Lernen unsere Kinder durch die Pandemie endlich, sich wieder zu langweilen?

An dieser Stelle schreiben abwechselnd Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim rund ums Unterwegssein mit Kindern (und Mann) – sofern das in diesen Zeiten möglich ist. Heute fragt sich Katharina Nachtsheim, ob unsere Kinder lernen können, sich wieder zu langweilen

Von:
Lesezeit: 4 Minuten
Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim

Eigentlich würde ich mir jetzt gerade die Skier schnappen und die Kinder zur Skischule bringen. Mit der Gondel ginge es dann bis auf 2300 Höhenmeter rauf, mein Herz würde hüpfen, wie es immer hüpft, wenn ich schneebedeckte Berggipfel sehe. Ich würde mittags einkehren, Germknödel essen und danach noch ein paar Abfahrten machen. Am Nachmittag kämen die Kinder glücklich und ausgepowert aus ihren Skikursen und wir würden den Tag gemütlich ausklingen lassen.

Eigentlich.

Stattdessen sitzen wir pünktlich zum Start der Berliner Skiferien zu Hause. Das Wetter ist mies, die Laune nicht viel besser. Nach viereinhalb Wochen Homeschooling und noch viel mehr Wochen mit stark reduzierten Kontakten hätten wir alle einen Tapetenwechsel gebraucht.
Fast ein Jahr ist unser Radius nun so klein wie nie zuvor, wir kennen hier jeden Spazierweg, jedes Kartenspiel ist schon dreißigmal durchgespielt, und ohne Input von außen zieht sich der Tag manchmal wie Kaugummi.

Und so kommt irgendwann der Satz, der kommen muss und der Eltern wahninnig macht: „Mir ist sooooooo langweilig.“ Die Standardantwort darauf: „Wie kann dir langweilig sein? Dein Zimmer ist doch voller Spielzeug.“ Dann folgt verächtliches Schnauben des Kindes, worauf die Eltern sagen: „Also mir war früher nie langweilig! Ich habe stundenlang alleine gespielt.“

Schieben wir die Nostalgie mal zur Seite und gucken uns unsere Kindheit mal genauer an. Was stimmt: Ich habe früher stundenlang ohne elterliche Begleitung gespielt. Meine Mutter war nie mit uns auf dem Spielplatz, sie hat nie nachmittags mit uns gebastelt oder Mandalas ausgemalt. Ich hatte nur einen Nachmittagstermin pro Woche, die restlichen Nachmittage verbrachte ich mit Playmobil oder ich zog mit den Nachbarskindern durch die Gegend, bis die Straßenlaternen angingen.

Heute haben schon Babys einen vollen Terminkalender – Babymassage, PEKIP, musikalische Früherziehung. In der Kita kommt der erste Vereinssport dazu, in der Schule der zweite und natürlich ein Instrument. Die meisten Kinder gehen bis nachmittags in die Betreuung, danach fährt Mama sie zu den Hobbys. Leerlauf gibt es kaum, Langeweile auch nicht.

Und dann kam Corona. Es fühlte sich in vielen Bereichen des Lebens so an, als habe jemand im ICE bei voller Fahrt die Notbremse gezogen. Plötzlich Stillstand und so viel Verzicht. All die Routinebeschäftigungen und planmäßigen Ablenkungen fielen weg, Familien hatten plötzlich sehr viel Zeit gemeinsam.

Bei uns hat es erstmal geknallt. Die Kinder vermissten ihre Freunde und hatten keinen Bock, 24/7 mit ihren nervigen Geschwistern abzuhängen. Plötzlich gab es auch keinen Sporttrainer oder Musiklehrer mehr, der vorschrieb, was sie zu tun hatten. Sie mussten ihre Nachmittage selbst gestalten und ausfüllen. Natürlich war ihnen da Drölfmillionen Mal langweilig. Jeden Tag realisierten sie aber mehr, dass keine schnelle Lösung in Sicht ist ¬und wenn man nicht nonstop gelangweilt auf dem Boden rumliegen will, muss man kreativ werden. Und wenn die Kumpels eben nicht verfügbar sind, tut es doch auch die kleine Schwester.

Plötzlich wurden die alten Legokisten ausgeschüttet und alle Männchen neu ausgestattet. Die Große fing an, zu weben und zu häkeln. Gemeinsam bauten sie Höhlen aus Decken und Kissen, picknickten darin. Meine Tochter brachte sich selbst das Einrad-Fahren bei, jeden Tag übte sie mit eiserner Disziplin, bis sie unter Applaus der ganzen Familie den Zaun losließ und einfach die Straße entlangfuhr. Ich bin mir sehr sicher, dass das in unserem normalen Alltag so niemals stattgefunden hätte.

Klar sind meine Kinder an manchen Tagen ganz schrecklich voneinander genervt, aber im Großen und Ganzen spielen sie so schön und kreativ miteinander wie nie zuvor. Und neulich, als ich meine Vierjährige fragte, ob sie Lust habe, irgendwas zu unternehmen, sagte sie: „Nö, ich chill hier lieber noch im Schlafanzug.“ Scheint, als hätten sich die Kids an diese neue Langsamkeit gewöhnt.

Aber bevor es hier zu schmusig wird: Auf Dauer ist das alles nichts. Kinder brauchen andere Kinder – denn ja, ich habe zwar früher nie mit meiner Mama auf dem Spieleteppich gesessen, aber ich war selten alleine. Immer klingelte ein Nachbarskind und fragte, ob ich rauskommen kann. Genau das fehlt unseren Kindern. Seien wir also nachsichtig, wenn die Kinder mal wieder über Langeweile motzen und fragen wir uns selbst, wie wir es gefunden hätten, wochenlang 24/7 mit unseren Eltern zusammen zu sein. Na? Genau…

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.