Hamburger Happen

Näher dran geht nicht: Magdalena und Odo halten Hamburgs letzte Hafenimbisse am Laufen. Wer ihnen und ihren Gästen zuhört, lernt etwas über das Leben – und wie es sich verändert hat. Schon allein dafür unbedingt einen Besuch wert

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Datum: 03.11.2023
Lesezeit: 8 Minuten
Imbiss Zum lütten Foffteiner im Hamburger Hafen
Die Hungrigen verlangen traditionell nach kräftiger Kost, zum Beispiel im Imbiss Zum lütten Foffteiner

Halb vier in der Nacht, die Stadt liegt still. Wolken vor dem Mond und Nieselregen. Hamburg gibt sich mal wieder gar keine Mühe. Odo Wehr, blaue Augen zum blauen Käppi, ist das egal. Schlechtes Wetter, trotzdem gute Laune – aber wie jetzt, er soll nun Fragen beantworten? Na, dann fix.

Odo hat zu tun. Ist seit drei Stunden am Machen, Brötchen in die Vitrine, Pulver in die Maschine, seine ersten Pappenheimer bereits da. Der Hafen wacht vor der Stadt auf, und Odo vor dem Hafen. Dunkelheit überall, aber sein Container wirft Licht auf die Straße, wo die breiten Männer in diesem Halogenkorridor stehen und schweigend ihren Kaffee trinken. Stühle gibt es bei Odo keine, Tische auch nicht. Wichtig nur, dass die Sprüche sitzen.

Die Pausen im Hafen: sowieso knapp. Odo schmiert die Brötchen deshalb mit dem Spachtel, geht schneller, 400 Stück jede Nacht. Am Morgen werden sie alle verkauft sein. Seine Kaffeeklappe hat Premiumlage in Steinwerder, nah bei den großen Namen der Elbe: Blohm & Voss, ThyssenKrupp und dem Musical König der Löwen. Noch näher, moin, Jungs, die kleineren Namen: Mike, Harry, Rainer. Könige des Asphalts. Wobei der Mike, verrät jetzt Odo, senkt die Stimme dafür, der sei eigentlich kein Trucker mehr, komme aber noch für das Frühstück – aus Lübeck wohlgemerkt. Wie Mike das seiner Frau erklärt, will Odo gar nicht wissen.

400 Brötchen pro Nacht: In Odos Kaffeeklappe sind die Rundstücke oft schon am Morgen ausverkauft. Karin (Bild) verkauft regelmäßig mit

Kein Businessplan, einfach machen

Er heißt übrigens wirklich Odo. Und wer so heißt, das hat er geahnt, muss im Imbiss landen, früher oder später. Bei ihm war es später, denn früher hat Odo auf Dienstleister gemacht, für Spediteure und Reeder. Bis der Imbiss zum Verkauf stand und er sich sagte: Das kann ich auch. Kein Businessplan, keine Marktanalyse. So einfach ist es manchmal, oder zumindest muss man tun, als sei es so einfach. Odo sagt, leiser: muss ja.

Was muss denn, Odo? Weichen musste er. Das Gelände wurde verändert, für den Container war kein Platz mehr. Die Hafenverwaltung teilte der Kaffeeklappe einen Grünstreifen einige Hundert Meter weiter zu. Zur Eröffnung Ende September 2021 beehrte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher Odo mit den Worten: „Habe gehört, Sie sind der Chef der Kaffeeklappe.“ Odo konterte: „Habe gehört, Sie sind der Chef von Hamburg.“

Der Hafen – nicht mehr derselbe

So ganz auf Odo und seine Vollversorgung, das wenigstens wissen sie in den Büros, in denen so was wohl entschieden wird, können sie nicht verzichten. Leute wie er sind im Hamburger Hafen, dem drittgrößten Europas, noch immer ein wichtiger Teil der Infrastruktur, auch wenn ihre Welt den Touristen in den Hafenrundfahrtbarkassen verborgen bleibt.

2008 hatte man ihm schon mal gekündigt. Die Trucks, die am Container parkten, würden Unfälle provozieren, hieß es. Odo schrieb dem damaligen Bürgermeister einen offenen Brief: „Lieber Ole, ’tschuldige, wenn ich Dich beim Vornamen anspreche, aber im Hafen sagt man Du …“ Und dieser Ole, von Beust heißt er, kam persönlich vorbei und brachte den Verwaltungsboss gleich mit und einen neuen Mietvertrag sowieso. Was auch besser war, schließlich hatten die Trucker gedroht, gleich vier Lkw auf den Reiherdamm zu stellen, eine wichtige Verkehrsader im Hafen, und alles zu blockieren, falls man ihren Odo fortschickt.

