Mit Fritz aus dem Kessel

Steile Hänge, viel Verkehr: Radeln in Stuttgart war oft anstrengend. Doch die Stadt wandelt sich, wie so viele. Unser Reporter erprobte neue Wege und die wohl modernste Flotte von Leih-Pedelecs im Land

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E-Lastenrad in Stuttgart
Berthold Steinhilber für DB MOBIL
Unter Hirsches Augen: Auf dem ­E-Lastenrad passiert unser Autor das Kunstgebäude Stuttgart

Am Hauptbahnhof steige ich aus dem Regional-Express, lasse mich im Menschenstrom zum Ausgang Innenstadt treiben. Eine halbe Stunde zuvor, im Zug, meldete ich mich beim Leihradsystem RegioRadStuttgart an, nun tickt der Reservierungscountdown von 45 Minuten. Kurzer Blick auf die RegioRad-App, im Kartenmodus: Zwischen Bahnhofs­gebäude und Königsstraße, Stuttgarts Einkaufsmeile, muss die Radstation sein. 
RegioRad gehört zum bundesweiten Leihradsystem Call a Bike mit mehr als 16 000 Rädern in derzeit 80 Städten und Kommunen. Betrieben wird es von der Bahntochter DB Connect. Idee dabei: Bahn- und Radfahren verzahnen, die „Anschlussmobilität“ verbessern, Menschen generell ermuntern, statt des Autos umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu nutzen. Aber klappt das, und was taugt das Angebot? Um das herauszufinden, schwinge ich mich für einen Tag auf die Sattel der blauen Flotte.

Stuttgart eignet sich wie kaum eine zweite Stadt für einen Härtetest. Die Kessellage verlangt Radfahrer:innen einiges ab, es geht zuweilen steil zu. Außerdem war die Hauptstadt Baden-Württembergs lange nicht als Radparadies bekannt, erprobt aber seit einiger Zeit vieles von dem, was landesweit zu beobachten ist: Aus den Vororten führen sogenannte Hauptstadtrouten ins Zentrum. Einbahnstraßen werden für Radler:innen freigegeben, das Umland ist über Radschnellwege angebunden.

Deshalb starte ich zum Aufwärmen mit einem Pedelec. An der Station tippe ich aufs Display des für mich reservierten Rads und entriegele es. 1500 RegioRäder stehen an den 200 Leihstationen in Stuttgart und Umgebung. Mehr als 550 davon sind Pedelecs. Mühelos rausche ich durch die Innenstadt. Schalten muss man nicht, das Display (wie die App) zeigt den Akkustand an. Ich passiere Cafés, wo Tische gerückt werden, cruise über den Schlossplatz, wo auf sattgrünen Rasenflächen Menschen lesen oder sich sonnen, und vorbei am Alten Schloss. Ich fliege förmlich durch die Stadt – der Elektromotor verleiht jedem meiner Tritte Schub. Nie wieder normales Fahrrad, denke ich.

Am Marienplatz packt mich die Lust auf Kaffee. Ich gebe das Pedelec an der Station zurück und komme dabei ins Gespräch mit Felix, rote Bomberjacke und gelber Rucksack, der routiniert ein Rad aufschließt. „Nee, Fahrrad hab ich keins“, sagt er. „Ich fahre mit dem Motorrad zur Arbeit. Wenn ich ein Rad brauche, dann nehme ich mir eins.“ RegioRad findet er deshalb praktisch – als Kunde des Verkehrsverbunds der Region hält er seine Polygo-Card an den Lenker, und das Rad öffnet sich. So fährt er 30 Minuten umsonst, 15 Minuten mit Pedelecs. Nun will er mit einer Freundin zu einem koreanischen Restaurant. „Sie hat ein Fahrrad, ich nicht – so passt’s aber trotzdem“, sagt er und grinst.

Berthold Steinhilber für DB MOBIL
Kaffeepause am Marienplatz – hier befindet sich eine von mehr als 200 RegioRad-Stationen

Ich selbst steige um auf ein Lastenrad. Ich habe zwar nichts zu transportieren, wollte so eins aber immer mal fahren. Es misst beachtliche 2,50 Meter, wird ebenfalls elektrisch unterstützt und hat vorn eine Ladebox, in die ein Bierkasten passt oder ein kleines Regal. Oder zwei Kinder, die auf der ausklappbaren Bank mit Gurten Platz finden. Abdecken lässt sich die Ladebox mit einer Plane. Jedes der zehn RegioRad-Lastenräder hat einen Namen, meins heißt FritzBlitz. Der Lenkpunkt ist ungewohnt weit vorn, muss man ein bisschen üben. Aber nach kurzer Zeit habe ich den Bogen raus. 

Fritz zieht Blicke auf sich. Passant:­innen gucken uns nach, Kinder zeigen fröhlich mit Fingern auf uns. Ich will raus aus der City, hinauf in die Hügel, die Stuttgart umgeben. Ob das Rad die Alte Weinsteige mit 13-prozentiger Steigung packt? Nur wenige Radler:innen nehmen das auf sich, sie schnallen ihr Gerät lieber auf die Plattform der Zahnradbahn „Zacke“, die sich hier hochkämpft. Der schwere Fritz ächzt ein bisschen (ich sowieso), schlägt sich aber wacker. Auf halber Strecke zieht die Zacke an uns vorbei. Irritierte Blicke der Insass:innen. Ich strampele weiter, fast übermütig. Für die Verkehrswende. Fürs Klima. Zumindest bis zur Wielandshöhe.
Die belohnt mit einem Panoramablick über den Kessel, aber auch über Wälder und Rebstöcke. So weit der Blick reicht, kann man mit den RegioRädern fahren – und sogar darüber hinaus: Mehr als 40 Umlandgemeinden sind an das Leihradnetz angeschlossen.

Wir kehren zurück ins Tal. Bergab nehmen wir ordentlich Tempo auf, der Fahrtwind kühlt mich. Ein paar letzte Kurven, dann gebe ich Fritz an seiner Heimatstation ab – anders als Räder und Pedelecs müssen die Lasten­räder immer dorthin zurück­gebracht werden. 
Zu guter Letzt leihe ich ein normales Rad, um mal den ganzen Fuhrpark von RegioRad probiert zu haben. Läuft: In der Ebene des Stadtkerns kommt man auch ohne E-Antrieb locker von A nach B. Will man in Stuttgarts höher gelegene Stadtteile oder mal weiter rausfahren, empfehlen sich dagegen die Pedelecs.
Und wenn einem draußen vor der Stadt trotzdem die Puste aus- oder die Lust vergeht: Rad einfach am Bahnhof zurückgeben und sich mit Bus und Bahn nach Hause bringen lassen. 

Weitere Informationen und Preise finden Sie unter regioradstuttgart.de.

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