„Ich will den Betrieb stören“

Schublade auf? Sophie Passmann im Titelinterview mit DB MOBIL über Klischees, den Nervfaktor von anderen Promis und darüber, warum sie auch als Feministin nach ihrer Kleidung gefragt werden will

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Lesezeit: 8 Minuten
Sophie Passmann
Lara Ohl für DB MOBIL

Etwa vor einem Jahr hat sich Sophie Passmann öffentlich beschwert. Bei Interviews bekomme sie immer so gehaltvolle Fragen gestellt, sie sei neidisch auf Schauspielerinnen, bei denen man sich vor allem für die Klamotten interessiere, erzählte die 28-Jährige in der Zeitschrift „Barbara“. Okay, da können wir helfen. Und haben Sophie Passmann zu einem klassischen Modeshooting eingeladen.

Und jetzt steht Passmann also in einem Fotostudio in Berlin-Wedding, die Sonne malt helle Rechtecke durch die Butzenfenster auf den Boden. Irgendjemand hat Musik angemacht, eine „Feelgood Indie“-Playlist, und ja: Allen hier drinnen geht’s tatsächlich gut. Auch Sophie Passmann, die zu all ihren Jobs – Autorin, Podcasterin, Stachel im Fleisch des alten weißen Mannes – jetzt also auch modelt. Ach, und Schauspielerin ist sie übrigens außerdem: Im Juli startet auf Amazon Prime die Serie „Damaged Goods“, eine Komödie, in der fünf Freunde in ihren Zwanzigern ihren Platz im Leben suchen und nicht so recht finden. Passmann in der Hauptrolle der Nola ist der rote Faden der Serie, und natürlich macht sie auch das ziemlich gut.

Und das mit dem Modeln? Kommt nach viereinhalb Stunden an sein vorläufiges Ende. Zeit für ein paar Nachfragen.

Lara Ohl für DB MOBIL
Man sieht nur die im Lichte: Sophie Passmann im Fotostudio in Berlin

Und, Frau Passmann, war’s anstrengend?

Ja.

 

Sie haben es so gewollt.

Absolut. Es war ja auch schön. Und für mich auch eine ganz gute Klarstellung.

 

Inwiefern?

Ach, viele Leute denken automatisch, dass jemand, der politisch denkt oder sich für Feminismus einsetzt, sich nicht auch für Schönes, Lustiges oder Hedonistisches interessiert. Was ich total tue. Wer mich nach Feminismus fragt, darf sehr gern auch etwas über mein Outfit wissen wollen. Beides geht fantastisch zusammen.

 

Ist doch interessant, oder? Schubladendenken, der Hang zum Einkategorisieren: Das kommt einfach nie aus der Mode.

Ja. Und seit ich das für mich erkannt habe, spiele ich damit und versuche, Erwartungen zu durchbrechen. Meistens habe ich ja eine Ahnung, welches Label mir gerade angepappt wird, ob das nun Feministin ist oder Internetphänomen. Dann mache ich einfach irgendwas, um das Klischee in seiner Eindimensionalität zu unterwandern.

 

Was ist denn gerade die Haupterwartung an Sie?

Oh. Ich befürchte, noch immer „Stimme ihrer Generation“. Aber ich stelle auch fest: Es wird besser.

 

Was ist denn mit Ihrer Erwartung an sich selbst? Hat die sich verändert?

Klar. Ich bin ja zunächst einmal ganz normal 28.
Da ist man hoffentlich in einer Phase, in der man das, was man vor fünf Jahren, zwei Jahren oder auch
noch vergangenes Jahr gedacht hat, mindestens
albern und höchstens bescheuert findet. Das habe ich genauso.

 

Aber Sie leben in der Öffentlichkeit.

Und mein Job besteht zu großen Teilen daraus, in dieser Öffentlichkeit ich selbst zu sein. Ich schaue mir manchmal an, was ich früher gesagt habe, und weiß dann, warum ich bestimmte Dinge herumbehauptet habe. Aber ich weiß auch selbst am besten, dass es eine Lüge war.

