Welche Reisen haben uns als Kind geprägt?

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd rund ums Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute fragt sich Katharina, an welche Reisen unserer Kindheit wir uns heute noch erinnern

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Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim

„Wer war denn wo im Urlaub?“, fragte meine Grundschullehrerin Frau F. immer am ersten Schultag nach den Ferien. Christina in Kroatien, Stefan und Markus in Italien, Bernhard an der Costa del Sol. Sie erzählten Geschichten von bunten Luftmatratzen, Sonnenbrand und 16-stündigen Autofahrten.

Auch am Gymnasium stellten die Lehrer uns diese Fragen. Die „Rich Kids“ trugen dann Universitätspullover und neue Nike-Turnschuhe, die sie in den USA gekauft hatten. Einige Mädchen hatten Liebeskummer wegen des tunesischen Animateurs, und natürlich gab es auch diejenigen, die den ganzen Sommer im städtischen Freibad verbracht hatten.

In all den Jahren lautete meine Antwort auf diese Frage: Österreich.

Mein Großvater hatte Anfang der 1970er-Jahre in einem kleinen Ort im Zillertal ein Häuschen gebaut. Er liebte die Berge und wollte für seine Familie dort ein Feriendomizil haben. Meine Mutter verbrachte ihre halbe Jugend in diesem Häuschen – und erbte es später. Was wiederum dazu führte, dass meine Geschwister und ich dort jede Ferien verbrachten. Ein Mehrgenerationenhaus.

Im Frühjahr gingen wir zum Wandern dorthin, im Sommer badeten wir im nahen Stausee, im Herbst zogen wir stundenlang durch den Wald und suchten Pilze, im Winter fuhren wir Ski.

Während es im Ort in den Wintermonaten von Skitouristen wimmelte, waren wir in den anderen Jahreszeiten oft ganz alleine. Meine Mutter werkelte ständig im und ums Haus herum, wir Kinder mussten uns selbst beschäftigen. Wir hatten oft entsetzliche Langeweile, besonders im Sommer. Wir wollten auch lieber an die Adria oder in die Toskana. Meine Mutter sagte immer: „Besser als hier könnt ihr es nicht haben.“

Und sie hatte recht. Zu fünft streiften wir herum, bauten Staudämme in den Gletscherbächen, , pflückten tonnenweise Blaubeeren und aßen sie mit Zucker. Wir schnitzten Boote, stritten uns, vertrugen uns, waren komplett frei.

Fast immer kamen meine Großeltern für ein paar Tage dazu. Mein Opa schenkte uns dann ein Messer, mit dem wir die Pilze sauberer abschneiden konnten, und ging mit uns auf die Suche. Er dozierte stundenlang über die verschiedenen Arten. Wenn wir nach Hause kamen, die Körbe randvoll mit Steinpilzen, putzte meine Oma sie sorgfältig. Wenn sie gut drauf war, gab es abends Semmelknödel dazu, wenn sie keine Lust hatte, nur Brot.

Je älter wir Kinder wurden, desto weniger Lust hatten wir auf den Österreich-Urlaub. Urlaub in den Bergen war uncool. Es gab Zoff, wir weigerten uns – und fuhren dann doch.

Als ich schließlich alt genug war, alleine zu Hause zu bleiben oder mit meinen Freunden zu fahren, tat ich das. Auch das war schön, aber wenn ich zurückdenke, sind davon keine tiefen Erinnerungen geblieben.

Im Gegensatz zu all den Wochen, die ich in Österreich verbracht habe. Dort habe ich so viel gelernt. Über die Natur, über die Jahreszeiten, darüber, wie klein wir eigentlich sind in dieser riesigen Welt. Wer einmal auf dem Gipfel eines Berges stand, hat auf vieles für immer einen anderen Blick. Ich habe dort die Langeweile kennengelernt und hatte die Möglichkeit, aus ihr heraus kreativ zu werden.

Aber das Wichtigste, was ich aus diesen Wochen dort mitgenommen habe, sind die Erinnerungen an meine Großeltern. An die Geschichten, die sie uns auf Wanderungen erzählten, an ihre Sparsamkeit und ihre Demut vor all dem Überfluss. An ihren Geruch, wenn wir abends zusammen auf dem Sofa lagen. An den Schnupftabak meines Opas, von dem er uns probieren ließ, an die unendliche Liebe, die sie uns Kindern schenkten.

Heute weiß ich: Für Kinder ist es nicht so wichtig, wohin die Reise geht. Es ist viel wichtiger, wer dabei an ihrer Seite ist. Dass die kleinen Dinge oft die größten Spuren hinterlassen und sie für immer prägen.

 

Anmerkung: In einer früheren Version haben wir irrtümlich Lisa Harmann als Autorin dieser Folge angegeben. Korrekt ist: sie stammt von Katharina Nachtsheim.

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