Im Hafen sagt man Du

Imbissbetreiber Odo in seinem Brief an den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust.

Er blieb im Hafen, aber der Hafen nicht derselbe. Sein Imbiss war immer auch Stimmungsseismograf, Abbild der Auftragslage. Wenn bei der Großwerft Blohm & Voss richtig Betrieb war, standen die Arbeiter bei Odo Schlange für seine Brötchen. „Die Gegend ist ein Stück weit tot, seit der Freihafen gefallen ist“, brummt Odo, wühlt im Kühlschrank, plötzlich gar nicht mehr gut gelaunt. 2013 wurde aus dem Freihafen ein Seezollhafen. Und dann folgten zwei Pandemie-Jahre, ein Krieg, Inflation.

Immerhin, sein Imbiss hat das alles überstanden. Andere nicht. Und sind wir nicht deshalb gekommen? Um zu verstehen, was fehlt, wenn wieder einer dieser Orte für immer seine Türen schließt? Um zu schauen, wer da hinter der Theke steht. Und wer davor? Schon seit Jahren ging es den Buden nicht gut. Der Imbiss als Relikt. Auf die Schönen und Gesunden und Achtsamen, auf all jene also, die aussehen wie ihr eigenes Instagram-Selfie, muss ein derber Schaschlikspieß wirken wie die obszöne Speise einer untergegangenen Welt. Wenn sie in den hippen Kiezen der Republik Fast Food verkaufen, dann als Sushi oder vegane Burger mit Pattys aus Bohnen. Eine Wirtschaftsauskunftei warnte schon im Herbst 2020 vor einer Insolvenzwelle der Gastronomie im Norden: Imbisse und Cafés seien besonders gefährdet. Zuletzt drohte jedem achten Gastronomiebetrieb das wirtschaftliche Aus.

Die, die bleiben, sind umso wichtiger, völlig klar: als Heimat und Zuflucht, Beichtstuhl und Sorgenbrecher. Relevant für das System Hafen. Für Hafenarbeiter, Fernfahrer und Zöllner, Tagelöhner und Zeitarbeiter, Männer im Blaumann, Schutzhelm unterm Arm.

Das Schnitzel bei Magdalena Meierdirks im „Lütten Foffteiner“ (rechts) wird mit cremigem Kartoffelsalat serviert (links) – die "Männlein" (so nennt sie ihre männlichen Kunden) lieben sie auch dafür

Der halbe Hafen ist in Magdalena verliebt 

Noch ein Stopp, ein letzter in dieser kleinen, seltsamen Welt, zur Mittagszeit. Das heißt: elf Uhr. Man braucht Erbauung nach den Hiobsbotschaften, und dafür gibt es keinen besseren Ort als den Lütten Foffteiner. (Fofftein meint auf Platt die 15-minütige Pause, lütt heißt klein, denn die Viertelstunde ist oft kürzer, länger nie.) Und es gibt dafür keine bessere Frau als Magdalena Meierdirks. Der halbe Hafen ist in sie verliebt, man selbst auch bald, was daran liegt, wie sie mit allen redet. Wenn die Trucker jammern, und sie jammern häufig, sagt sie: „Hör mal auf zu jammern. Du musst es annehmen.“ Wenn jemand stresst, und manche stressen ja immer, sagt sie: „Ich hab auch nur zwei Hände.“

Wenn man lange genug wartet, ist es dann halt Kult

Imbissbetreiberin Magdalena

Meierdirks und ihr Foffteiner, seit 1999 an der Dessauer Straße. Eingeklemmt zwischen Moldauhafen, Saalehafen, Hansahafen. Der eigentliche Hafen aber, logisch, sie selbst. Das mit dem Imbiss war eine Idee ihres Ex, der am Kai malocht hat. Besser als die Steakhäuser und Kneipen, wo Meierdirks vorher serviert hat. „Ich mag den Umgang mit meinen Männlein“, sagt sie und lacht. Dann sind Currywürste fertig, und sie ruft zwei Bauarbeiter, die nach Münzen nesteln. Meierdirks, nach vorn gebeugt, grinst, wartet. Am Fenster links um die Ecke kriegt man das Schnitzel und ein paar Sprüche. Große Klappe. Sie dahinter.

