Sind Mütter eigentlich die externen Gehirne ihrer Kinder?

An dieser Stelle schreiben abwechselnd Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim rund ums Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute fragt sich Lisa Harmann, ob Mütter immer für ihre Kinder mitdenken müssen

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Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim

Tag X begann eigentlich ganz harmlos. Alle Wecker klingelten durcheinander wie jeden Morgen vor der Schule und der Arbeit, ein Kind nach dem anderen schlurfte die Treppe runter zum Frühstückstisch. Die Stimmung war so semi, kaum einer sagte was, ich drückte auf eine ruhige Playlist bei Spotify, um das Schweigen zu brechen und angenehm in den Tag zu starten. Dann begann das Drama. 

„Hä? Wo ist denn mein Englischheft?“ 

„Ähm, hattest du nicht gestern Abend gesagt, der Schulranzen sei fertig gepackt?“ 

„Na, wenn IHR immer alles wegräumt in eurem Aufräumwahn…“

Konversationen, die mit dem Wort „Hä?“ beginnen, verheißen in unserer Familie meist nichts Gutes. Wir suchten erst in Ruhe, dann immer panischer. Die Küchenuhr lief runter – tick, tock, wie ein Countdown – uhhh, gleich verpassen wir den Bus. „Wo ist denn dieses Englischheft? Zeitschriftenstapel wurden durchgeschüttelt, Krümelhöllen unter dem Sofa begutachtet. Das Heft war weg. 

Also erstmal Butterbrote schmieren, jedem Kind eine Dose in die Hand drücken – „Packt ihr sie schon mal ein, wir suchen hier weiter… Stress, Bluthochdruck, der erste Kaffee noch nicht getrunken. Das große Kind genervt in der Tür – „Können wir jetzt mal losfahren? Mein Bus kommt. Los, los, aaaaaah, da ist ja das Englischheft, es war doch einfach im Schulranzen. Das ist NICHT dein Ernst. Los, los jetzt!

Hektisch ins Auto springen – Habt ihr JETZT alles? Die Kinder zur Haltstelle bringen – wir wohnen auf dem Land, da sind die Strecken weiter, da müssen wir sie bringen – dann im Auto erstmal kurz durchschnaufen. Puh. Aber es geht weiter... Anruf des Mittleren – oh nein, Sportzeug vergessen. Also wieder den Berg rauffahren, in die Wohnung springen, Sportzeug packen, erneut runter düsen. Geschafft. Zurück zu Hause: erstmal hinsetzen. 

Und während nach all dem Adrenalin der Kopf auf die Tischplatte zu fallen droht, siehst du, dass eine Brotdose es nicht in den Ranzen geschafft hat. DAS GIBT´S DOCH NICHT. Wir hatten die Dosen doch allen extra in die Hand gedrückt! 

Und ja, wenn unsere Kinder mal heiraten, werden wir über diese Anekdoten mit Sicherheit lachen. Noch ist es aber unser Alltag, denn das, was hier beschrieben wird, ist leider keine Ausnahme – sondern eher die Regel. Es verführt uns immer wieder zu ein und derselben Frage: Können Kinder eigentlich suchen?! Oder vorausplanen? 

Und wir kommen immer wieder zu der Antwort: einige ja. Andere nein. Und mit Nein meinen wir wirklich Nein. Da liegt die Banane direkt vor ihrer Nase UND SIE SEHEN SIE EINFACH NICHT. „Maaamaaa, wo ist die doofe Banane? Wo habt ihr sie schon wieder hingelegt?!?“

Was zur nächsten immer wieder gestellten Frage in unserer Familie führt: Sind wir Eltern eigentlich die externen Gehirne unserer Kinder? Sind wir Mütter die Sucherinnen vom Dienst, wenn es wieder heißt: „Du suchst xy? – frag mal Mama“.

Ob ich als Mutter einfach zu viel übernehme und sich die Kinder einfach zu gut auf mich als externe Festplatte ihres Gehirns verlassen, fragte ich mich immer wieder – und beschloss, das Schicksal mal herausfordern. Ich wagte ein Experiment. 

Immerhin waren meine Kinder keine Babys mehr. Es sollte für ein Wochenende ans Meer gehen – bisschen Luft um die Nase pusten lassen und eine Taufe mitfeiern. Also kündigte ich an: „Hey, wisst ihr was? Ihr packt dieses Mal eure Koffer ganz allein! Ich mach mal nichts!“ 

Wie cool ist das denn?!, befanden die Kids. Und ich riss mich zusammen und freute mich sogar ein bisschen auf die Beantwortung der Frage, ob Kinder eigentlich packen können. Ich war sogar tapfer genug, vor der Abfahrt nicht noch einmal in ihre Taschen zu schauen. Wenn schon loslassen, dann richtig. 

Na gut, ein „Habt ihr alles?“ konnte ich mir nicht verkneifen. Und es wurde bejaht. „Ihr wisst, wir müssen uns auch schick machen fürs Fest.“ Ja, ja... Dann fuhren wir los. Und am Zielort hatte eins der drei Kinder auch tatsächlich ungefähr das im Koffer, was man für ein Wochenende halt so braucht. Sogar Zahnbürste und Pyjama! 

Bei seinen Geschwistern gestaltete sich das allerdings anders: Als eines von ihnen in unserem Ferienhaus sein Rollköfferchen öffnete, lachte mir ein Fußball entgegen… ein Fußball, drei Paar Socken und ein kompletter Trikotsatz von Werder Bremen. „Aber Mama“, sagte das fröhliche Kind, „du hast doch gesagt, wir sollen was Schickes mitnehmen!“ 

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