Dieser Fotograf zeigt Orte, die aussehen wie die Kunst des Ausnahmemalers

Die Welt feiert den 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Kilian Schönberger hat einen Band mit Friedrichs Malereien und seinen eigenen Fotos veröffentlicht. Ein Interview über Natur, Kunst und Social Media

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Datum: 25.01.2024
Lesezeit: 8 Minuten
Bild von Caspar David Friedrich: Wanderer über dem Nebelmeer links, rechts ein Foto von Kilian Schönberger, wie er im Elbsandsteingebirge steht, sein Rücken ist zu sehen
© Imago Images/Historical Views; Kilian Schönberger
Auf Felsen schauen: Das ikonische Motiv „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich (links) hat auch die Instagram-Ästhetik geprägt. Kilian Schönberger setzt auf ein ähnliches Motiv (rechts), er hat es im Elbsandsteingebirge mit Selbstauslöser fotografiert

250 Jahre ist es her, dass Caspar David Friedrich, der bekannteste Maler der deutschen Romantik, in Greifswald geboren wurde. Schon seit Anfang des Jahres wird dieses Jubiläum an vielen Orten gefeiert (siehe Kasten weiter unten). Der Landschaftsfotograf Kilian Schönberger hat ein Buch mit Bildern Friedrichs herausgebracht, neben die er seine eigenen Fotografien gestellt hat. 

Schönberger ist damit allerdings nicht dem aktuellen Hype um das Jubiläum des Malers aufgesprungen. Zum Ende seines Geografie-Studiums 2012 analysierte er in seiner Diplomarbeit die Wirkung von Landschaftsfotografie in der Werbung, einige dieser Anzeigen waren von Friedrich inspiriert. Wie seitdem Friedrichs Malereien aus dem 19. Jahrhundert Schönbergers Fotografien beeinflussen, erläutert der Fotograf im Interview.

Alle Anreistipps zu Schönbergers Fotomotiven finden Sie im Kasten am Ende des Beitrags


Was verbindet Sie mit Caspar David Friedrich?

Die große Gemeinsamkeit ist der Hang zum Atmosphärischen, also die Arbeit im Nebel und mit anderen Lichtstimmungen, in der Dämmerung etwa, wenn das Zwielicht in den Schatten hängt. Außerdem haben wir beide einen ähnlichen Schwerpunkt, was die Orte angeht, denen wir uns gewidmet haben. Er, weil es damals nur begrenzte Reisemöglichkeiten gab. Ich finde Deutschland und die angrenzenden Länder trotz unendlicher Fernreisemöglichkeiten spannend.

© Mauritius Images/Azoor Collection/Alamy; Kilian Schönberger
Mächtige Spitzen: Friedrichs Motiv „Riesengebirgslandschaft“ (oben) ist abermals künstlerisch überhöht. Schönberger fotografierte im Chiemgauer Voralpenland, die höheren Gipfel gehören zum Mangfallgebirge

Was haben Sie von ihm gelernt?

Dass er sich gar nicht so sehr auf spektakuläre Motive konzentriert hat, sondern oft die stillen Landschaften gemalt hat, die durch die Einbettung in Mondlicht oder Dämmerung eine besondere Stimmung bekommen haben. Für mich heißt das: Ich kann an jedem Ort ein ansprechendes Bild machen, wenn ich mich vorher mit den Bedingungen beschäftige. Es gibt keine unscheinbaren Motive.

Was bedeutet das konkret? Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?

Gegensätzlich zu der Friedrichs in gewisser Weise. Während er seine die besuchten Orte  im Freien skizzierte und anschließend zu Hause in seinem Atelier Gemälde daraus komponierte, beginnt meine Arbeit am Schreibtisch. Ich habe durch etliche Recherchen und Reisen auf einer virtuellen Karte 12.500 Orte markiert, die sich theoretisch für ein Foto anböten. Zunächst mache ich mir Gedanken über das Licht dort. Dann überlege ich, wie ich den Ort am besten inszenieren kann, bei Schnee, im Regen, im Nebel, in der Sonne? Steht ein konkreter Fototermin fest, schaue ich sieben bis zehn Tage vorher die Wettervorhersagen an, und zwar täglich: Wie soll die Luftfeuchtigkeit sein, der Bedeckungsgrad, die Temperatur, die Windgeschwindigkeit? Erst wenn ich mir recht sicher bin, fahre ich raus, und dann kommt die Kür: das eigentliche Foto.

