Dschungel, in dem sich bunte Pfeilgiftfrösche und anderes gefährliches Getier versteckt. Oder denken Sie an einen Löwen, der im hohen Gras der Steppe auf seine Beute lauert? Vielleicht kommt Ihnen aber auch die Natur des Nordens in den Sinn, wo große haarige Biester wie Eisbären und Elche hausen.

Es sind Bilder, die wir aus Dokumentationen, Spielfilmen und Abenteuerromanen kennen. In wirklicher Wildnis wandert heutzutage so gut wie niemand mehr. Die wenigen von Menschen unbeeinflussten Gebiete verschwinden mit rasanter Geschwindigkeit und müssen Straßen, Städten und Anbauflächen weichen. Umweltforscher James Watson und seinem Team zufolge beansprucht unsere Spezies mehr als drei Viertel der Landfläche auf der Erde. Somit sind auf dem Planeten nur 23 Prozent weitgehend unberührter Natur übrig, die sich hauptsächlich auf Russland, Kanada, Brasilien, Australien und den Norden Afrikas verteilt (hier zu sehen). In Zentraleuropa hingegen ist laut der Forscher:innen kaum noch Wildnis vorhanden. Und doch gibt es sie, die letzten naturbelassenen oder zumindest naturnahen Flecken in Deutschland, obgleich ihr Flächenanteil mit einem halben Prozent sehr gering ausfällt. Bis 2020 hätten es zwei Prozent sein sollen: Dieses Ziel hatte sich die Bundesregierung in der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ gesetzt – und verfehlt. Um so wichtiger sei es nun nachzulegen, meint Albert Wotke. Der Wildnis-Referent des WWF Deutschland sieht in der unberührten Natur keinen Selbstzweck. Die Ausweitung naturbelassener Flächen bewahrt nicht nur zahlreiche Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben. Mehr Wildnis bedeutet weniger Klimawandel: Gesunde Wälder, Moore und Auen senken den CO2-Ausstoß und helfen, Klimakatastrophen wie Hochwasser einzudämmen. Zudem lassen unberührte Naturlandschaften die Wirtschaft in ihrer Region aufblühen, indem sie Tourist:innen anlocken. Denn die Menschen sehnen sich nach Wildnis. Das ging aus einer Umfrage des Bundesamts für Naturschutz 2019 hervor. 75 Prozent der Befragten fanden Natur umso schöner, je wilder sie war.

Wenn auch Sie den Ruf der Wildnis vernehmen, Ihnen aber das Outback zu weit ist und Sie besorgt sind, der Natur mit Ihrer Anwesenheit zu schaden – kein Problem: Wir zeigen fünf wilde Orte in Deutschland, die Sie naturschonend entdecken können.

Was bedeutet überhaupt Wildnis?

Gemäß der Naturschutzinitiative „Wildnis in Deutschland“ muss eine Landschaft folgende Kriterien erfüllen, um als Wildnis zu gelten:

  • Sie muss eine zusammenhängende Kernzone von mindestens 1000 Hektar aufweisen (500 Hektar bei Küsten, Mooren und Auwäldern).
  • Innerhalb dieser Kernzone darf sich die Natur ungestört entwickeln.
  • Menschliche Eingriffe sind auf ein Minimum beschränkt (allenfalls zum Schutz umliegender Kulturlandschaft etc.).
  • Die Flächen sind dauerhaft rechtlich geschützt, zum Beispiel durch eine Ausweisung als Nationalpark oder Naturschutzgebiet.
© Zugvogeltage.de/Jan Weinbecker

1. Die wilde Vielfalt des Wattenmeers

Graubrauner Schlamm, soweit das Auge reicht: Wie eine feuchte Wüste wirkt das Wattenmeer bei Niedrigwasser. Doch der leblose Eindruck trügt, denn das Watt ist eines der produktivsten Ökosysteme der Welt. Im Puls der Gezeiten leben Meeressäuger wie Robben und Schweinswale, Wasservögel, Schnecken, Muscheln sowie salztolerante Pflanzen. Flora und Fauna gedeihen hier gut – nicht zuletzt, weil sie ihre Ruhe haben: An der deutschen Nordseeküste stellen drei Nationalparks (das Schleswig-Holsteinische, Niedersächsische und Hamburgische Wattenmeer) sicher, dass der menschliche Eingriff auf ein Minimum beschränkt wird und die Vielfalt der Natur gewahrt bleibt. Dennoch können Sie dem wilden Watt einen Besuch abzustatten und mit Parkführer:innen auf ausgewählten Routen durch den Schlick waten.

Reisetipp: Ein Jahreshighlight sind die Zugvögeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Jeden Herbst machen dort Tausende von Zugvögeln Rast, um Energie für den Weiterflug zu tanken. Neben Vogelbeobachtungen werden an diesen Tagen viele Events rund um Kunst, Kultur und Kulinarik angeboten.

