Auf Sand gebaut: Darum ist die Sächsische Schweiz so faszinierend

Seine Felsnadeln machen den Nationalpark Sächsische Schweiz einzigartig. Die Landschaft ist spektakulär, doch das Gestein bröselt. Woran das liegt, warum eine Reise mehr denn je lohnt – und worauf Wander:innen achten sollten

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Datum: 26.04.2023
Lesezeit: 12 Minuten
Eine schattige Lichtung im Wald, im Hintergrund ragt eine Felsformation in den Himmel.
Im Schatten der Riesen: Auf dem Weg zur Bastei passieren Wander:innen Felsformationen, von denen manche steil in den Himmel ragen 

Der Nebel im Tal hat sich aufgelöst, als wir Rathen verlassen und den ersten Aufstieg nehmen. Die Fachwerkhäuser, die sich in den Hängen über der Elbe staffeln, leuchten in frischen Gelb- und Rottönen, während das Ranger-Paar vor mir, Steffen und Ulrike Petrich, seinen Blick fest in die Ferne richtet. „Da hinten sehen Sie die ersten Klettergipfel“, sagt Steffen Petrich und spricht von „Langer Wand“ und „Türkenkopf“. Klar, denke ich, der Aufseher eines Nationalparks kennt nun mal die Berge mit Namen. Umso größer wird mein Respekt, als ich erfahre, wie viele in der Sächsischen Schweiz, bekannt auch als Elbsandsteingebirge, in den Himmel ragen: Mehr als 1100 sind es, und allein 400 davon erheben sich über dem Kurort Rathen.

Steffen Petrich hat nicht vor, mir jeden Berg einzeln zu benennen, auch wenn er es in dieser Gegend könnte. Er will mir nur klarmachen, warum die Gemeinde mit 400 Einwohner:innen ein perfekter Ausgangsort ist, um den Charakter des Gebirges zu erkunden. Das befindet sich 50 Kilometer südlich von Dresden in der Grenzregion zwischen Sachsen und Tschechien und lockt jedes Jahr mehr als eine Million Besucher:innen an. Ziel der meisten ist der Basteifelsen mit seiner Aussicht über das Elbtal. Da dieser einzustürzen drohte, musste er über Jahre mit Beton aufwendig gestützt werden. Seitdem gilt die Bastei als Symbol dafür, wie sehr das Felsbiotop von Einsturzgefahr bedroht ist. Im Frühjahr wurde die Plattform wieder geöffnet, und sie ist auch unser Ziel an diesem Morgen.

Im Felsentunnel: Rangerin Ulrike Petrich (Foto links) begleitet Besucher:innen von Rathen bis hinauf zur Bastei. Bis heute ist sie beeindruckt vom Anblick des Gesteins (rechts), das durch die Witterung immer neu geformt wird 

Wie ein Märchenwald aus Stein
Bis ganz hinauf sind es 194 Höhenmeter. Kleinigkeit, denke ich, doch dorthin führt kein gerader Wanderweg, sondern ein schmaler Pfad, der sich in Schleifen und engen Kehren hoch und runter windet. Die Luft wird kühler, Schritt für Schritt tauchen wir tiefer ein in einen Wald aus runden Gesteinsbrocken und Felsnadeln, schlängeln uns durch einen schmalen Canyon, vorbei an bemoosten Monolithen. Es fühlt sich an wie in einem Märchenwald, wo Wind und Regen fantasievolle Figuren aus Stein geformt haben. Mal glaube ich den Buckel eines Riesen vor mir zu sehen, mal schiebt sich scheinbar eine Riesenechse aus dem Felsvorsprung. Kein Wunder, dass Wandernde all die Felsen über die Jahrhunderte mit Namen wie „Mönch“ oder „Höllenhund“ versehen haben. Steffen Petrich klettert auf eine Anhöhe und zeigt auf eine Formation. „Sehen Sie die vier Türme, die eng aneinander stehen? Das ist der Gänsemarsch.“

Es ist dieser Formenreichtum, der schon im 18. Jahrhundert die Naturschwärmer:innen, Künstler:innen und Freigeister anlockte. Ob „Frankenstein“-Schöpferin Mary Shelley oder Dichter Hans Christian Andersen – sie schwärmten von den Anblicken, die sich ihnen auf den schmalen Felshügeln boten. Auch Caspar David Friedrich ließ sich vor 200 Jahren von der Sächsischen Schweiz inspirieren. Daran erinnert eine Tafel, die an einem Übergang zwischen zwei Monolithen angebracht ist. Zu beiden Seiten wandert mein Blick ins Freie, ich scheine zu schweben und verstehe sofort, warum der Maler diese Stelle als Motiv für den „Wanderer im Nebelmeer“ auswählte. Wie erhaben muss die Aussicht erst am frühen Morgen sein, wenn noch Dunst über den Felsspitzen wabert, während die ersten Sonnenstrahlen das Elbtal vergolden?

