Polarexpress

Bevor Züge auf die Schiene dürfen, werden sie schockgefroren und hoch erhitzt – in der Klimakammer der DB Systemtechnik, wo Türen, Bremsen und Klimaanlagen echten Härtetests ausgesetzt werden

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ICE Klimakammer
Foto: Mario Wezel für DB Mobil
Frostbeständig? Dieser Zug des Herstellers Alstom muss in der Klimakammer der DB beweisen, dass seine Technik mit extremen Temperaturen zurechtkommt

Ein Trupp sonderbar gekleideter Menschen steht an diesem Sommertag vor der unscheinbaren Industriehalle: Obwohl das Thermometer 23 Grad zeigt, tragen sie Winterjacken, einige sogar Handschuhe. Als sich die Tür zum Gebäude öffnet, entweicht kühler Dunst ins Freie. Wir sind in der Klimakammer der DB Systemtechnik im westfälischen Minden. Hier lassen sich klimatische Extreme simulieren, unter denen Weichen und Schienen geprüft werden – und es ist eine von ganz wenigen Anlagen in Europa, die so groß ist, dass dort auch ganze Züge getestet werden können.

In der klirrend kalten Halle selbst steht – überzogen von einer dünnen Eisschicht – ein nagelneuer Alstom-Zug, der in Schweden als Fernverkehrszug eingesetzt werden soll. Denn in Minden wird nicht nur für die DB, sondern auch für Fahrzeughersteller und andere Kunden aus der Bahnindustrie getestet.

In einem Container neben der Halle sitzt Marcel Jäckle vor einer Wand, die mit Monitoren, Diagrammen, Anleitungen und Fotos früherer Testkampagnen übersät ist. Der stellvertretende Leiter des Labors Klimatechnik hat schon viele Tests in der MEikE betreut – so wurde die Halle getauft, weil „Mindener Einrichtung für die klimatechnische Untersuchung an Eisenbahnfahrzeugen“ doch arg sperrig ist. Herausforderungen geht das Team pragmatisch an. So auch beim aktuellen Prüfauftrag: Die Klimakammer ist 75 Meter lang, der Zug aber ein paar Meter länger. Also konstruierten die Techniker eine Abdichtung, die die Torwand der Halle isoliert, obwohl der Zug herausragt, um damit verlässliche Testergebnisse zu gewährleisten.
Einer von Jäckles Bildschirmen verrät, was in den Tests geklärt werden soll: Kann die Heizung des Führerstands eine Eisschicht auf der Frontscheibe abtauen? Frieren bei extremer Kälte die Wassertanks ein? Auch sollen Bremsen, Signalhorn und Türen unter Schnee und Eis geprüft werden.

Während Jäckle die Messwerte am Monitor beobachtet, betritt Prüfingenieur Edgar Bergstein mit beschlagener Brille den Container. Unterm Arm trägt er eine Sprühflasche. „Jetzt ist mir die Düse eingefroren“, brummt er. Als der vereiste Schlauch aufgetaut ist, geht es in der Klimakammer weiter: Bergstein sprüht in kurzen Intervallen Wasser auf die Türspalte, Schicht um Schicht wächst das Eis. Als es rund zwei Millimeter dick ist, wird getestet, ob die Türen trotzdem öffnen. Ergebnis: Auf Knopfdruck schieben sich die Türflügel nach links und rechts, als gäbe es kein Eis.

Anschließend positioniert Bergstein eine kleine Schneekanone vor dem Signalhorn – oder wie es fachsprachlich heißt: vor dem Makrofon. Der feine Schneenebel überzieht die bullige Front des Zuges mit funkelndem Reif. Nach einer Stunde ist das Horn dick mit Schnee bedeckt. Marcel Jäckle, der den Test durchführt, setzt sich Ohrenschützer auf. Dreimal ertönt ein lautes Tuten – es ist so etwas wie die Schlusssirene für einen erfolgreichen Testtag.

Dass nicht jede Testreihe schematisch verläuft, liegt in der Natur der Sache. Jedes Projekt, jede Lok, jeder Wagen hat Besonderheiten. „Dies war ein Auftrag für die Metro in Neu-Delhi“, sagt Jäckle und deutet auf eins der Fotos über seinem Schreibtisch. Es zeigt den Mittelwagen einer U-Bahn in der Klimakammer, davor das Prüfteam, es ging um den Test der Klimaanlage. „Weil die Schienen in Indien eine andere Spurweite haben, brauchten wir Hilfsdrehgestelle, um den Wagen überhaupt in die Kammer zu schaffen. Die haben wir auf 55 Grad Celsius aufgeheizt, hinzu kamen Heizmatten, mit denen wir die Körperwärme von rund 400 Fahrgästen simuliert haben.“

Bei einem andere Hitzetest wurde die Klimaanlage im Speisewagen des ICE3 geprüft, nachdem dieser einem Redesign unterzogen worden war. Es galt herauszufinden, ob die Fahrgäste bei einer normierten Sommertemperatur (35 Grad) ebenso komfortabel reisen wie vor dem Umbau. Doch nicht nur die Tests sind aufwendig. Allein die Vorbereitungen für einen Prüfzyklus – das Anbringen von Sensoren und die Einrichtung der Kammer – dauern Wochen, die Tests selbst in der Regel einen Monat.

Manchmal gibt es auch Tests jenseits der Bahntechnik wie den des Triathleten Jonas Deichmann. Er absolviert zurzeit einen Triathlon um die Welt, kalte Gegenden inbegriffen – weshalb er sein Rennrad zuvor in Minden Härtetests bei bis zu minus 23 Grad unterzog. Damit für kleinere Jobs nicht die ganze Kammer klimatisiert werden müsse, lasse sie sich in drei isolierte Bereiche trennen, erklärt Jäckle. „Das hat auch den Vorteil, dass mehrere Aufträge parallel bearbeitet werden können.“
Genauigkeit ist immer oberstes Gebot, Resultate und Auftragsdetails werden genau dokumentiert.

„Unser Anspruch als akkreditiertes Prüflabor ist natürlich, dass wir auch zehn Jahre nach einem Test noch exakt belegen können, welcher Sensor wo saß“, erklärt Jäckle. Dann versammelt sich das Team – teils in Winterjacken, teils in Sommerhemden – noch einmal vor dem heute „gefrosteten“ Zug. Und feiert mit einem Gruppenbild den erfolgreichen Abschluss eines weiteren Projekts: Tests bestanden!

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