Maja Göpel: „Wir müssen erwachsen werden“

„Verzicht“ wird immer mehr zum Kampfbegriff in der Klimadebatte. Mit ihm entmutige man die Menschen, heißt es oft. Die Bestsellerautorin Maja Göpel ist anderer Meinung. Sie sagt, dass Verzicht erst richtig glücklich macht. Mutige These

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Maja Göpel Spiegel
Hannes Jung / laif
Spieglein, Spieglein in die Zukunft: Maja Göpel im Berliner Ausstellungshaus „Futurium“. Die Transformationsforscherin untersucht, wie wir durch grundlegende gesellschaftliche Veränderung Probleme wie Klimawandel und Artensterben in den Griff bekommen können

Frau Göpel, Fortschritt wird oft mit Wachstum gleichgesetzt. Sie finden dieses Denken nicht mehr zeitgemäß. Ist Wachstum schlecht?

Es kommt darauf an. Es gibt gutes und es gibt schlechtes Wachstum. Ich wünsche mir gutes.

Was ist gutes Wachstum?

Wenn etwa Ökosysteme in ihrer Widerstandsfähigkeit, ihrer Schönheit, ihrer Diversität wieder wachsen, ist das natürlich wünschenswert. Genauso wünsche ich mir, dass wir den Gesundheits-, den Pflege- und den Bildungssektor wachsen lassen, was sowohl die Zahl der Personen betrifft, die dort arbeiten, als auch das, was sie verdienen und wie sie wertgeschätzt werden.

Welches Wachstum brauchen wir nicht?

Jenes, mit dem wir nur auf schnellen Profit und hohe Renditen abzielen und aktuell unsere lebenserhaltenden Systeme zerstören. Wenn Wirtschaftswissenschaftler von Wachstum sprechen, meinen sie meistens das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP. Aber das BIP misst viele Faktoren nicht, von denen wir wissen, dass sie Zutaten für ein sicheres und gutes Leben sind. Stattdessen steigt es auch, wenn die Natur zerstört wird, weil dann jemand dafür bezahlt wird, wieder aufzuräumen. Es steigt, wenn Menschen krank geworden sind, weil jemand zur Heilung herangezogen werden muss, aber nicht, wenn viele gesund bleiben. Es zeigt also einfach nur an, wie viel Geld für Produkte und Dienstleistungen bezahlt worden ist. Das ist noch kein Fortschritt.

Was sind denn die Zutaten für ein glückliches, fortschrittliches Leben?

Auf jeden Fall macht immer mehr nicht immer glücklicher, sowohl was den Konsum als auch was beispielsweise die Arbeitswelt angeht. Wir sprechen momentan oft vom „Zeitwohlstand“ – dem Wunsch, weniger gestresst den Alltag zu verbringen. Nicht mehr so viel machen zu müssen und mehr Freizeit zu haben. Doch dieses „viel machen“ ist ja deshalb notwendig, weil die Wirtschaft immer mehr wachsen soll. Dass das nicht nötig ist, hat uns auch Corona gezeigt.

Wodurch?

Die Pandemie hat uns genötigt, Prioritäten zu setzen. Wir haben erkannt, auf welche Bedürfnisse es vor allem ankommt: Gesundheit, ein sicheres Dach über dem Kopf, gute Ernährung, gute Informationen, Hygiene, würdevolle Pflege, wenn nötig, und gute Beziehungen, bei denen wir uns eingebettet und geschätzt fühlen.

Aber wenn diese Grundbedürfnisse befriedigt sind, gehören dann nicht noch andere Dinge zum guten Leben – Zerstreuung, Spaß, Genuss?

Es geht ja nicht darum, dass wir diese Bedürfnisse eingesperrt befriedigen sollen. Vor allem genussvolles Erleben hat doch viel mit Fokus und Entschleunigung zu tun: Ich lasse mich voll auf etwas ein – auf ein Konzert, eine Vorlesestunde mit meinen Kindern, auf das Kochen und Essen, auf einen Spaziergang mit Freunden.

Für viele Menschen spielt bei der Frage der Lebensqualität auch der Vergleich mit anderen eine zentrale Rolle: Wo stehe ich, wie kann ich mich von anderen abheben?

Hier geht es um die soziale Einbettung, die auch wichtig ist für die empfundene Lebensqualität. Wir sind Stammeswesen.

Und deshalb wollen wir besser sein als die anderen?

In den sozialwissenschaftlichen Forschungen zu hoher Lebenszufriedenheit findet sich immer wieder der relative Vergleich mit anderen als zentraler Faktor, insbesondere mit der Gruppe, der wir gern angehören möchten. Gerade wenn Statuskonsum stark inszeniert wird, wenn Zugang zu guten Schulen, Wohnlagen, Gesundheitsversorgung oder Netzwerken von hohen Einkommen abhängt, steigt die Sorge, abgehängt zu werden – innerhalb der Gesellschaft allgemein und in Gruppen im Speziellen. Das verschwindet auch nicht, wenn jemand reich geworden ist.

Es ist also niemals genug?

Nicht ohne gesellschaftliche Veränderung. Umfragen zeigen, dass gerade in angelsächsischen Ländern viele Menschen, die zum reichsten Prozent zählen, immer noch gestresst sind, weil sie nicht zu den 0,1 Prozent der Superreichen gehören. Durch immer mehr Konsum werden wir diese Spirale nicht durchbrechen.

Ideale zu haben ist toll. Sie spornen an.

Selbst wenn wir es eigentlich besser wissen – warum macht die Aussicht auf Veränderung und Verzicht uns so schlechte Laune?

