Welche (Familien-)Reisetypen trifft man im Zug?

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd rund ums Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute fasst Lisa einmal zusammen, welche unterschiedlichen Familien-Reisetypen ihr in der Bahn schon begegnet sind

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Lesezeit: 3 Minuten
Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim

Das Schönste am Reisen sind, finde ich ja immer, die vielen Menschen, die einem begegnen. Andere Kulturen, andere Rituale, andere Herangehensweisen ans Leben. Ich beobachte gern, denke mir gern Geschichten zu Menschen aus und höre auch mal zu, wenn am Nachbartisch die 20 Jahre währende Ehe auf den Prüfstand gestellt wird. „Deine Ohren sind echt überall“, sagt mein Mann. Und lässt sich die Geschichten dann liebend gern weitererzählen …

Natürlich kristallisieren sich dabei auch irgendwann verschiedene Menschentypen heraus, die immer wieder zu beobachten sind. Da sind Familien dabei, die sich für eine Fahrt ausstatten wie für einen achtmonatigen Aufenthalt im Krisengebiet. Da sind solche dabei, die lieber schon drei Stunden vor Abfahrt am Gleis warten, um ja den Zug nicht zu verpassen, und da sind die Hektiker und Durchgangs-Versperrer, die Ängstlichen und die Nervös-Hungrigen dabei.

Natürlich ist das alles komplett überzeichnet – und das gilt auch für die folgenden archetypischen Reisetypen, die wir hier mal zusammengestellt haben. Trotzdem: Wer hier niemanden wiedererkennt, ist wohl noch nie mit der Bahn verreist …