Neben der Schönheit offenbart die Stelle zugleich die Schattenseite der Landschaft. Der Fels zerbröselt, die Wände sind durchfurcht von Spalten und Rissen, an einer Stelle sieht die Wand aus, als sei ein Stück herausgebrochen. „Bei einem Abgang gab es eine Verletzte“, sagt Ulrike Petrich und weist darauf hin, dass es in den letzten Jahren öfter zu Felsstürzen gekommen sei. Den prominentesten Abgang verzeichnete jüngst der Wartturm in Blicknähe zur Bastei.

Figuren aus Stein: Viele Felsen sind nach Tierfiguren benannt – so wie diese Formation, die „Gänsemarsch“ heißt

Immer nah an der Abbruchkante
Eine Ursache dafür ist zum Greifen nah und liegt in der Natur der Sache: Es ist die Konsistenz der Sandsteinplatte, die in der Eiszeit durch vulkanische Tätigkeit an die Oberfläche kam und der Region ihre geologische Gestalt gibt. „Greifen Sie mal rein“, ermutigt mich Ulrike Petrich und zeigt auf eine Mulde, die hellbeige-grau marmoriert ist. Mit nur wenig Kraft gelingt es mir, Sand herauszukratzen.

Sandstein, erfahre ich, besteht zu 80 Prozent aus kantigen Sandkörnern, die miteinander verzahnt sind. Er ist porös, Regenwasser kann leicht eindringen und das Bindemittel, den Lehm, auflösen, Salze bilden und Krusten sprengen. Warum nun aber immer öfter Felsen wackeln und Wände bersten, liegt für die Naturpark-Ranger:innen an den veränderten Klimabedingungen mit ihren extremen Wettern. „Normalen Regen haben wir hier kaum noch“, sagt Steffen Petrich, „wenn, dann schüttet es. Und was passiert dann?“, fragt er und schaut besorgt auf. „Der Sandstein saugt sich oben voll, das Wasser kann aber nicht so schnell einsickern – so wird das Gewicht am Kopf des Felsens so groß, dass es zu Abgängen kommen kann.“

Ein Beispiel dafür zeigt Petrich vom Felsrand aus, mit Blick auf ein Gebirge, das steil abfällt und eine helle Fläche preisgibt. „Da ist ein Drittel des Bergs abgebrochen.“ Die Zunahme von Felsstürzen und Steinschlägen führte dazu, dass vor allem bei Besucher:innen beliebte Felsen wie die Bastei oder der Königstein unter Beobachtung stehen. Bei Probebohrungen am Basteifelsen stießen Geolog:innen 2016 auf instabiles Gestein. Die Gefahr, dass der Berg in sich zusammenbrechen könnte, wurde durch ein Stützkorsett aus Beton gebannt. Auf dem Weg nach oben sehen wir am Fuß des Felsens graue Flächen, wie eine Spachtelmasse, die einen kariösen Zahn auffüllt. 

Anfällig: Ranger Steffen Petrich an einer Felswand, die vom Regen ausgewaschen wurde. Der Sandstein ist so weich, dass er zwischen den Fingern zerbröselt

Blick auf die Tafelberge
Noch ein paar Meter, dann haben wir die neu eröffnete Plattform erreicht. Wow, nein – Doppel-Wow! Was für ein Blick über das Elbtal, den sich schlängelnden Strom, auf grüne Hügel, und in östlicher Richtung bis nach Tschechien, wo sich die Konturen von Vulkankegeln am Horizont abzeichnen. Und da sind auch die einzigen Tafelberge Deutschlands, Pfaffenstein und Lilienstein, einander erhaben gegenüberstehend. Das also ist der sogenannte „Balkon Sachsens“, 320 Meter über dem Meeresspiegel, aber gefühlt über allen irdischen Dingen. Von hier oben wirkt Rathen wie aus einem Märklin-Baukasten und die Fähre des Kurorts wie ein Stück Holz, das zwischen den Elbufern treibt.