Oh, das klingt aufwendig.

Damit versuche ich, mich Caspar David Friedrichs Atmosphäre durch Handwerk zu nähern. Ich strebe, ganz in romantischer Tradition quasi, nach dem Unerreichbaren.

© Mauritius Images/Keith Corrigan/Alamy; Kilian Schönberger
Als gebürtigem Greifswalder war Caspar David Friedrich die Seefahrt und das Meer ganz nah. Der Dreimaster als Motiv taucht immer wieder in seinen Werken auf (links). Schönberger fotografierte das alte Segelschiff bei der Hanse Sail in Rostock (rechts), ein Event, bei dem historische Schiffe zu Wasser gelassen werden

Ihre Fotos wirken meist schwelgerisch, magisch schön. Friedrich wird inzwischen als eine Art früher Umweltaktivist verehrt, der die Fragilität der Natur zeigt. Wie stehen Sie dazu, auf Fotos auch die Gefährdung der Natur, die Spuren der Klimakrise zu dokumentieren?

Das „Vanitas-Motiv“, also die Vergänglichkeit alles Irdischen, ist auch eine Reflexion aufs Leben. Für mich wird durch die Inszenierung das reine katastrophale Foto umgewandelt in ein morbides Bild, schaurig schön. So kann man zeigen: Die Wälder sterben ab, aber da ist noch mehr. Ich beobachte seit über 20 Jahren den Bayerischen Wald. Inzwischen wachsen zwischen den abgestorbenen Bäumen neue heran. Die Natur und ihre Zusammensetzung verändern sich und gleichzeitig geht es irgendwie weiter. Das versuche ich zu erzählen.

Aber diese Vielschichtigkeit sehen nicht alle Leute, oder?

Nein, in der Social-Media-Ära sind Menschen auf visuelles Fastfood aus, die ganzen spannenden Infos, die in einem Foto stecken, die man auch gut aufbereiten könnte, werden beim Scrollen überlesen. Die Leute wollen bloß einen emotionalen Kick rausholen.

Liegt darin eine Parallele zu Friedrich und der Romantik, als die Bilder auch eher dem Träumen dienten, nicht primär der Information?

Ja, die Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung ist Suche nach dem Mystischen, Unerreichbaren gewesen. Friedrich hat oft die unerreichbare göttliche Landschaft zusammenkomponiert, nicht bloß das gemalt, was er gesehen hat. Dazu gibt es eine Anekdote. 

Erzählen Sie bitte. 

Einmal trafen sich Goethe und Friedrich. Goethe wollte Wolkenbilder in Auftrag bei ihm geben, als wissenschaftliche Illustration. Friedrich war fast schon beleidigt, dass Goethe sein Ideal einer Landschaft auf eine naturwissenschaftliche Banalität herunterbrechen wollte. Maler der Romantik haben natürlich naturhistorische Hintergründe eingefangen, aber nichts war ihnen so wichtig wie Stimmung und Mystik.

© Mauritius Images/Keith Corrigan/Alamy; Kilian Schönberger
Auf dem Bild „Ostermorgen“ Friedrichs (links) schreiten drei Frauen im Mondlicht eine Landstraße entlang. Schönberger machte sein Bild kurz vor der Morgendämmerung in einem Moorgebiet am Alpenrand, der Mond war seine einzige Lichtquelle

Erklärt das auch zum Teil den Erfolg Friedrichs heutzutage? 

„Der Wanderer im Nebelmeer“ ist eine Art Blaupause für all diese Rückansichten-Selfies, Friedrichs Motive werden tausendfach zitiert. Instagram ist zugleich auch immer ein Eskapismus, also die Flucht aus unserem technisierten und manchmal überfordernden Alltag. In diese Rückansichts-Bilder kann man sich ganz schnell reindenken und selbst dort wähnen. 

Und sie vielfach kopieren?