© Getty Images/Westend61

2. „Second Hand Wildnis“ in der Goitzsche

Die Goitzsche Wildnis ist der beste Beweis, dass sich die Natur von menschlichen Eingriffen erholen kann: Über hundert Jahre der Braunkohleförderung verwandelten die 60 Quadratkilometer große Fläche im Südosten Sachsen-Anhalts in eine karge Kraterlandschaft. Nachdem der Abbau vor 30 Jahren eingestellt wurde, kaufte die BUND-Stiftung für Umwelt und Naturschutz Teile des Ödlands auf – mit der Absicht, dort die Wildnis wieder walten zu lassen. Diese Einladung nahm die Natur an: Eisvögel, Seeadler, Uferschwalben und 130 andere Brutvogelarten fanden in der Goitzsche ein neues Zuhause. Aus den Kratern entstanden Seen, in denen sich nun zahlreiche Amphibien, aber auch Biber und Fischotter tummeln. Durch ihre seltenen Biotope bietet die Goitzsche-Natur gefährdeten Tier- und Pflanzenarten ein ideales Rückzugsgebiet. Damit das so bleibt, steht das Gebiet unter strengem Schutz. Dennoch kann man die Goitzsche Wildnis auf ausgewählten Strecken durchwandern.

Reisetipp: Die BUND-Stiftung veranstaltet viele touristische Aktionen, besonders für Familien. An den „Wildnistagen“ widmen sich Kinder in der Goitzsche einem Naturthema, zum Beispiel dem Biber.

© Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH

3. Wilde Kätzchen in der Eifel

Über Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Ostbelgien erstreckt sich der Nationalpark Eifel: ein 110 Quadratkilometer großes Wohnzimmer für Rothirsche, Biber, Uhus, Schwarzstörche und rund 10.000 andere Tierarten, von denen etwa ein Viertel auf der Roten Liste steht. Zudem beheimatet die Eifel die größte Wildkatzenpopulation Europas, die nicht eigens wieder angesiedelt wurde. Auf einem 240 Kilometer langen Streckennetz können Wander:innen den Nationalpark erkunden. Aber Vorsicht, sollten Sie einer Wildkatze begegnen: So sehr sie dem Stubentiger ähneln mag – sie ist ein Wildtier. Bekämpfen Sie den Drang, den niedlichen Waldbewohner zu streicheln oder gar in den Wanderrucksack zu stecken und geben Sie sich damit zufrieden, ihn aus angemessener Entfernung zu beobachten.

Reisetipp: Auch am Nachthimmel lässt sich in der Eifel vieles entdecken. Der Sternenpark ermöglicht einen wunderbaren Blick in unsere Galaxie.

© Bergerlebnis Berchtesgaden

4. Ein Meer aus Stein – Nationalpark Berchtesgaden

Imposante Gipfel, glasklare Seen, frische Luft: Der Nationalpark Berchtesgaden, der einzige alpine in Deutschlands, ist Bergidylle pur. Nicht nur für das menschliche Auge, sondern auch für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten: Hier kann das Murmeltier gut schlafen und auch Steinbock, Gams und Steinadler fühlen sich in der 210 Quadratkilometer großen Wildnis wohl. In den Berchtesgadener Höhen wachsen zudem das seltene Edelweiß und andere Alpenpflanzen wie Enzian und Almrausch. Trotz strenger Naturschutzrichtlinien lockt der bayerische Nationalpark jährlich 1,5 Millionen Besucher:innen an, die auf 260 Kilometer Wanderwegen die felsige Wildnis rund um den Watzmann und das Steinerne Meer erforschen können.

Reisetipp: Im Nationalparkzentrum „Haus der Berge“ mit der preisgekrönten Dauerausstellung „Vertikale Wildnis“ können Sie viel über alpine Lebensräume und ihre tierischen Bewohner lernen.

© Getty Images/Westend61

5. Alte Buchen und weiße Küsten – Nationalpark Jasmund

Silbergraue Baumveteranen, steile Kreidefelsen und eine leuchtend blaue See: Der kleinste Nationalpark Deutschlands ist zugleich einer der vielfältigsten. Auf der Halbinsel Jasmund an der Ostsee sind viele naturnahe Ökosysteme zu finden. Ein Highlight sind die uralten Buchenwälder, die zum UNESCO-Welterbe gehören. Einst dominierten Buchen die Wälder Mitteleuropas. Durch jahrhundertelange Forstbewirtschaftung verwandelte sich die europäische Waldlandschaft in die heutigen Misch- und Nadelwälder. Von den steilen Küstenwäldern Jasmunds ließ der Mensch aber größtenteils die Finger, und so blieb auf der Halbinsel ein Stückchen Urwald erhalten. In dieser erhabenen Landschaft regiert das Chaos: Zwischen aufrechten Bäumen liegen überall umgestürzte Stämme, Äste und Zweige. Die Unordnung sorgt für die Artenvielfalt in Jasmund, denn das Totholz bietet Nahrung für walderhaltende Bakterien, Pflanzen und Pilze sowie einen Unterschlupf für viele kleine Vögel und Säuger.

Reisetipp: Neben den Buchenwäldern ist Jasmund für seine bis zu 118 Meter hohen Kliffe bekannt. In Begleitung von Ranger:innen können Sie die 70 Millionen Jahre alten Kreidefelsen bei einer Führung kostenfrei erkunden.

Bonustipp: Auf Fahrtziel-Natur.de können Sie Ihre Reise in die vorgestellten Wildgebiete planen und noch viele weitere Naturziele entdecken!

Es gibt sie also noch, die wilden Flecken in Deutschland mit unberührter Natur und intakter Flora und Fauna. Viel Spaß beim Erkunden!

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.