Kalt, kälter, Boning

Unsere Autorin Katja Heer hasst eisiges Wasser. Sie verabredete sich mit Comedian und Bade-Meister Wigald Boning zum Schwimmen. Im Ammersee. Kurz vor Wintereinbruch. Protokoll einer Grenzerfahrung

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Datum: 20.12.2023
Lesezeit: 10 Minuten
Wigald Boning und DB MOBIL-Redakteurin Katja Heer am Strand vom Ammersee

Die auf dem Holzsteg ruhenden Enten schauen kurz hoch, dann senken sie ihre Schnäbel wieder ins Gefieder, als wir Richtung Leiter gehen. Ich kann es ihnen nicht verdenken – die Luft ist um die zehn Grad kalt, der Westwind peitscht den sonst so malerischen Ammersee in Bayern auf, und als wir die Bademäntel ausziehen, fängt es auch noch an zu regnen. Nett hier.

Alles dabei: Wigald Boning mit bepacktem Klapprad und DB MOBIL-Autorin Katja Heer kurz vor dem gemeinsamen Kältebad im Ammersee

„Es ist heute wirklich ungemütlich“, findet sogar Wigald Boning, als wir uns an diesem Morgen Mitte November treffen. Der Comedian ist Bade-Profi: Seit 499 Tagen geht er jeden Tag schwimmen, egal bei welcher Witterung. Eigentlich wollte er das nur ein Jahr lang durchziehen und darüber schreiben. Das Buch ist erschienen (siehe Kasten unten), doch er hat weitergemacht, und heute ist sein 500. Tag – ein großes Jubiläum. Und meine Premiere: Ich will erfahren, wie sich Winterbaden anfühlt. Boning soll mir helfen, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. 

Seit Tagen habe ich wiederholt Luft- und Wassertemperaturen gecheckt, es wird immer ungemütlicher. Warum habe ich mich darauf bloß eingelassen, frage ich mich auf der Bahnfahrt von Hamburg nach München. Wie jeder (aus meiner Sicht) vernünftige Mensch mag ich kein eiskaltes Wasser an meinem Körper. Ich hasse duschen unter 35 Grad, und selbst im Sommer kostet mich der Moment, in dem ich ins Meer oder in einen See eintauche, jedes Mal Überwindung. 

Jetzt soll Boning mich von den Vorzügen des Winterbadens überzeugen. Da gibt es einige: Schweizer Wissenschaftler:innen beispielsweise haben in einer Studie von 2020 festgestellt, dass es sich positiv auf den Blutdruck und auf das Immunsystem auswirkt. 

Gegenwind: Boning und DB MOBIL-Redakteurin Heer trotzen dem Westwind am Ammersee

Es gibt keine chemischen Substanzen, die eine solche Wachheit hervorrufen

Wigald Boning

Dass Boning durch den Aufenthalt in kalten Gewässern im vergangenen Winter abgehärtet worden sei, könne er nicht bestätigen: „Ich habe zwei Kinder im Kindergartenalter. Da holt man sich alles“, erzählt er, als wir uns vor dem Winterbad in der kuschelig-warmen Gaststube des Hotels „Der Seehof“ in Herrsching direkt am Ammersee zum Gespräch treffen. Wohl aber sei seine verkalkte Schulter durchs regelmäßige Schwimmen sommers wie winters kuriert worden. „Auch andere Zipperlein, die bei Mittfünfzigern durchaus mal auftreten können, etwa ein Zwicken in der Hüfte oder im Knie, alles weg.“ 

Natürlich könne man den Effekt auch erzielen, wenn man regelmäßig im Hallenbad schwimme. „Aber gerade kaltes Wasser wirkt antientzündlich. Außerdem ist Winterbaden unglaublich erfrischend. Es gibt keine chemischen Substanzen, die eine solche Wachheit hervorrufen“, sagt Boning. 

