Wenn Autos fliegen und Straßen erblühen

Der Grafikdesigner Jan Kamensky zeigt Straßen in Berlin, München und Wien, wie sie sein könnten: grün, belebt – und frei vom Autoverkehr. Seine Visionen versetzen Städteplaner:innen in Begeisterung

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Datum: 27.07.2023
Lesezeit: 7 Minuten
Rotes Rathaus Berlin, davor Autos, die verschwinden und einem Park mit Blumen und Vögeln weichen
© Jan Kamensky
Auf und davon: Während die Autos gen Himmel fliegen, lässt Jan Kamensky vor dem Roten Rathaus in Berlin einen üppig bewachsenen Park entstehen

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Am Candidplatz im Südosten von München ist die Hölle los. Autos verstopfen die Kreuzung, hektisches Hupen aus allen Richtungen, nichts geht voran. Plötzlich beginnen Verkehrsschilder und Ampeln zu wackeln, lösen sich vom Boden, so wie die Autos, die eines nach dem anderen in den Himmel fliegen. 

Man traut seinen Augen kaum, denn wo gerade noch Asphalt war, sprießen Bäume und Pflanzen aus dem Erdboden. Wo sich der Verkehr staute, flanieren jetzt Menschen durch Grünanlagen, flitzen Fahrräder umher, bieten Marktstände Waren an. Nach zwei Minuten Video ist das ein anderer Ort – der Candidplatz, wie man ihn noch nie gesehen hat. 

Die wundersame Verwandlung ist das Werk des Grafikdesigners Jan Kamensky, der mit seiner zweiminütigen Animation zeigt, wie ein innerstädtischer Raum ohne motorisierten Verkehr aussehen könnte. Ob der Platz am Roten Rathaus in Berlin, die Reeperbahn in Hamburg oder der Barbarossaplatz in Köln – in seinen Videos transformiert der 36-Jährige Straßen und Plätze in blühende Zonen ohne Autos und setzt damit der Realität eine alternative Vorstellung entgegen. „Ich möchte dazu anregen, Orte mit anderen Augen zu sehen“, sagt Kamensky. 

© Jan Kamensky
© Jan Kamensky
Grüne Vision: In seiner Animation transformiert Jan Kamensky das Viertel an der U-Bahn-Station Candidplatz in München in Grünanlagen mit Gemüseanbau und Marktständen

„Ich will nicht warten, ich will jetzt etwas tun“ 

Das klingt nach einer Mission, und tatsächlich hatte der Hamburger eine Art Erweckungserlebnis, das alles in Gang setzte. Während der Pandemie begann er, Bücher über die Zukunft unseres Planeten zu lesen, darunter das Werk „All you need is less“ von Manfred Folkers und Nico Paech, das Achtsamkeit und einen nachhaltigen Lebenswandel propagiert. 

Im Lockdown kursierten Bilder vom autofreien Times Square oder den Champs-Élysées im Fernsehen, auch in Hamburg spürte Kamensky die wohltuende Ruhe leerer Straßen. In dieser Zeit reifte sein Wunsch nach einer anderen Stadt. „Damals fragte ich mich, wie lebenswert Straßen und Viertel sein könnten, wenn sie nicht vom Pkw-Verkehr dominiert werden.“ 

Für Kamensky war klar: „Ich will nicht warten, bis die Politik etwas bewegt. Ich will jetzt etwas tun.“ Und das mit den Mitteln, die er beherrscht – der bildlichen Darstellung. Er schlenderte durch die Straßen und begann sich an verkehrsreichen Orten wie der Max-Brauer-Alle oder der Reeperbahn in Hamburg umzuschauen, machte Fotos und bewegte im Kopf die Frage: „Wie könnte das, was jetzt versiegelt und grau ist, menschenfreundlich aussehen?“ 

In einer seiner ersten Arbeiten verwandelt er den tristen Holstenplatz in Hamburg-Altona in eine Oase mit einem Teich und Blumenbeeten, Bänken und Sitzecken. Kein Auto fährt mehr durch den Ort, dafür eine Straßenbahn, für Kamensky neben dem Fahrrad das Verkehrsmittel der Wahl in der Stadt. 

