Auf der Suche nach der perfekten Milch

Hafer, Soja oder doch Kuhmilch? Was man sich früher gedankenlos übers Müsli goss, ist zum Politikum geworden. Doch sind die Pflanzendrinks die bessere Alternative?

Von:
Lesezeit: 10 Minuten
Illustration: Anne Stiefel

Der Stoff, aus dem die Zukunftsträume sind, ist ein cremeweißes Pulver, abgepackt in Zwei-Kilo-Beuteln. Nicolas Hartmann steht in einer Versuchsküche in Berlin und vermengt einen Teil des Mehls mit Wasser und Rapsöl in einem Glasbehälter. „Das ist die Basismischung“, erklärt der 28-jährige Gründer von Vly Foods. Sie besteht vor allem aus gemahlenen Proteinen der gelben Erbse, einem Rohstoff, mit dem das Start-up-Unternehmen seit knapp einem Jahr den Markt für Ersatzmilch­getränke aufmischt.

Vly Foods hat bereits drei Varianten der Erbsenmilch in den Handel gebracht, darunter eine Barista-Version, mit der sich also besonders guter Schaum fabrizieren lässt. Dennoch steht Hartmann, der neben Volkswirtschaft auch Ernährungstherapie studiert hat, mit seinem Team jede Woche in der Laborküche und versucht, die Mischung mit Aromen und natürlichen Zusätzen zu verfeinern. „Wir testen immer weiter, um die beste Milch zu machen.“

Wie Vly Foods versuchen Unternehmen überall auf der Welt, die Konsument:innen mit schmackhaften Pflanzendrinks auf die neue Milchstraße zu locken. Getränke aus Rohstoffen wie Soja, Hafer, Erbsen, Hanf, Reis, Mandeln, Kokos und Cashewnüssen nehmen in vielen Supermärkten inzwischen mehrere Regalmeter ein. 2020 wurden laut der Datensammler von Statista 351 Millionen Euro mit veganen Milchersatzprodukten umgesetzt, das entspricht einer Steigerung von mehr als 100 Prozent in zwei Jahren. Zwar liegt ihr Anteil am Gesamtumsatz mit Milch bei nur bei knapp zehn Prozent, doch die Pflanzendrinks bilden eine der wachstumsstärksten Produktgruppen im Lebensmittelmarkt.

Illustration: Anne Stiefel
351 Millionen Euro wurden im Jahr 2020 mit veganen Milchersatzprodukten umgesetzt. 2018 lag der Umsatz noch bei etwa 196 Millionen Euro

Und die Kuhmilch? Stagniert bei einem Verbrauch von 50 Litern pro Person und Jahr – und verliert an Renommee. Was man früher bedenkenlos übers Müsli goss, ist zu einem Politikum geworden. Kuhmilch gilt als Klimakiller, weil die Wiederkäuer klimaschädliches Methan freisetzen, und sie sei ungesund, so die Kritik. Pflanzenbasierte Alternativen seien die ethisch bessere Wahl, suggerieren die Hersteller:innen. Vly Foods wirbt auf seinen Verpackungen mit Begriffen wie „Klimakämpfer“, das Stuttgarter Start-up Hemi weist darauf hin, dass der verwendete Rohstoff Hanf auf dem Feld besonders viel Kohlendioxid speichert. Und der schwedische Hafermilcherzeuger Oatly appelliert mit Slogans wie „Gut für den Planeten“ an das grüne Gewissen. Viele Kartons strotzen vor Botschaften („Let me explain“), die uns die gute Welt der Hafermilch erklären.

Tatsächlich kann ein Blick auf die Ökobilanz die Stimmung von Kuhmilchtrinkern wie mir schnell trüben: Milch belastet das Klima im Vergleich zu den Pflanzendrinks mit bis zu 75 Prozent mehr Treibhausgasemissionen*, Boden- und Wasserverbrauch. Und dass Hochleistungskühe mittels künstlicher Befruchtung dauerträchtig gehalten werden, damit sie ständig Milch geben, passt nicht ins Bild der friedlich grasenden Kühe, die uns von den Milchtüten entgegenblicken.


*Basiert auf einer der größten Studien zum Thema Nachhaltigkeit von Lebensmitteln, erhoben von der Universität Oxford und der ETH Zürich.

Illustration: Anne Stiefel
1 Liter Kuhmilch entspricht einem Treibhausgas-Äquivalent von etwa 13 gefahrenen Autokilometern (basierend auf dem von der UN-Weltgesundheitsorganisation ermittelten Kohlendioxid-Äquivalent von Kuhmilch)

Und doch: Es fällt mir schwer, mich für die Alternativen zu erwärmen. Hin und wieder probiere ich in Coffeeshops etwas Neues aus und lasse meinen Kaffee mit Soja- oder Hafermilch mischen. Schon erstaunlich, wie gut die den Schaum hinbekommen, denke ich jedes Mal. Doch dann folgt die Ernüchterung. Schmeckt irgendwie nach … Vanillebrei? Nach in Wasser aufgelöster Kreide? Nur eben nicht nach: Milch. Sorry, nix für mich. Aber bin ich deshalb ein schlechter Mensch, dem Klima und Tierwohl egal sind, nur weil ich am Kuhmilch-Cappuccino klebe?