Der Comedian wohnt mit seiner Frau und drei kleinen Kindern nur einige Gehminuten vom Ammersee entfernt. Diese Tatsache und seine Schulterprobleme seien die Gründe gewesen, warum er überhaupt auf die Idee gekommen sei, an 365 aufeinanderfolgenden Tagen ins Wasser zu steigen, erzählt der 56-Jährige: „Als wir aus München nach Herrsching gezogen sind, schaute ich auf den See und fragte mich: Was kann ich hier tun? Wie kann meine nächste Herausforderung aussehen? Und da beschloss ich: Ich gehe jetzt einfach ein Jahr lang jeden Tag schwimmen, egal, was kommt.“ 

Boning, der schon mal 52 Marathons in einem Jahr absolviert und an einem 24-Stunden-Mountainbikerennen teilgenommen hat, attestiert sich selbst einen gewissen Hang zum Radikalismus: „Aber das ist im sportlichen Rahmen ja besser aufgehoben als in der Politik“, sagt der Komiker, der in seinem Bade-Jahr auch in schwierigen Gewässern landete, wenn Geschäftsreisen dies erforderten: zum Beispiel im Regenrückhaltebecken am Flughafen Hannover, in der Spree direkt vorm Hauptbahnhof Berlin oder in der Themse in London. 

Bloß nicht zaudern: DB MOBIL-Autorin Heer auf dem Weg ins Wasser des Ammersees, der sich an diesem Morgen grau und eisig präsentiert

Was sind die drei wichtigsten Ratschläge, die mir Boning mit Blick auf das bevorstehende Bad geben möchte? „Erstens: nicht zu lange zögern, wenn es so weit ist. Am besten einfach reingehen.“ Ich solle außerdem eine Mütze aufsetzen, er selbst trage immer eine Kopfbedeckung, weil man dadurch wenigstens ein Körperteil warmhalte. Und drittens: fluchen! Boning erzählt, er habe gelesen, dass Schimpfworte den Aufenthalt in kaltem Wasser erträglicher machen würden. Seine Hypothese: „Vielleicht lassen negative Emotionen den Körper eine Extraportion Hormone ausschütten, die einen dann aufwärmen und ablenken.“ 

Im Würgegriff der Kälte

Es gibt natürlich noch mehr Ratschläge (siehe Kasten unten), doch jetzt erst mal genug geredet, ich will zum See, sonst mache ich einen Rückzieher. In Bademänteln, Schlappen an den Füßen und mit Wollmütze (ich) und Blümchenbadekappe (Boning) auf den Köpfen gehen wir los, zehn Minuten zum Badesteg. Wir ernten erstaunte Blicke, während wir darüber diskutieren, wie lange ich es wohl im Wasser aushalten werde. Zwei Minuten? Drei? Ich habe mir fünf Minuten vorgenommen. Bin ich optimistisch oder dumm?  

Lachen geht noch: Heer und Boning beim Winterbaden im Ammersee. Der Komiker schwimmt oft weiter raus, deshalb hat er eine Boje dabei

Nach zwei Minuten fühlt sich der Körper einigermaßen betäubt an

Wigald Boning

Am Steg angekommen, entledigen wir uns der wärmenden Bademäntel und steigen nacheinander die Badeleiter hinunter, während der Wind uns um die Ohren pfeift. Ich bin sehr dankbar für den Tipp mit der Mütze. Boning gleitet ins aufgewühlte Wasser, ohne einen Ton von sich zu geben. Offensichtlich wirklich ein ganz normaler Gang für ihn. 

Ich dagegen kann beim ersten Kontakt meines Fußes mit dem Wasser nicht glauben, wie eisig sich knapp zehn Grad kaltes Nass anfühlen kann. Ich schaffe es dennoch, nicht zu lange zu zögern. Als ich im Wasser bin, helfen weder die Mütze noch das empfohlene Fluchen. Ich japse, die Kälte, die mich umschlingt, fühlt sich an wie ein Würgegriff. Alles tut weh, vor allem meine Schultern und Oberarme.

Ein Mann, zwei Geschenke: Die Badekappe hat Boning von Kollegin Barbara Schöneberger bekommen, den Jubiläumskuchen von seiner Frau Theresa

Boning, der in knapper Badehose mit Flamingo-Muster und mit pinkfarbener Schwimmboje gutgelaunt um mich herumschwimmt, sagt, ich solle einen Augenblick Geduld haben, nach zwei Minuten fühle sich der Körper einigermaßen betäubt an. Aber: Wie soll ich zwei Minuten durchhalten – oder meine geplanten fünf? 

Ich folge Boning durch die Wellen, wir paddeln ein paar Meter, meine Haut brennt und brizzelt. Und plötzlich wird der Schmerz weniger, und zumindest meine Arme und Beine spüre ich kaum noch. Ich jubele, schwimme ein paar kräftigere Züge und werfe übermütig meine Mütze auf den Steg – jetzt will ich auch noch untertauchen. 