Den Drang, die Fotos, die man auf Instagram konsumiert, nachzuschießen, hat dazu geführt, dass Menschen 20 Minuten an einst einsamen Orten anstehen, um ein Foto zu schießen, das sie in der völligen Einsamkeit in der Natur zeigt. Aber eigentlich stehen hinter ihnen 200 andere in der Schlange. Quasi die Wander:innen über einem Meer von Selfies.

Beobachten Sie das auch selbst auf Ihren Ausflügen?

Ja, vor 15 Jahren bin ich zu Sonnenaufgang quasi allein gewesen im Bayerischen Wald, jetzt sind auch schon morgens einige Menschen unterwegs. Viel mehr junge Leute, die zum Beispiel Trail Running machen. Es ist also nicht nur das Bedürfnis da, Landschaft virtuell anzuschauen, sondern diese Naturräume auch persönlich zu erleben.

Caspar David Friedrich sehen 2024

Greifswald im Jubiläumsjahr
Die Geburtsstadt Friedrichs hat zum 250. Geburtstag des Ausnahmekünstlers ein ganzes Jubiläumsjahr ausgerufen. Es gibt Ausstellungen und Kunst im öffentlichen Raum, Theater und Lesungen, Konzerte, Performances, Filme sowie Vorträge, Feste und Märkte. Infos und Termine unter caspardavid250.de

Alte Nationalgalerie Berlin 
Ausstellung „Caspar David Friedrich – Unendliche Landschaften“ (19.4. bis 4.8.2024)
In Kooperation mit dem Kupferstichkabinett werden 60 Gemälde und 50 Zeichnungen aus dem In- und Ausland gezeigt. Der Fokus liegt auf der Wiederentdeckung der Kunst Friedrichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Albertinum Dresden 
Ausstellung „Caspar David Friedrich. Wo alles begann“ (24.8. bis 17.11.2024)
Über 40 Jahre lebte Caspar David Friedrich in der sächsischen Landeshauptstadt. Seine Werke werden unter anderem denen von Alten Meistern gegenübergestellt, die ihn damals inspiriert haben.

Neben dem Bayerischen Wald: Welche Orte fotografieren Sie am liebsten?

Meine Lieblingswälder sind alle an der Küste, auf Rügen, im Nationalpark Jasmund oder am Weststrand in Zingst. Aber ich mag auch Mittelgebirgswälder, den Bayerischen Wald oder den Schwarzwald.

Sind Sie auch mal draußen unterwegs, um die Natur zu genießen? Oder hindert Sie Ihr Fotografen- und Geografen-Blick daran?

Ich suche immer nach Kompositionen. Wenn ich unterwegs bin, mache ich häufig Screenshots vom aktuellen Kartenausschnitt oder halte interessante Spot per Handy-Schnappschuss fest, weil dort die Geo-Koordinaten mitgespeichert werden.

Also wäre Waldbaden nichts für Sie?

Dafür bin ich viel zu rational. Ich hatte dieses Jahr eine Begegnung mit einer Frau an einer mehrhundertjährigen Linde, sie hat Brennnesseln gesammelt und erzählt, sie umarme den Baum häufig, weil er ihr Kraft gebe. Sie war ganz befremdet davon, dass ich alles so rational sehe, und den Baum bloß interessant finde, weil er so alt ist. Oft denken die Leute, ich sei romantischer, als ich in Wahrheit bin, wenn sie meine Bilder sehen.

© Mauritius Images/Keith Corrigan/Alamy; Kilian Schönberger
Alpenpanorama aus der Fantasie: Friedrichs Werk „Landschaft mit Gebirgssee“ (o.) muss man mit der Info versehen, dass Friedrich selbst nie in den Alpen war und sich komplett auf andere Vorlagen verließ. Schönberger ist sich recht sicher, dass er vom Königssee inspiriert wurde. Sein Foto entstand dort, an einem Winterabend an der Rabenwand

Wie stehen Sie dann dazu, dass manche Ihre Bilder romantisch finden, andere vielleicht sogar kitschig?

Das kann passieren, jede:r hat ja seinen oder ihren eigenen Geschmack. Wenn jemand nichts damit anfangen kann, versteh ich das. Ich hoffe aber, ich gebe den Menschen mit meinen Bildern etwas mit, auch Informationen.