Der Soziologe Daniel Kofahl erforscht die Wirkung von Nahrungsmitteln und beschäftigt sich mit gelernten Geschmacksmustern. Milch, so Kofahl, habe bei vielen von uns eine tiefe Signatur hinterlassen. „Wir kennen den Geschmack seit unserer Kindheit, so starke Prägungen sind nur schwer zu durchbrechen.“ Schwer, aber nicht unmöglich, wie etwa der Erfolg von Fleischersatzprodukten in den vergangenen Jahren gezeigt hat. „Seitdem immer mehr Menschen kritisch auf den Fleischkonsum und seine Folgen für Umwelt, Tierwohl und Gesundheit schauen, hat auch die Milch ihre Unschuld verloren“, sagt Kofahl. „Sie muss sich heute wie jedes andere Lebensmittel beweisen.“

Wurde uns nicht seit Kindheitstagen weisgemacht, dass Milch groß und stark macht?

Mit vollmundigen Sprüchen („Die Milch macht’s“) nährte die Branche über Jahrzehnte den Mythos vom Gesundheitsgaranten. Was ihr nicht mal schwergefallen sei, glaubt Kofahl. „Die Milch ist mit vielen positiven Assoziationen verbunden. Sie ist ein Geschenk aus dem Euter der Kuh, das als Lebensspender dient. Milch steht für das Gute. Schon die Bibel spricht vom Land, in dem Milch und Honig fließen.“ Dabei ist nur rund ein Viertel der erwachsenen Weltbevölkerung in der Lage, Milchzucker aufzuspalten und gut zu verdauen. Fast alle Asiat:innen können Laktose nicht verwerten, in Deutschland, so schätzt man, sind es zehn bis 15 Prozent der Menschen. Aber auch unabhängig von Unverträglichkeiten wächst die Zahl derer, die zu Alternativen greifen.

Wurde uns nicht seit Kindheitstagen weisgemacht, dass uns Milch – und nur Milch – groß und stark macht? Trotz schlechter Ökobilanz empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) bis heute, für eine gesunde Ernährung solle man täglich 200 bis 250 Gramm Milch und Milchprodukte zu sich nehmen. „Milch ist ein gutes Lebensmittel“, sagt Antje Gahl von der DGE und verweist auf den hohen Anteil an Proteinen, Vitaminen – und Kalzium. Kein anderer Inhaltsstoff stärkt das gute Image so sehr wie dieses Mineral. Tatsächlich konnte nachgewiesen werden, dass Milchkonsum bei Kindern zu höherer Knochendichte führt, Hormone in der Milch das Zellwachstum fördern. Ob dadurch auch Krebszellen wachsen, ist wissenschaftlich umstritten.

Illustration: Anne Stiefel
50 Liter Milch trinkt jede:r Deutsche durchschnittlich im Jahr

Fakt ist: Die Behauptung, Milch sei ein unersetzbares Lebensmittel, gehört ins Reich der Legenden. „Man kann den Bedarf an Mineralien wie Kalzium auch durch Brokkoli, weiße Bohnen oder Mandeln decken“, räumt Ernährungswissenschaftlerin Gahl ein. Allerdings rät sie, Kuhmilch nicht eins zu eins durch Pflanzendrinks zu ersetzen, da die weniger Nährstoffe enthalten.

Jede der Alternativen hat ihre Stärken. Soja- und Erbsendrinks punkten mit hohem Proteinanteil, Reismilch ruft am wenigsten allergische Reaktionen hervor, Haferdrinks haben reichlich Ballaststoffe. Und im Gegensatz zur Kuhmilch sind alle reich an gesunden ungesättigten Fettsäuren und enthalten weniger Cholesterin. Um die Gesamtbilanz aufzuwerten, werden die pflanzlichen Getränke, die wie die Kuhmilch auch zu mehr als 85 Prozent aus Wasser bestehen, mit Kalzium, Vitaminen und manchmal mit Zucker angereichert. Es lohnt ein Blick auf die Zutatenliste.

Wenn man das berücksichtigt, können Pflanzendrinks also die bessere Milch sein. Wäre da nicht die eine große Hürde: der Geschmack. Nachdem mir ein Blick ins Supermarktregal vor Augen geführt hat, wie groß das Angebot ist, mache ich den Selbsttest – und schäume literweise Kuhmilchalternativen auf, um sie in einer Melange mit Kaffee zu verkosten. Dabei fällt mir auf, wie unterschiedlich die Geschmacksbilder je nach Rohstoff sind: Getreidemilch schmeckt leicht süßlich, immerzu habe ich das Gefühl, ein Dessert zu mir zu nehmen. Soja hat ein etwas nussiges Aroma, ebenso die Mixtur aus Hanfsamen und Wasser, Mandelmilch fällt durch süßliche, Erbsendrinks durch eher bittere Noten auf. Was ich lerne: Anders als bei Kuhmilch bieten die Ersatzdrinks eine viel größere Bandbreite. Es gibt nicht die eine Milch für alles, jede hat ihr eigenes Profil.