Kein Geld für geruchloses Fett

Wie lange es diese Welt noch geben wird? Draußen, im Rest des Landes, wird immer wieder diskutiert, ob eine Currywurst, eine Bulette noch zeitgemäß ist. Ein Ex-Kanzler verteidigte sie einmal als den „Kraftriegel der Facharbeiter“. Die Debatte muss auf die, die am Hafen ihren Heller verdienen und jeden Tag eine Currywurst essen, wirken wie der Ausdruck einer neuen Zivilisation, die die alte überwuchert.

Eigentlich muss man aber über Meierdirks und den Foffteiner und vielleicht alle Imbisse, die es im Hafen noch gibt, nur eine Geschichte erzählen, die alles erklärt, und die geht so: Zu Meierdirks kam mal einer, der wollte Bratfett verkaufen. Kein normales, sondern so ein Edelfett, das nicht riecht – 40 Euro für zehn Liter. Mit zehn Litern kommt sie aber nicht weit, Meierdirks verbraucht allein 20 Liter pro Woche. Und wer sagt ihr, sie wedelt mit dem Fritteusenkorb, dass das geruchlose Fett wirklich besser ist? So wie sie das sieht, zahlt dafür keiner ihrer Männlein auch nur einen Euro mehr, und aus dem gleichen Grund klebt Meierdirks auch keine neue Tapete in ihren alten Container. Alles bleibt, wie es ist. „Und wenn man lange genug wartet“, seufzt Meierdirks, „ist es dann halt Kult.“

Kult im Hafen: Die Veddeler Fischgaststätte feierte 2022 ihr 90-jähriges Bestehen und gilt damit als älteste Fischgaststätte Hamburgs. Vor Ort wählt man zwischen der großen (7 Fischfiletstücke), mittleren (5) und Baby-Portion (3) aus, als Beilage gibt es Pommes frites oder Kartoffelsalat

Die Letzten ihrer Art

Die Kaffeeklappen im Hamburger Hafen – tatsächlich oft große Speisehallen – entstanden Ende des 19. Jahrhunderts zur Versorgung der Hafenarbeiter. 1914 verteilten sich rund 20 davon über den Hafen. Mit dem Strukturwandel kam ihr Niedergang, 1985 verschwand die letzte traditionelle Kaffeeklappe. Seither erfüllen privat geführte Imbisse diese Funktion, doch auch sie werden immer weniger.

Für alle Imbisse gilt: Ihre Betreiber:innen freuen sich über alle Gäst:innen, selbstverständlich auch Tourist:innen. Die Imbisse öffnen früh am Morgen und schließen meist am Nachmittag.
Samtags, Sonn- und Feiertags geschlossen.

ODO’S KAFFEEKLAPPE
Steinwerder Damm 4
20457 Hamburg
In Steinwerder hinter Blohm & Voss, nahe dem Cruise Center.
Samstag und Sonntag geschlossen, keine eigene Internetpräsenz.
Anfahrt: Mit der Fähre 73 bis zum Anleger Argentinienbrücke, dann noch 5 Minuten zu Fuß.

ZUM LÜTTEN FOFFTEINER
Dessauer Straße 10
20457 Hamburg
Auf dem Kleinen Grasbrook.
Samstag und Sonntag geschlossen, keine eigene Internetpräsenz.
Anfahrt: Bis S-Bahn-Station Veddel (Ballinstadt), von dort 10 Minuten zu Fuß.

SCHMÜCKIS TRUCKER TREFF
Kreuzbrook 30
20537 Hamburg
Nahe der Bille, einem Nebenfluss der Elbe, im Osten des Hafens gelegen.
Samstag und Sonntag geschlossen, keine eigene Internetpräsenz.
Anfahrt: Mit dem Bus 530, Haltestelle Hammer Deich (Ost).

VEDDELER FISCHGASTSTÄTTE
Tunnelstraße 70
20539 Hamburg
Auf der Veddel, nahe den Elbbrücken.
Anfahrt: Bis S-Bahn-Station Veddel (Ballinstadt), von dort 15 Minuten zu Fuß.

VEDDEL DINER
Schlenzigstraße 20
21107 Hamburg
In Georgswerder, nahe dem Spreehafen
Anfahrt: Bis S-Bahn-Station Veddel (Ballinstadt), von dort knapp 20 Minuten zu Fuß.

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