Der Mensch an sich ist „verlustavers“, das heißt: Wenn wir es einmal gewohnt sind, Zugang zu bestimmten Annehmlichkeiten zu haben, dann wollen wir diesen Zugang auch behalten. Ob wir die Dinge in Anspruch nehmen, ist zweitrangig. Wir möchten das nur selbst entscheiden.

Haben Sie ein Beispiel?

Die Bohrmaschine, auch wenn sie 364 Tage im Jahr in der Ecke liegt, nur damit man einmal im Jahr damit ein Loch in die Wand bohren kann. Das Auto, das 95 Prozent der Zeit kein Fahrzeug, sondern ein Stehzeug ist. Nutzen statt besitzen ist eine Kurzformel, die Ideen einer Kreislaufwirtschaft mit der einer Sharing Economy verbindet und als Transformationsprojekt ansteht. Wer A sagt, muss auch B sagen.

In welcher Hinsicht?

Wir sagen, klar, stimmt, Klimaschutz und Biodiversität sind voll wichtig! Aber wenn es darum geht, konkrete Veränderungen umzusetzen, trumpfen die Bequemlichkeit und das Gewohnte? Ganz ehrlich, da müssen wir alle mal ein bisschen erwachsen werden.

Wie lauten Ihre Vorschläge für den Alltag?

Es gibt die sieben F, mit denen wir Einfluss auf Nachhaltigkeit haben: Fliegen, Fleisch, Fummel, Finanzen, Funken, Fläche und Flagge zeigen. Das heißt: Fliegen und Fleischkonsum wirklich runterfahren. Weniger Fummel bedeutet: In welcher Frequenz und Qualität kaufe ich Kleidung? Kann ich auch mal tauschen? Bei den Finanzen darauf achten, welche Anlagekriterien Banken, Sparpläne und Fonds haben.

Und was meinen Sie mit Funken?

Dass man mit anderen über den Veränderungsprozess redet, Netzwerke knüpft, Verständnis weckt, Ideen im eigenen Unternehmen oder Umfeld einbringt. Zuletzt ist auch die Fläche ein wichtiger Faktor – die Wohnfläche. Die zu reduzieren ist allerdings im Vergleich zu den anderen Fs wesentlich schwerer umzusetzen. Und dann natürlich bei der Politik Flagge zeigen, insbesondere in Wahljahren wie diesem.

Wie halten Sie es mit den sieben F persönlich?

Ich esse seit 25 Jahren kein Fleisch mehr, lebe überwiegend vegan und fliege nie innerhalb Deutschlands, aber liebe Nachtzüge. Ersparnisse sind entsprechend geparkt, und beim Fummel bin ich ganz gut – jeder Deutsche kauft durchschnittlich 60 Kleidungsstücke pro Jahr, ich nur rund ein Zehntel davon. Bei der Fläche bin ich allerdings eher schlecht, auch wenn wir – also der Vater meiner Kinder, meine Töchter und ich – uns ein Haus mit einer anderen Familie teilen.

Sie sind in einem Gemeinschaftshaus mit drei Familien und insgesamt sechs Kindern groß geworden. Nun leben Sie ähnlich.

Darüber haben meine Eltern auch schon gelacht. Meine Schwester macht es jetzt auch ähnlich.

Klingt allerdings nach einer Lebensform, die einige Kompromisse abverlangt.

Ich habe von meinen Eltern gelernt. Am Anfang wurden in meiner Kindheit alle Räume geteilt, das ging nicht gut. Jede Familie hat ja ihren eigenen Rhythmus, was Essens- und Schlafenszeiten angeht. Deshalb haben wir damals die Wohneinheiten getrennt, aber das typisch Logistische wie zum Beispiel die Waschküche oder den Garten weiterhin geteilt. Dadurch hatte jeder seine Scholle, aber es war nie einsam. So machen wir es heute auch.

Würden Sie sich als Idealistin bezeichnen?

Ideale zu haben ist toll. Sie spornen an, schützen vor Zynismus.

Glauben Sie, dass wir mit Blick auf die Klimakrise das Schlimmste noch abwenden können?

Das Schlimmste wäre, die ganze Zeit darüber nachzudenken, ob wir das Schlimmste noch abwenden können, statt etwas zu tun. Deshalb ist es so wichtig, einfach mal loszulaufen, auch wenn wir nicht genau wissen, wie das Ganze ausgeht. Wenn ich etwas tue, werde ich automatisch optimistischer, weil ich Selbstwirksamkeit spüre. Darüber habe ich auch mit den Aktivist:innen von „Fridays for Future“ oft gesprochen: Auf die Straße zu gehen und zu versuchen, einen Beitrag zu leisten, ist eine Möglichkeit, mit den Sorgen besser umgehen zu können. Wenn wir alle, inklusive der Wirtschaft und der Politik, jeden Tag neue Schritte wagen, entstehen daraus heute ungeahnte Möglichkeiten.

Kleine Schritte sollen für den großen Wandel ausreichen?

Jede Revolution entsteht aus dem Zusammenspiel vieler kleiner Entwicklungen.

DENKEN ALS BERUF

Gefragt: Maja Göpel, Jahrgang 1976, ist Politökonomin und Transformationsforscherin. Vor allem seit ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ (Ullstein, 17,99 €) ist sie eine beliebte Expertin zu Themen rund um die Nachhaltigkeit.

Göpel ist Honorarprofessorin der Leuphana Universität Lüneburg, außerdem Mitglied im Club of Rome, dem World Future Council, der Balaton Group und dem Bioökonomierat der deutschen Bundesregierung. Darüber hinaus unterstützt sie mehrere Organisationen im Wissenschaftlichen Beirat, Kuratorium oder Stiftungsrat.

Privates: Göpel lebt mit ihrer Familie in einem Gemeinschaftshaus in Werder an der Havel.

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