„Besuchen Sie die Bastei, solange sie noch steht“, möchte man beinahe rufen, aber so schnell gehe es mit dem Nationalpark nun auch nicht bergab, werfen die beiden Wanderführer:innen ein. Auf dem Weg zurück ins Tal erfahre ich, dass beide, geboren in Dresden, schon vor der Wende fast jedes Wochenende in der Sächsischen Schweiz verbracht haben. „In den Bergen zu wandern, das war Freiheit“, sagt Ulrike. Sie arbeitete als Kinderbetreuerin, er als Elektroingenieur, bevor beide zusammen Wanderführungen organisierten. Beide liebten das Klettern. Manchmal, erinnert sich Ulrike, schafften sie es abends nicht mehr rechtzeitig nach Hause und übernachteten in Felsmulden. Beim „Boofen“, wie die Sachsen diese Art der Freiluftnächtigung nennen, wurden sie eines Nachts von einem jaulenden Tier aufgeschreckt. „Wir dachten, das ist ein Wolf“, erzählt Ulrike lächelnd, „bis wir morgens erfuhren, dass es ein Hund war.“
 

Stein des Anstoßes: Das Gestein am Basteifelsen (Foto links) war so brüchig, dass es mit Beton gestützt werden musste. Nun ist die Aussichtsplattform (r.) wieder geöffnet

Insta-Spot für atemberaubende Aufnahmen
Wölfen begegnet man im vorderen Nationalpark rund um Rathen auch heute nicht. Überhaupt habe es die Tierwelt nicht leicht, wissen die Nationalpark-Ranger:innen aus Gesprächen mit Tierschutzvereinen. Uhus oder Falken seien weiter auf dem Rückzug, vor allem Falken reagierten sensibel auf nächtliche Störungen, auch wenn die Geräuschquelle Hunderte Meter entfernt liege. Doch die Besucherströme kennen keine Nachtruhe. „Manche kommen spät in den Park, machen Party und gehen erst nachts wieder zurück. Und am frühen Morgen kommen die Foto-Touristen, die darauf hoffen, ein Bild mit Sonnenaufgang und Nebel zu machen“, sagt die 65-jährige Petrich.

Hinzu komme die wachsende Gefahr von Waldbränden. Erst im vergangenen Jahr hielt ein Feuer im böhmischen Teil die Einsatzkräfte wochenlang auf Trab, aber auch im Rathener Gebiet kämpfe man jedes Jahr gegen Brände. Die Ursache ist fast immer pure Achtlosigkeit, „Manche bringen ihre Shisha mit auf den Felsen, denen muss man erst mal erklären, dass man im Nationalpark nicht rauchen darf“, sagt Steffen Petrich. Er beugt sich herab und reibt mit der Hand über den Grund. „Obwohl es heute Nacht geregnet hat, ist der Boden schon wieder staubtrocken. Im Sommer herrschen hier schon mal Temperaturen von 40 Grad, da braucht es nur einen Funken, schon brennt es lichterloh.“

Weitblick über die Elbe: Die Aussicht vom Basteifelsen ist in viele Richtungen eindrucksvoll

Mehr Ranger:innen für den Naturschutz
Dabei braucht der Wald nicht noch die Menschen zum Feind. Die Fichten waren in den vergangenen Jahren buchstäblich ein gefundenes Fressen für die Borkenkäfer. Das zeigt sich vor allem am Fuße des Felsens, rund um den Amselsee. An den Hängen links und rechts sieht man tote, zum Teil abgeknickte Bäume, dazwischen ein paar dünne grüne Pflanzen. „Das sind die Weißtannen“, sagt die Wanderführerin, „die waren hier schon mal heimisch, wurden aber durch Nadelbäume ersetzt, die von der Forstwirtschaft besser genutzt werden konnten. Jetzt pflanzt man sie wieder vermehrt an.“

Nicht nur mit neuer Flora, auch mit mehr Parkwächter:innen will man verhindern, dass einer der schönsten Nationalparks Deutschlands weiter gefährdet wird. „Man muss das Gebiet schützen, sonst kann man es gendwann nicht mehr besuchen“, sagt Steffen Petrich. Der Abbruchgefahr der Felsen könne man nur mit mehr Vorsicht begegnen. So rät er von Wanderungen nach starken Regenfällen entlang der Felsen ab. „Wir können die Verwitterung nicht aufhalten, nur im Auge behalten.“

Nach knapp vier Stunden sind wir zurück im Talgrund. Hier unten sind die Felsen auf einmal weit weg, nur in einer Vitrine an der Dorfstraße stoßen wir noch einmal auf das Gestein. Hinter Glas stehen Tassen, auf denen sie abgebildet sind. „Gänsemarsch, Mönch, Nonne“, Petrich zählt sie auf und nickt zufrieden: „Haben wir alle gesehen.“