Im Vergleich zur Kuhmilch bieten die pflanzlichen Drinks viele neue Geschmacksmuster

Ist die neue Vielfalt geeignet, das Geschmacksmonopol der Kuhmilch zu brechen? In der Versuchsküche von Vly Foods rührt Nicolas Hartmann jede Woche neue Mixturen an, die klassische Milchtrinker:innen überzeugen sollen. Denn er weiß: „Für den Markterfolg reicht es nicht, wenn wir nur die Zielgruppen gewinnen, die unser Produkt aus moralischer Überzeugung kaufen.“ Zwar steckt im Namen Vly ein Wortspiel (fly wie „fliegen“, das V steht für vegan), doch so richtig abheben werde der Umsatz nur, wenn man breite Käuferschichten erreiche. 

„Hier, probier mal“, sagt Hartmann und reicht mir einen Kaffee, den er mit Vly-Milch versetzt hat, „das ist unsere neue Version.“ Viel Schaum sehe ich, festen Schaum. Und der Geschmack? Leicht bitter vielleicht, aber sonst? Vollmundig, übertönt den Kaffee nicht. Hartmann will es genau wissen. Regelmäßig lädt er Testpersonen ins Berliner Küchenstudio ein, damit sie neue Variationen bewerten. Mit seinen Drinks auf Erbsenbasis hat Vly Foods zwar weniger Konkurrenz als die Hafermilchfraktion rund um Marktführer Oatly, dafür erfordert der Pflanzenextrakt viel Feintuning. Durch seinen hohen Proteingehalt tendiert er ins Herbe, ins „Bohnige“, wie Hartmann sagt. Das gilt es, mit Verfahren wie zum Beispiel der Fermentierung des Rohstoffs auszugleichen. 

Wie ein Softwarehersteller Betaversionen testen lässt, so gibt Vly Foods neue Varianten an Proband:innen zur Verkostung. Die Versionen stehen später auf den Kartons – 2.2 heißt die aktuelle Basisversion, 3.0 die Barista-Ausgabe. Bald kommt der erste Vly-Kakao in die Supermärkte, und so wie die meisten Ersatzmilchprodukte rangiert auch der im oberen Preisbereich.  Immer wieder geraten die Pflanzendrinks deshalb in die Kritik. Denn die Grundzutaten kosten weniger als 20 Cent pro Liter. Preistreiber sind aber Forschungs- und Entwicklungskosten sowie der Werbeaufwand, um ein neues Produkt bekannt zu machen. Die Erzeuger:innen von Kuhmilch dagegen profitieren von EU-Agrarsubventionen und einer ermäßigten Umsatzsteuer. Nutznießer:innen sind vor allem die milchverarbeitenden Konzerne, die hartnäckig um ihre Marktanteile kämpfen. 2017 erwirkten sie beim Europäischen Gerichtshof ein Urteil, nach dem nur das „Gemelk einer oder mehrerer Kühe“ als Milch bezeichnet werden darf. 

Mit eigenen Pflanzendrinks streben auch Molkerei- und Lebensmittelkonzerne nach Profit in einem Markt, der mit dem börsennotierten Hersteller Oatly bereits eine globale Marke hervorgebracht hat. Auch hinter Vly Foods stecken große Investoren, Börsengang nicht ausgeschlossen. Das Rennen um die perfekte Milch, so Hartmann, sei noch längst nicht entschieden – „es geht gerade erst richtig los“.

Leser:innenfrage: Warum gibt es nur Kuhmilch in der Bordgastro?

„Ich ernähre mich vegan, Kuhmilch im Kaffee geht gar nicht. Warum bietet die Bahn zum Beispiel keine Hafermilch an?“ – Gundula Sunda aus Hoffenheim  

Mia MOBIL antwortet:  Klar ist: Seit einiger Zeit ist die Nachfrage nach pflanzlichen Milchalternativen stark angestiegen. Diese Pflanzendrinks bestehen beispielsweise aus Rohstoffen wie Soja, Hafer, Kokos, Hanf, Reis oder Mandeln. Auch der Bordservice der Deutschen Bahn ist bestrebt, Milchalternativen anzubieten, da der DB-Konzern auf umweltfreundlichere Produkte umstellen möchte. Diese Umsetzung stellt die Bordgastronomie vor einige Herausforderungen, unter anderem aufgrund der räumlichen Begrenzung in den etwa 450 rollenden Bordbistros und -restaurants. Zudem erfordert jede Sortimentserweiterung, dass das Angebot, eben aus Gründen des beschränkten Stauraums in den Bordküchen, an anderer Stelle eingeschränkt wird. Dabei ist abzuwägen, wie groß das Angebot an Milchalternativen sein soll, damit es sowohl die Wünsche der Kund:innen erfüllt als auch die logistische Durchführbarkeit ermöglicht. Zu Beginn des Jahres 2022 laufen dazu erste Tests, die praktische Umsetzung folgt.  

Sie haben eine Frage zum Bahnbetrieb oder zu den Zügen der DB? Schreiben Sie an: frage@dbmobil.de

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.