Strecke machen

Die DB macht viele stillgelegte Gleisabschnitte im Land wieder befahrbar. Gut für die Verkehrswende – doch jeder Kilometer ist mühsam. Ein Ortsbesuch in Brandenburg. Über den langen Weg einer kurzen Trasse

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Nebel liegt über dem Kiefernwald, durch den ein einsames Bahngleis eine Schneise zieht. Klaus-Martin Feders Blick folgt dem Verlauf einer Brücke, deren Betonsegmente frisch sind. Das Gleis zur Linken, einen Krötenzaun zur Rechten, läuft er auf eine Böschung zu und hält inne. „Ich denke oftmals in Sekunden“, sagt Feder und breitet seine Hände aus, als hielte er ein kleines Paket. „Mit dieser Brücke aber sparen wir 15 Minuten Fahrzeit – eine kleine Ewigkeit“, fügt er hinzu. Wer neben ihm steht, hört Millionenbeträge gepaart mit Fahrgastzahlen, hört von verkürzten Reisezeiten sowie jahrelangen Planungs- und Bauzeiten.

Feder, 63, ist Leiter des Projekts Streckenreaktivierungen in der Zentrale der DB Netz AG. Komplexe Zahlen ins richtige Verhältnis setzen, das ist sein Beruf. Besagte Brücke im Kiefernwald zum Beispiel: Unter ihr verlaufen zwei Bahntrassen für den Personen- und Güterverkehr. Fast makellos liegt der Schienenweg da. „Ein Lückenschluss“, erklärt Feder. Mit dem Fuß schiebt er einen handballengroßen Schotterstein zurück ins Gleisbett.

Lange Zeit war die Verbindung zwischen der Spargelstadt Beelitz und dem sechs Kilometer entfernten Ferch-Lienewitz unterbrochen, Potsdam konnte mit der Bahn lediglich mit Umstieg erreicht werden. Schnellste Route: 39 Minuten.

Die Reaktivierung wurde beschlossen und vorangetrieben, bevor Feder seine bundesweite Mission 2019 antrat. Durch diesen Lückenschluss wird die Fahrzeit auf etwa 25 Minuten sinken. Ende des Jahres soll der regelmäßige Personenverkehr starten – für heute haben die Güterzug-Kollegen von DB Cargo Seddin eigens eine Lok aus dem Schuppen geholt, damit DB MOBIL einen Eindruck bekommt, was dieses Wort bedeutet: Reaktivierung.

Die Trasse zwischen Beelitz und Ferch-Lienewitz steht für das Schicksal vieler Bahnstrecken in Deutschland. Im Jahr 1994 war das gesamte Streckennetz noch circa 45 000 Kilometer lang, heute sind es nur noch knapp 39 000. Die Gründe sind vielfältig. Mancherorts lag es an geringer Nachfrage, was wiederum zu weniger Zugbestellungen durch Länder und Aufgabenträger führte – eine Abwärtsspirale, die an vielen Orten mit Stilllegungen endete.

Wenn die DB auf Initiative der Länder nun einen Teil dieser Strecken wieder verkehrstüchtig macht, ist dies neben dem Aus- und Neubau sowie der Digitalisierung ein Baustein, das Schienennetz schrittweise leistungsfähiger zu machen. Das hilft gerade auch Bewohner:innen ländlicher Gegenden. Von denen nutzt ein wachsender Anteil das Auto, belegen Studien. Das müsste nicht sein.

Viele Trassen sind beliebt, die Namen haben sich eingebrannt. „Etwa die Darßbahn zwischen Barth und Prerow in Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Felix Krüll, der mit Feder ein Tandem bildet: Die beiden prüfen, welche Reaktivierungen sinnvoll sind.

Die Zahl der Fahrgäste zwischen 2020 und 2030 zu verdoppeln, so lautet eins der ehrgeizigen DB-Ziele, die dem Klimaschutz dienen. Mehr Züge und höhere Taktzahl sind unabdingbar – aber das allein reicht nicht. Und so wird das Schienennetz nicht mehr schrumpfen, sondern dem gestiegenen Bedarf entsprechend wachsen. „Eine riesige Aufgabe“, wie Krüll sagt.

Bei jedem Planungs- und Bauprozess hält sich die DB an hohe Naturschutzstandards – das ist gut und richtig. Es liegt auf der Hand, dass eine völlig neue Trasse dabei mehr in die Natur eingreift als die Reaktivierung einer bereits bestehenden, wenn auch stillgelegten Strecke. „Vielerorts existiert noch die notwendige Infrastruktur“, sagt Krüll.

Dieses Potenzial sei nicht immer einfach zu heben. Von der Idee bis zur Umsetzung können sechs bis sieben Jahre vergehen. Lokale Entscheidungsträger:innen, Planungs- und Bauunternehmen sowie die Expert:innen verschiedener Disziplinen stünden in engem Austausch, um ein Projekt auf den Weg zu bringen. Gemeinsam müssen Machbarkeitsstudien koordiniert, Finanzierungen gesichert, Naturschutzverfahren eingeleitet, Bauarbeiten überblickt werden. Insgesamt hat das Tandem Feder/Krüll eine Vielzahl Reaktivierungskandidaten im Blick.

Szenenwechsel. Bahnhof Beelitz am Nachmittag. Eine Regionalbahn läuft ein, ein junger Mann in weißen Turnschuhen eilt zum Einstieg. Er sagt, er besuche eine Abendschule in Potsdam. Für jeden Weg müsse er aktuell umsteigen. „Praktisch“, urteilt er über die Direktverbindung und die verminderte Reisezeit ab Ende des Jahres, „aber so viel ist es auch nicht.“ Welchen Wert hat eine gesparte Viertelstunde? Das mag jede Person ein bisschen anders beurteilen.

Konkret geht es derzeit um deutschlandweit 19 weitere Trassen. An manchen wird schon gebaut, andere sind in Planung. Allein diese Maßnahmen werden das Schienennetz bis etwa 2030 um 240 Kilometer erweitern – und die Menschen an der Schiene mobiler machen. „Praktisch“ für manche, für Feder und Krüll der Anfang von etwas ganz Großem.

Wo die DB Strecken reaktiviert: deutschebahn.com,
Suchwort „Reaktivierung“

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