Wie wichtig sind Kunst und Kultur für Kinder?

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd über das Leben und Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute befasst sich Katharina mit der Frage: Was ist eigentlich Kunst, und wie bewertet man sie?

Von:
Lesezeit: 3 Minuten

Neulich kam mein Kind mit einer Eins plus in Kunst nach Hause, die Aufgabe war ein Linoldruck gewesen. Wir haben sehr gestaunt und uns gefreut, denn eigentlich gehören solche Noten gar nicht zum Repertoire unseres Sohnes. Als Träumer und Über-den-Tellerrand-Denker kommt das Kind nicht in allen künstlerischen Fächern gut klar: In Musik gab es auch schon mal eine Fünf, weil das Vorsingen zu experimentell ausfiel.

Die Kunstlehrerin aber sah offenbar die Kreativität des Kindes, was uns zu der Überlegung brachte: Was ist überhaupt Kunst? Alles oder gar nichts? Kann man Kunst bewerten? Welche Noten würden unsere Kinder Künstlern wie Joseph Beuys, Paul Klee oder Pablo Picasso geben? Sind nicht Kinder die größten Künstler:innen, weil sie einfach machen, loslegen, ohne ein Ziel vor Augen? Und sind umgekehrt also diejenigen die großen Künstler:innen, die ihr inneres Kind wachkitzeln können, sich einen „naiven“, reinen und unverformten Blick aufs Ganze bewahrt haben und erlernte Konventionen zu Teilen ausblenden können? Denen es nicht nur um das Ergebnis geht, sondern ums Tun? Lebenskünstler:innen eben.

Wenn wir unseren Kindern sagen, wir gehen ins Museum, verdrehen sie die Augen. Und auch ich erinnere mich an diese Langeweile bei Ausstellungsbesuchen. Unbewegte Farbflecke in Rahmen an der Wand. Ein bisschen geschnitztes Holz. Gähn. „Das hätte ja sogar ICH hinbekommen“, sagte ich früher. „HAST du aber nicht“, erwiderte mein Vater dann immer. Alles beginnt schließlich mit einer Idee, ohne sie entsteht gar nichts. Ein Kunstwerk ist viel mehr als das, was wir sehen. Ein Kunstwerk ist Zeit, ist Erleben, ist Erfahrung, ist Material, ist Machen, ist die Wirkung auf andere. Was löst es aus? Kunst lebt weiter in den Köpfen der anderen, kann verändern, kann Emotionen herauskitzeln, kann das Denken auf den Kopf stellen.

Bilder sind natürlich keine unbewegten Farbflecke. Es braucht nur Menschen, die sich darauf einlassen. Kunst ist immer ein Zusammenspiel. Kunst ist eine Ausdrucksform, ein materiell gewordener Gedanke. Kunst ist auch mal Absicht. Ein experimenteller Gesang muss nicht mit einer Fünf bewertet werden, wenn er in einem Theaterstück zur unsicheren Lage der Welt vorgetragen wird, also darin vom Leid oder einer Schieflage erzählt wird. Wenn Worte fehlen, um das Geschehende zu beschreiben.

Kunst braucht Zugang, braucht vielleicht auch mal Anleitung, und sie braucht Begeisterung, dann sehen schon Kinder den Zauber darin. In einem Mitmach-Museum etwa, in dem sie mit allen Sinnen begreifen können, was Kunst und Kultur bedeuten. Dort können sie außerdem ihre Freude oder Traurigkeit mit künstlerischen Mitteln zum Ausdruck bringen, selbst wenn sie die Worte dazu noch gar nicht kennen.

In gewisser Weise kann sogar der Wutanfall im Bordbistro eine Kunstform sein. Zweifelsohne löst sie in den Betrachter:innen etwas aus. Und zwar bei jeder und jedem etwas anderes. Bei dem kinderlos reisenden Elternpaar ein gutes Gefühl à la: „Ach schön, dass wir gerade für niemanden zuständig sind.“ Bei den Teenagern mit der Cola in der Hand ein Lächeln, weil sie die Situation so absurd finden. Beim telefonierenden Geschäftsmann ein genervtes Stöhnen. Bei Mutter und Vater des Kindes möglicherweise einen Schweißausbruch und die Überlegung, ob sie die Kraft haben, beim Nein zur Schokolade zu bleiben.

Ein und dieselbe Szene, die in allen Anwesenden etwas anderes auslöst. So wirkt Kunst eben. Dadurch lässt sie sich auch nur schwer objektiv bewerten. Die Eins plus im Linoldruck hätten andere Lehrer:innen womöglich mit einer Drei minus bedacht.

Die Kinder, die sich heute gelangweilt von einer Ausstellung zeigen, sind im späteren Leben vielleicht begeistert. Weil sie andere Erfahrungen mitbringen, sich womöglich noch an die strahlenden Augen der Eltern erinnern und sich deshalb fragen, ob sie inzwischen auch etwas fühlen. Es lohnt sich also, den Kleinen einen Zugang zu schaffen. Was sie draus machen, haben wir nicht in der Hand. Genau wie bei Kunstwerken.

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.