Aufklären und schützen: Das Ranger-Paar Steffen und Ulrike Petrich, hier mit Blick auf den Gänsemarsch-Felsen, möchten mit ihren Touren die Achtsamkeit gegenüber der Natur fördern

Fünf Gründe für einen Besuch der Sächsischen Schweiz

1. Mit Ranger:innen auf Tour
Die Sächsische Schweiz umfasst zusammen mit dem Nationalpark Böhmische Schweiz eine Region von mehr als 700 Quadratkilometern und ist allein auf der deutschen Seite durchzogen von einem Netz von 1200 Kilometer Wanderwegen. Wer sich auf Entdeckertour durch diesen einzigartigen Naturraum macht, sollte sich begleiten lassen. Geführte Wanderungen werden fast täglich angeboten. Zudem bietet das Nationalparkzentrum Sächsische Schweiz spezielle Führungen zu Themen Flora, Geologie und Naturschutz.

2. Ohne Auto in den Nationalpark 
Die Sächsische Schweiz ist Teil der Initiative Fahrtziel Natur, in der sich die DB zusammen mit BUND, NABU und VCD für eine klimaschonende Mobilität einsetzen. Tatsächlich ist die Region hervorragend autofrei zu bereisen. Die S-Bahn-Linie S1 verbindet den Nationalpark mit Dresden und Meißen. Sie verkehrt im Stundentakt zwischen Schöna und Bad Schandau, und im 30-Minuten-Takt zwischen Bad Schandau und Pirna. Eine Nationalparkbahn (U28) pendelt zudem zwischen Sachsen und der tschechischen Nachbarregion Böhmen, sie erschließt Ziele wie das Elbtal und das Sebnitztal. Zudem verkehren Wanderbusse zwischen mehreren Ausgangspunkten, einige davon sind mit Fahrradanhängern bestückt. Wer auf einer Kombitour Naturerlebnis mit einem Städtetrip verbinden möchte, findet hier zahlreiche Tipps.

3. Auf Foto-Safari
Mit seinen vielen Felsen und Anhöhen lockt die Region mit vielen Spots für spektakuläre Fotos. Wer mit einer professionellen Ausstattung auf Tour gehen möchte, kann sich das Equipment im Aktivzentrum Bad Schandau ausleihen. Dort werden auch „Photowalks“ mit bis zu 20 Teilnehmer:innen sowie ein Fotocamp („Herbstlich“) organisiert.

4. Schöne Orte zum Boofen
Pofen heißt in Sachsen „boofen“, bei einer „Boofe“ handelt es sich um eine Freiübernachtungsstelle (Höhle oder Felsüberhang) für Kletter:innen und Wander:innen. Aufgrund des Nationalparkstatus ist es verboten, dort Feuer zu entfachen. Das „Boofen“ ist geduldet, wenn es laut Nationalparkverwaltung „in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung des Klettersports erfolgt und der Schutzzweck des Nationalparks nicht beeinträchtigt wird“, und zwar vom 16. 6. bis 31. 1.; im Bereich des Nationalparks Sächsische Schweiz gibt es 57 offiziell zugelassene „Freiübernachtungsstellen“, zu finden in der Boofenliste.

5. Klettern für Einsteiger 
Dank seiner überwältigenden Felskulisse ist der Naturpark ein Hotspot für den Klettersport. Das Gebiet verfügt über 1135 Klettergipfel mit über 24 000 Kletterwegen. Bevorzugte Disziplin ist das Bouldern (Klettern ohne Seil). In Bad Schandau, Pirna und Ottendorf bieten Schulen Kurse auch für Familien an.

Hinkommen mit dem Deutschland-Ticket:

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Es kostet 49 Euro monatlich und ist bundesweit überall im Nah- und Regionalverkehr gültig. Egal ob Sie mit Bus oder Bahn fahren, seit 1. Mai brauchen Sie deutschlandweit nur noch ein Ticket.

Das Deutschland-Ticket ist als monatlich kündbares Abonnement auf bahn.de erhältlich, außerdem unter anderem im DB Navigator und im DB Streckenagent.

Um Ihre Reise mit dem Deutschland-Ticket zu planen, setzen Sie in der Reiseauskunft auf bahn.de den Haken bei „Nur Nahverkehr“. In der App DB Navigator wählen Sie unterhalb der Datums- und Zeitauswahl die Filter-Fläche, dann unter „Optionen“ den Reiter „Verkehrsmittel“, wählen Sie dort den Schieber „Nur Nah-/Regionalverkehr“ aus.

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