 

Interessante Selbsteinschätzung.

Ich hatte vor ein paar Jahren noch den Anspruch, in der Öffentlichkeit besonders zu nerven. Ich will weiterhin den Betrieb stören, das kann intellektuell ja auch sehr anregend sein, auch deshalb, weil es in Deutschland nicht so gern gesehen wird.

Lara Ohl für DB MOBIL
Tattoos? Ja, bitte: „Wenn die mit mir alt werden – wie cool ist das denn?“

Mag man das irgendwo auf der Welt?

Meine liebsten Entertainer kommen aus Amerika, und ja, die nerven immer etwas und haben damit Erfolg. Ich würde aber sagen, dass ich das Nerven vor ein paar Jahren falsch verstanden habe. Nerven muss nicht immer bloß impertinent sein, das kann viel graziler, filigraner und subtiler funktionieren.

 

Okay, so viel zur Entwicklung. Wo sind Sie sich denn treu geblieben?

Ich bin ganz stolz darauf, dass ich mich nie in so einen Mainstream hineinbegeben habe, was die Themen meiner Bücher angeht. Wie ich über gewisse Dinge rede. Wie man in diesem Öffentlichkeitsbetrieb versinkt. Wie man betriebsnudelig wird. Ich habe mich nie in die Promiwelt reinziehen lassen, und das ist etwas, das ich beizubehalten vorhabe.

 

Warum ist das für Sie so wichtig?

Weil Promis halt eher unerträglich sind. Und weil man so wenig mit ihnen herumhängen sollte wie möglich. Promi sein um der Prominenz willen finde ich einen relativ langweiligen Modus, und dass man gemeinsam auf dem roten Teppich posiert und mit anderen Promis Selfies macht und postet … Ich verstehe es wirklich nicht.

Jeder, der sich im Fernsehen nicht verkleidet, nimmt den Job nicht ernst genug

Ist Ihre Prominenz also ein Kollateralschaden?

Eher ein Luxus. Wenn prominente Menschen darüber jammern, wie schlimm es ist, prominent zu sein, ist das ja das Allerschlimmste.

Lara Ohl für DB MOBIL
Durch die Blume redet Passmann eher selten

Sie können das ja auch ganz gut steuern. Andere Leute nicht. Darum geht es in Ihrem neuen Podcast „Quelle Internet“, der sich etwa mit aus dem Ruder laufendem Ruhm beschäftigt.

Reine Internetprominenz ist noch mal ganz was anderes.

 

Warum?

Weil Influencer:innen und Youtuber:innen, die ausschließlich in den sozialen Medien stattfinden, mit einer entgrenzten Härte und oft auch entgrenzter Blödheit konfrontiert werden. Die Leute glauben, einen privat zu kennen, erwarten Perfektion und urteilen direkt und hart. Da darfst du diesen Pappbecher nicht benutzen, und ach, die feine Frau X fliegt in den Urlaub, schönen Gruß vom Klimawandel! Mein Eindruck ist, dass das in dieser Form in den klassischen Massenmedien nicht stattfindet.

 

Was heißt das für Sie, die Sie als „Internetphänomen“ gestartet sind? Weniger Social Media, mehr klassische Medien?

Im Moment schaffe ich noch alles. Wenn ich mich irgendwann entscheiden müsste: Schreiben würde definitiv nie aufhören. Ich sehe mich in erster Linie als gelernte Autorin.

 

Und wie war das bei „Damaged Goods“? Da sind Sie doch in erster Linie Schauspielerin, die mit dem Text anderer arbeiten muss.

Das war sehr spannend, weil ich tatsächlich als Letzte in einen kreativen Prozess eingestiegen bin. Das Drehbuch gab es schon, ich habe es gelesen und gemerkt: Jo. Ich will unbedingt mitmachen. Doch die Erwartung an mich war schon, dass ich die Rolle zu meiner eigenen mache, auch sprachlich. Aber ich habe gemerkt, wie entspannend es ist, nicht für jedes Wort selbst verantwortlich, nicht zu 100 Prozent mein eigenes Produkt sein zu müssen.

