Purismus aus Glas und Stahl

Die AEG-Turbinenfabrikhalle in Berlin-Moabit: Wo die Maxime „Weniger ist mehr“ herkommt

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Kann man einen Sinnspruch oder ein Lebensmotto besuchen? An den Ort einer Weisheit reisen? Es klingt nach Unfug. Und doch gibt eine Parole, die Anfang des 20. Jahrhunderts einen Siegeszug um die ganze Welt antrat und heute noch besichtigt werden kann. Es ist der Ausspruch „Weniger ist mehr“, er „wohnt“ in der Huttenstraße in Berlin-Moabit, rechts neben Hausnummer 12. Dort steht die Turbinenhalle der Allgemeinen Electrizitäts-Gesellschaft, kurz AEG, die 1908/09 vom Designbüro Peter Behrens entworfen wurde. Behrens war damals Produktgestalter, bei ihm arbeitete ein junger Architekt namens Ludwig Mies van der Rohe. Der 23 Jahre alte Mies tüftelte am Entwurf der Fassaden, die überwiegend aus Glas und Stahl bestehen sollten. Also Baustoffe, die für eine nie zuvor gesehene Belichtung der Halle sorgten, ausreichend stabil konstruiert werden konnten, von nüchterner Erscheinung, das Gegenteil von würdevoll, das man in der Kaiserzeit erwartete. Behrens entschied über die Entwurfsvarianten, die Mies vorlegte, mit dem Bonmot „Weniger ist mehr“. Mies machte es zu seiner Maxime und verschaffte sich selbst und dem Weglassen von Zierrat, dem Puristischen eine Weltkarriere – ein Bannwort gegen alle Versuche, sich in Illusionen zu verlieren.

Eine Schauseite hat die Turbinenhalle von Peter Behrens auch, nämlich von der Huttenstraße aus gesehen. Mit der Stirn zeigt das Bauwerk etwa die Gestalt eines massigen, nach oben gerichteten Stößels, Zeichen für große Maschinerie. Das war vor mehr als hundert Jahren neu: dass ein solches Gebäude seinen Zweck offenbart, statt ihn zu kostümieren. Wer nach Norden die Berlichingenstraße entlanggeht, kann dies nachempfinden: Die bis unter die Dachkante hochgezogene, schmucklose Front demonstriert sachliche Produktionskraft. Berliner Industriekultur der Moderne ist in Moabit auch in der Arminiusmarkthalle von 1891 zu besichtigen sowie in der Meierei Carl Bolle, gegründet 1879, seinerzeit Berlins größtes Milchunternehmen. Mies van der Rohes Jahrhundertbauwerk steht in Berlin-Mitte: die Neue Nationalgalerie (1968), eine Ikone der minimalistischen Weltkultur.

Wie hinkommen:
Mit dem ICE nach Berlin-Hauptbahnhof, von dort mit dem TXL-Bus zur Haltestelle Beusselstraße.

Für wen:
Architekturinteressierte, Designer, Bauhistoriker, Hobbygestalter, alle Kreative, Bastler, Gernewohner.

Was muss ich noch wissen? 
Die Firma Siemens produziert bis heute Gasturbinen in der Halle – deshalb sind Besichtigungen innen nicht möglich.

Instagram-tauglich? 
Aber ja! Keine Massen an Beiträgen, aber alle von echten Fans.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.visitberlin.de/de/aeg-turbinenhalle

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