Was ich nicht bedacht habe: Der fiese Wind lässt meinen Kopf innerhalb kürzester Zeit nach dem Auftauchen eiskalt werden. Besser schnell zur Leiter,  der Blick auf die Uhr sagt: 5 Minuten 38 Sekunden. Reicht!

Vier ruhen, eine ist wach: Auf dem Steg nach dem Bad trocknet sich Autorin Heer zitternd ab

Als wir aus dem See steigen, geben sich die Enten weiter unbeeindruckt, sie schlafen inzwischen fest. Dafür wartet am Anfang des Stegs Bonings Frau Theresa auf ihren Mann, mit einem selbstgebackenen Kuchen in der Hand. 500 steht da in blauen Zahlen drauf, geschmückt mit essbarem Goldpapier. Ihr Geschenk zum Jubiläum. 

Während ich mich hektisch mit dem Handtuch trocken rubble, setzt bereits das große Zittern ein, was die angekündigte Munterkeit und den Stolz, dass ich es geschafft habe, etwas überdeckt. Ich frage Boning mit Blick auf den Kuchen, wie lange er noch weitermachen will mit dieser täglichen Schwimmerei. „Am liebsten ewig“, sagt er und grinst breit. „Warum sollte ich aufhören? Ich bin voller Vorfreude auf den Winter!“ 

Ich auch, denke ich. Allerdings an Land, dick eingemummelt und mit einem Glas Punsch in der Hand.

Bonings Tipps fürs Eis- und Winterbaden
Streng genommen wird zwischen Eisbaden (fünf Grad Wassertemperatur und weniger) und Winterbaden (bis circa 15 Grad) unterschieden, die Übergänge sind aber laut Wigald Boning fließend. Der Komiker hat beides ausprobiert. 

Seine acht Tipps:

  1. Mütze oder Badekappe aufsetzen – über den Kopf geht sonst viel Wärme verloren. 
  2. Nicht zu langsam ins Wasser gehen: Wenn man sich zehn Minuten Zentimeter für Zentimeter vortastet, ist man zu durchgefroren, um es noch ganz ins Wasser zu schaffen. Aber bitte auch nicht ins Wasser stürzen. Einfach zügig eintauchen.
  3. Fluchen Sie! Das kann den Aufenthalt im kalten Wasser erleichtern. Darauf deuten jedenfalls neurologische Studien hin.
  4. Keinen falschen Ehrgeiz zeigen. Es ist nicht nötig, länger als fünf Minuten auszuhalten. Hören Sie auf Ihren Körper: Wenn Sie merken, jetzt reicht’s, dann raus. 
  5. Nach dem Baden nicht in den nassen Klamotten rumstehen und plaudern, sondern erst mal umziehen. Alles andere kann warten. 
  6. Bloß nicht direkt unter die heiße Dusche gehen. Wenn man im kalten Wasser schwimmt, wird das Blut aus den Extremitäten abgezogen, um die Organe im Rumpf warm zu halten. Wenn man sich dann zu schnell aufwärmt, fließt das kalte Blut zurück zum Herzen, und es droht ein Kreislaufkollaps. Lieber zunächst dick einmummeln und einen heißen Tee trinken.
  7. Sicherheit geht immer vor. Am besten zu mehreren schwimmen, sodass man sich gegenseitig helfen kann. Wollen Sie alleine schwimmen, Badeboje mitnehmen. 
  8. Sollten Sie sich nicht sicher sein, ob Ihr Herz und Ihr Kreislauf in Ordnung sind, lieber vorher einmal durchchecken lassen. Winterbaden und Herzkrankheiten sind nicht die allerbesten Freunde, um es vorsichtig auszudrücken.

Noch mehr Tipps und Geschichten finden Sie im Buch „Herr Boning geht baden: Ein Jahr, 365 Badetage und was ich dabei über Schwimmen, Leben und tolle Hechte lernte“ (Gräfe und Unzer Edition, 22 Euro).

Anreise mit der Deutschen Bahn
Vom Hauptbahnhof München fährt die S8 nach Herrsching im oberbayerischen Landkreis Starnberg. Von dort sind es nur einige Gehminuten zum See. Übrigens findet im Ammersee jedes Jahr an Heiligabend das Herrschinger Weihnachtsschwimmen statt. Wigald Boning wird dieses Jahr auch wieder dabei sein.

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