 

Hm. Jetzt sprechen Sie von sich als Produkt. Vorhin sagten Sie, Ihr Job sei es, öffentlich Sie selbst zu sein. Was denn nun? Leben Sie öffentlich? Oder haben Sie eine öffentliche Persona?

Mein Wunsch wäre: Letzteres. Ich verkleide mich ja für meinen Job. Ich gehe nicht in Straßenklamotten auf die Bühne oder ins Fernsehen – jeder, der sich im Fernsehen nicht verkleidet, nimmt den Job nicht ernst genug. Ich habe also den Anspruch, eine Persona zu haben. Ich glaube, Privatpersonen sind zu langweilig für die Öffentlichkeit.

Lara Ohl für DB MOBIL
Hallo, Lieblingsteil: Der Ornamentmantel in Grün-Orange-Beige gefällt ihr am besten

Steile These.

Ich halte diese Geilheit nach Authentizität für übertrieben. Authentische Menschen sind nicht so schnell und laut und doll, wie man das im Fernsehen gern hätte. Ich bin beim Frühstück ja auch sehr viel langweiliger als in einer Talkshow.

 

Aber in einer Talkshow sind Sie ja immer noch Sophie Passmann.

Und keine Kunstfigur. Das ist richtig. Ich trage auch persönliche Dinge in die Öffentlichkeit. Mein Job lebt von den privaten Erfahrungen, Leidenschaften, Begegnungen. Ich merke, wie schwer es mir oft fällt, bestimmte Dinge aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Es ist also eine Mischform, und ich gebe mir doppelt Mühe: zum einen, eine interessante öffentliche Figur zu sein. Zum anderen, ein ordentliches, stinklangweiliges Leben zu führen, von dem eigentlich keiner was wissen will.

 

Och, wir schon.

Ich bestelle abends Sommerrollen und spiele Nintendo Switch.  

 

Welches Spiel?

Zelda. Da haben Sie jetzt bestimmt spontan 14 Nachfragen, oder?

 

Nein. Aber vermutlich wird zu den Sommerrollen ein Gläschen Wein gereicht. Sie sind ja auch Expertin für deutschen Weißwein.

Ja, ja, und ich trinke gerne Riesling, das sage ich auch gerne in jedem Interview.

 

Ist notiert. Ihre Expertise ist eine Art Prägung: Sie sind in Ettenheim aufgewachsen, zwischen Offenburg und Freiburg. Eine Weingegend.

Mit einem Winzer nebenan und einem Schulweg quer durch die Weinberge. Wie prägend das war, habe ich eigentlich erst gemerkt, als ich in Städte wie Köln oder Berlin gezogen bin.

 

Wieso?

In Köln habe ich mal einen Rosé bestellt. Die haben doch tatsächlich vor meinen Augen roten und weißen Wein zusammengekippt. Ich war kurz davor, die Stadt anzuzünden.

 

Können wir noch mal über eines Ihrer Label reden?

Welches?

 

„Stimme ihrer Generation“?

Gott … Ich sollte aufhören, das ironisch zu zitieren. Ich halte den Patienten nur künstlich am Leben.

Wortgewandt

Geboren am 5. Januar 1994 in Kempen. Die Familie zieht bald um nach Ettenheim in Baden. Mit 17 gewinnt Passmann den Titel als Baden-Württemberg-Meisterin im Poetry Slam in der Altersklasse U 20. Nach dem Abi macht sie ein Volontariat beim Hitradio Ohr in Offenburg, moderiert dort die Morningshow. Richtig bekannt wird Passmann 2019 mit dem Buch „Alte weiße Männer“ und manifestiert den Ruf als Frontfrau des neuen Feminismus. Ihr Schauspieldebüt gibt sie nun in der Serie „Damaged Goods“ (Amazon Prime Video, ab 11.7.)