Inwiefern bearbeiten Sie die Bilder nach, damit sie noch eindrücklicher sind?

Durch die intensive Vorbereitung bin ich meist schon mit den Ergebnissen zufrieden. Ich passe die Kontraste ein bisschen an und helle Schatten auf. Es kann mal sein, dass ein Wegweiser oder Stromkasten aus dem Bild verschwindet.

Was war denn die längste Vorbereitung auf ein Bild?

Bei manchen Motiven warte ich seit zehn Jahren auf die richtigen Bedingungen, zum Beispiel wenn ich Schlösser genau auf einer Nebeloberkante abbilden möchte. 

© Mauritius Images/Azoor Collection/Alamy; Kilian Schönberger
Auf Friedrichs Bild „Hünengrab im Schnee“ (oben) wird ein Großsteingrab auf einem Hügel neben drei Alteichen gezeigt. Schönberger fotografierte den sogenannten „Himmel“; ein Hügelgrab aus der Bronzezeit nahe Silmenitz im Süden Rügens

Wenn Sie ein Motiv im Kasten haben, ist es dann für Sie abgehakt? Oder beobachten Sie auch Orte im Verlauf der Zeit?

Wenn ich mit den Aufnahmen zufrieden bin, fahre ich nicht mehr hin. Aber vor ein paar Wochen gab es einen großen Wintereinbruch in Bayern und dann habe ich ein Motiv nochmal neu fotografiert, einfach weil durch die enorme Schneemengen die Aussage eine ganz andere war.

Haben Sie schon mal Ihre Nebelbilder von einer KI prompten lassen?

Ja, die generierten Fotos kamen meinen Bildern zum Teil nah, lustigerweise befand sich sogar rechts unten in der Ecke immer ein weißes Gekritzel, das meiner Signatur auf den Fotos nachempfunden sein sollte. Ich hoffe aber dennoch, dass echte Bilder wieder mehr Bedeutung bekommen, weil nur sie unsere Erde zeigen und echte kulturhistorischen Informationen an die Menschen weitergeben, anders als die Bilder der KI.

Wie Sie zu Schönbergers „Friedrich-Orten“ gelangen

  1. Elbsandsteingebirge – Anreise: Mit dem ICE nach Dresden, von dort mit der S 1 nach Bad Schandau
  2. Mangfallgebirge – Anreise: Von München beispielsweise mit dem EC nach Prien am Chiemsee, von dort weiter mit der Regionalbahn nach Aschau. Von dort beginnen viele Wanderungen, die einen Blick auf das Gebirge zulassen
  3. Rostock/Hanse Sail: Die Hanse Sail findet jährlich im August statt. Anreise: mit dem ICE oder RE von Hamburg nach Rostock, von dort weiter mit der S-Bahn nach Warnemünde 
  4. Moorgebiet Rottau am Alpenrand – Anreise: Mit dem EC von München nach Prien am Chiemsee, dort weiter mit dem Bus nach Rottau, Grassau
  5. Königssee – Anreise: Von München mit dem EC oder Railjet Xpress nach Salzburg, von dort weiter per Bus nach Schönau am Königssee, wo die Wanderung zur Rabenwand beginnt
  6. Silmenitz / Rügen – Anreise: Von Berlin aus mit dem Regionalzug nach Stralsund. Von dort fährt ein Bus nach Groß Schoritz Abzweig, Garz/Rügen und ein weiterer nach Silmenitz, Garz/ Rügen

Kilian Schönberger
Der Landschaftsfotograf (Jahrgang 1986) zeigt die Natur in besonderem Licht. Seine Bilder waren und sind in „Geo” und im „Stern” zu sehen, aber auch in zahlreichen Kampagnen. Auch auf Instagram zeigt er eine Auswahl seiner Motive. In den letzten Jahren brachte er außerdem elf Bücher heraus; aktuell: „Lockruf der Einsamkeit – Eine fotografische Sehnsuchtsreise auf den Spuren von Caspar David Friedrich“. Zum 250. Geburtstag des Malers blickt Schönberger auf dessen Werke und erzählt, wie sie ihn in seiner Fotografie geprägt haben und was sich aus den Bildern herauslesen lässt. Merian, 45 Euro

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