  • Die Entschuldiger: „Dürfte ich? Entschuldigen Sie, dürfte ich hier mal durch …?“ „Sorry, mein Kind ist da grad in so einer Phase. Hier, mögen Sie ein paar Gummibärchen? Es tut mir einfach so leid, dass wir so laut sind …“
  • Die pädagogisch Wertvollen: Die jeden Schritt nummerieren. „Und ein Schritt und zwei … uuuuund drei. Schau hier, hier steht ein Buchstabe. Welcher könnte das sein? AAAAA, wie Apfel, genau.“ Die packen dann erst mal Bücher aus und erklären neben den gesammelten Planeten auch noch das ganze Universum hinter ihrer Nickelbrille. So, dass auch der Rest der Reisenden noch etwas mitnehmen kann. Wieder was gelernt.
  • Die Podcaster: Kopfhörer an. Kurzes Rascheln. Stille. Stundenlang.
  • Die Teenager-Gebeutelten: „Boah, Mudda, du bist so ultrapeinlich. Alda, Digga, guck disch doch mal an. Wie du rumläufst!“ Und das von Kindern, die gar nicht so aussehen, als würden sie mit Gangsta-Rappern auf der Straße wohnen! Und die dann, ohne eine Antwort abzuwarten, ihre Kopfhörer in die Ohren stopfen, um sich ein TikTok nach dem anderen reinzupfeifen.
  • Die Ängstlichen: Die ihren süßen Schnuffipuh (und so nennen sie ihn wirklich) immer und immer wieder auf die überall lauernden Gefahren hinweisen. „Nicht hier anfassen, da sind Bakterien“, „Vorsicht! Nicht, dass du fällst“, „Nicht an die Koffer, die könnten dich erschlagen“, „Verschluck dich nicht, der Zug bremst“. Die während der Fahrt auch immer wieder nachschauen, ob der Buggy am Ende des Abteils wohl noch da ist. Und die schon zwanzig Minuten vor dem Halt aufstehen und dadurch bestimmt in ihre Funktionsjacken unter den Wanderrucksäcken voller Wechselkleidung schwitzen.
  • Die Angeber: Die konsequent und möglichst laut über die wahnsinnigen Erfolge ihres Kindes reden. Durchgeschlafen hat die Kleine ja schon direkt von Geburt an, und gelaufen ist sie bereits mit zehneinhalb Monaten. Windelfrei war sie natürlich auch viel früher als alle anderen. Was dann wohl erklärt, warum es im Abteil grad etwas strenger riecht … Scheint doch noch nicht immer so zuverlässig zu klappen?!
  • Die Gamer: Die alle Sitze im Vierer besetzen, aber pausenlos in ihre Handys starren und die es ab und zu durchfährt wie ein Blitz, weil sie ein Spiel verloren haben. Das Fluchen darüber lässt die techno-angelehnte Spielmusik im Ruheabteil dann kurzfristig in den Hintergrund geraten. Düdelüüüdüüüdüüüüü. MIST.
  • Die Überforderten: „Nein, oh nee, warte kurz, ich weiß jetzt überhaupt nicht, wann wir da sind, jetzt halt doch mal kurz still, nooo, jetzt klingelt auch noch das Handy, wo ist das denn jetzt? Ja, bitte?“ Tuuut, zu spät. „Nein, nicht den Sitz hochklettern, bitte. Ich kann nicht mehr, das ist ja alles unerträglich hier.“
  • Die Gechillten: Die wirken, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, als mit Kindern zu verreisen. Die in aller Ruhe ihr selbst mitgebrachtes Mittagessen auspacken, danach Gesellschaftsspiele spielen und gesammelt einschlafen – und bei denen man sich als Normalsterblicher fragt: „WAS BITTE haben die richtig gemacht? Und wir falsch?!“
  • Die Pöbler: Die sich mit jedem anlegen, der sie aus Versehen beim Reinkommen mit der Rucksackschnalle streift, die andere darauf hinweisen, dass dies das Ruheabteil sei, sie schließlich selbst ihre Kinder „ruhig halten“ und das dann wohl bitte auch von den anderen erwarten.
  • Die Neugierigen: Die mit ihren Kindern so oft den Gang rauf- und runterlaufen, bis man das Gefühl hat, sie wollten einfach nur schauen, was die anderen im Abteil so machen, denken, fühlen, sagen.
  • Die Sich-überall-zu-Hause-Fühler: Die „So, da sind wir“-Denker, die sich erst mal die Schuhe ausziehen, die Tupperdosen mit Frikadellen öffnen und das Bibi-Blocksberg-Hörspiel auf der Boombox abspielen, damit „alle Kinder gleichzeitig“ zuhören können. Für die halbe Stunde Bahnfahrt kommen dann noch ein Muffin, ein Croissant, eine Mini-Tüte Chips, Schokorosinen, noch was Frisches, Gürkchen … und natürlich Getränke in diversen Geschmacksrichtungen auf den Tisch. Sicher ist sicher.
  • Die Einsamen: Die sich vorgenommen haben, wahre Freundschaften zu finden, indem sie ungefragt ihre gesamte Lebensgeschichte erzählen, ohne dass jemand auch nur so tut, als würde er oder sie zuhören.
  • Die Dialektiker: „Du bisch de Äänzisch, wo Zeit fa misch hat.“
  • Die Augenverdreher: Die einen mit Blicken vermeintlich töten könnten, weil man „ihren“ Platz reserviert hat und sie freundlich bittet, aufzustehen.
  • Die Benachteiligten: Die das Gefühl haben, Familien würden eh schon genug diskriminiert, und alles gleich persönlich nehmen. Die steif und fest behaupten, sie hätten genau an diesem Tag und genau in diesem Abteil genau diesen Platz reserviert. Und dann irgendwann merken: Hoppla! Doch nicht.
  • Die Witzbolde: Die am lautesten über ihre eigenen Witze lachen und sich dabei fast ins Höschen machen, während sie sich auf die Schenkel klopfen. „Warte, einen habe ich noch: Geht eine Blondine … hahaha!“ Oje. Und die sich dann über das Englisch der Durchsagen so laut kaputtlachen, dass sie sich selbst als die größten Witzfiguren von allen outen.
  • Die Angepassten: Die im Partnerlook unterwegs sind und die man fast nicht sieht, weil ihre Outfits genauso gemustert sind wie die Sitze, auf denen sie Platz nehmen. Chamäleon-Art.
  • Die Ungeduldigen: „Wann sind wir endlich daaaaa?“ „Bald.“ „Wann sind wir endlich daaaaa?“ „Gleich.“ „Wann sind wir endlich daaaaa?“ „WIR SIND DA, WENN WIR DA SIND!“ … „Aber wann denn?!“

Eins muss ich zum Schluss noch zugeben: Gerade fehlen sie mir alle. Naja, fast alle. Denn zum Reisen gehören diese Reisecharaktere einfach dazu und daher freue ich schon riesig auf den ersten genervten Augendreher, die verschmusten Partnerlook-Pärchen und darauf, meine Ohren wieder überall zu haben.

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