Nicht nur durch Zitate. Zum einen gab es mit „Komplett Gänsehaut“ vergangenes Jahr ein Buch, in dem Sie mit der ironischen Spießigkeit Ihrer Generation hart ins Gericht gegangen sind. Zum anderen halten Sie jetzt, in „Damaged Goods“, als Nola in der ersten Folge einen beeindruckenden Monolog über die Schwierigkeiten von Mittzwanzigern, eine Rolle im Leben zu finden. Über die Verlorenheit in dieser Altersgruppe.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Nola und mir.

 

Welchen?

Ich stehe im Leben. Ich bin in einer erschütterungsarmen Phase. Ich wehre mich deshalb dagegen, dass ich angeblich für so viele Leute spreche. Nee, mache ich nicht. Mein Leben ist behüteter, satter, fertiger, erwachsener, weil ich seit 14 Jahren einen Job habe.

 

Das ist, nach Adam Riese, …

… mein halbes Leben. Fuck. Ich mache sofort ein Sabbatical.

Lara Ohl für DB MOBIL
Ausdrucksstark auch ohne Worte: Sophie Passmann

Schwer vorstellbar.

Stimmt auch nicht. Was ich damit nur sagen will: Ich weiß, was Nola in der Serie meint. Ich weiß darum, dass sehr viele Leute mit 28 verloren sind, dass sie kein Gefühl dafür haben, wo sie stehen. Aber ich will nicht so tun, als ob es mir genauso ginge, das tut es gerade nicht. Diese Phase hatte ich vor ein paar Jahren.

 

Stimmt. Da haben Sie auch viel über Ihre Depressionen gesprochen.

Weil ich gut finde, dass man über mentale Gesundheit spricht. Dass man sagt: Das ist wie ein gebrochenes Bein, dagegen gibt es Medikamente, geht zum Arzt.

 

Hilft Erfahrung?

Nein, Medikamente. Ein gebrochenes Bein wird nicht dadurch besser, dass es schon lange gebrochen ist.

 

Aber man gewöhnt sich an den Schmerz.

Man gewöhnt sich ans Humpeln. Aber man kann, um es auf die Depression zu übertragen, den Umgang mit diesen Episoden lernen. Obwohl das tückisch ist.

 

Wieso?

Ich lebe mit dem Phänomen, das ich von vielen anderen mit psychischen Erkrankungen kenne. Wenn es mir gut geht, denke ich: ach so. Ich habe das gar nicht wirklich. Ich bin eine Hochstaplerin, wenn ich von meiner Depression spreche. Und wenn ich eine depressive Phase habe, denke ich: Stimmt ja, ich bin’s doch. Ich brauche also eine Depression, um mich daran zu erinnern, dass ich depressiv bin. Wie ein Kind, das immer wieder auf die Herdplatte fasst, nur um zu merken, dass diese wirklich noch heiß ist.

 

Wie heiß ist sie?

Es ist lebensphasenabhängig, wie gern ich darüber spreche. Wenn es gerade eine depressive Phase gab, habe ich verstärkt das Bedürfnis, darüber zu reden.

 

Und? Gibt’s gerade Bedarf?

Nö.

Lara Ohl für DB MOBIL
Lieber Seifen- statt Medienblase: Passmann betont, dass sie zurzeit fest im Leben steht

Benötigen Sie Hilfe?

Wenn Sie selbst oder Ihnen nahestehende Menschen unter Depressionen leiden, erhalten Sie unter dieser kostenfreien Nummer der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Informationen und Hilfe: 0800 3344533.

Auf die Ohren

Sie wollen noch mehr von Sophie Passmann wissen? Dann hören Sie doch mal in den DB MOBIL-Podcast „Unterwegs mit ...“ rein, bei dem sie vergangenes Jahr zu Gast war.

Erschienen in DB MOBIL Ausgabe Juli/August 2022

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