© Selim Sudheimer
Verwandlungskünstler: In seinen Videos arbeitet Jan Kamensky mit Fotos von verkehrsreichen Straßen und Plätzen und lässt seiner Fantasie freien Lauf

Animierte Autos gehen in die Luft

Was in zwei Minuten vor den Augen des Betrachters, der Bertrachterin geschieht, ist das Produkt einer detailreichen Komposition am Bildschirm. Zunächst macht Kamensky Fotos von den Orten, die er später am Computer bearbeitet. Er retuschiert die Autos weg, bis nur noch die Gebäude am Ort zu sehen sind. „Das ist für mich die weiße Leinwand, auf der ich dann beginne zu gestalten.“ 

Danach setzt er verschiedene freigestellte Objekte ein, Bäume, Blumen, Teiche, Sitzgruppen, und schließlich Autos und Verkehrsschilder, die später mithilfe eines Animationsprogramms in die Luft fliegen.  

Gerade arbeitet er an der Neuerfindung eines Platzes in Brühl. Noch stehen am Belvedere in der Innenstadt viele Autos. „Parkplätze sind der Horror“, sagt Kamensky, weil er die Pkws alle wegretuschieren muss, bevor er sie später wieder einsetzt, um sie in die Luft gehen zu lassen. 

In diesem Fall kam die Kommune auf ihn zu und bat ihn um Ideen. Zunächst wird er eine grobe Malskizze anfertigen. Darauf sollen Schüler:innen ihre Entwürfe aufmalen, später soll daraus eine konkrete Animation hervorgehen. „Dass aus der Idee eine Aktion wird, finde ich besonders toll“, sagt Kamensky, „es geht ja nicht allein um meine Vorstellung, sondern auch darum, bei anderen utopische Gedankenspiele in Gang zu setzen.“

© Jan Kamensky
© Jan Kamensky
Platz da! Wo heute noch Autos das Geschehen am Kölner Barbarossaplatz dominieren, könnten in Zukunft Fußgänger flanieren

Nicht immer stößt er damit auf Zustimmung. Auf Twitter stellte ihm ein Kritiker die Frage, warum er belebte Straßen in Friedhöfe verwandele. „Ich habe mich dann gefragt, warum man Autoverkehr, Lärm und Luftverschmutzung mit Lebendigkeit verbindet?“ 

Immer öfter geht er nun auch aus der Deckung des Designers am Schreibtisch und mischt sich ein in öffentliche Diskussionen. So stellte er in München im Auftrag der Zukunftsorganisation „MCube“ seine Arbeit im Austausch mit Bürger:innen vor und hielt einen Vortrag an der Universität von Amsterdam zum Thema „Making Utopias Visible“. 

Zuletzt reiste er nach Lissabon, vier Tage lang mit der Bahn, um zusammen mit einer Umweltorganisation eine innerstädtische Kreuzung neu zu erfinden. Die Grenze zwischen Kunst und Aktivismus sei fließender geworden, räumt er ein. 

Sein Ziel: Sehgewohnheiten verändern 

So verspielt seine Animationen auch auf den ersten Blick wirken, sie folgen doch meist einer klaren Richtung: Autos raus, Fahrräder und Öffis rein, eingebettet in eine fast paradiesische Umgebung. Seine Bildvisionen sind immer auch Bildmissionen, die in unterhaltsame Szenen übersetzen, was Apologet:innen der Mobilitätswende in rationalen Argumenten deklamieren. 

50 Utopien hat er schon entworfen, 50-mal lösen sich Autos und Verkehrsschilder in Luft auf – wird es ihm damit nicht langweilig? „Ehrlicherweise zeige ich immer das Gleiche“, gibt Kamensky zu. 

Und doch hält er fest an seinem Ziel, Menschen mit den Mitteln der Inspiration für grüne Innenstädte zu begeistern. So wie die Surrealist:innen in den bildenden Künsten darauf drängen, den Schleier der Realität zu zerreißen, um Raum für Visionen und Träume freizusetzen, so glaubt auch Kamensky an den Einfluss seiner Arbeiten auf das Bewusstsein. „Meine Zukunftsbilder können Sichtweisen verändern, und das ist vielleicht der erste Schritt zum Wandel.“ 

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