Im Kreislauf der Bahn

Der Bereich DB Resale & Services ist eine Art Eisenbahn-Ebay: Hier werden Loks, Sitze, sogar Kunstwerke verkauft. Zuvor prüft die DB, was sie selbst noch gebrauchen kann – entsorgt wird möglichst wenig

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Sebastian Lock
Auf der Suche nach Verwertbarem: Jens Peter Speckter bei der Begehung eines ICE 1 im Werk Nürnberg.

Jens Peter Speckter, der Mann mit einem Namen fast wie aus einem Bond-Film, hat einen eng getakteten Zeitplan. Wer ihn zwischen zwei Terminen erwischt, erfährt von ihm, er führe „eine Art Matching-Plattform“. Der 53-Jährige leitet die DB-Abteilung Resale & Services, die über ein Web­portal jene Güter vertreibt, die die Bahn nicht mehr benötigt. Speckter hat von der ausgemusterten Lok über Rotwein aus der Bordgastronomie bis zum Kunstwerk schon fast alles verkauft, was der DB-Bestand hergibt. Die Herausforderung für den Betriebswirt ist bei jedem Artikel: Genau die passenden Abnehmer:innen seines oft „völlig verrückten“ Angebots zu finden. „Ist im Grunde wie bei der Partnersuche“, sagt der Frankfurter trocken.

Oder wie bei Ebay, denn Speckters Abteilung ist so etwas wie der Marktplatz der DB. Dabei kommt ihr die konzern­eigene Logistik zugute, mit der tonnenschwere Güter auch nach Indien oder Lateinamerika verfrachtet werden. Denn in der Regel werden die Artikel, nach denen man im Netz auf dbresale.de stöbern kann, nicht per Post verschickt. Die 2021 versteigerten Zeichnungen von Georg Baselitz aus einem alten DB-Schulungszentrum bilden eine Ausnahme. Das Kunstauk­tionshaus Sotheby’s bot der DB Hilfe an, das 35-köpfige Resale-Team managte den Deal lieber selbst – mit Erfolg. „Die Baselitz-Zeichnungen erzielten am Ende das Doppelte des Schätzpreises“ – so viel zumindest mag Speckter zum Erlös verraten.

Sebastian Lock
Klug recycelt: Ein alter ICE-Tisch dient im DB-Werk als Arbeitsfläche.

Das Angebot seiner Abteilung richtet sich in erster Linie an die Bahnbranche. Einer Nischenbranche – noch, wie Speckter sagt. Denn im Zeichen der Verkehrswende sucht alle Welt nach Bahnmaterial, der Secondhand-Markt wächst. Ganze Zugflotten der DB wechseln für Millionenbeträge den Besitzer und werden andernorts wieder aufgegleist. Etwa die 628er-Baureihe: Die roten Nahverkehrszüge durchkreuzten Deutschland in den 1970er- und 1980er-Jahren weder klimatisiert noch barrierefrei, das aber ist bei der DB seit Langem Standard.   

In Tschechien fand die Bahn neue Abnehmer für Züge, die in den teils fröhlich-bunten Lackierungen einiger Regionalverkehrsunternehmen kaum wiederzuerkennen sind. Auch in Kanada setzte ein Tourismusunternehmen die robusten Dieseltriebzüge wieder auf die Schiene. Der globale Rohstoffmangel habe spürbar einen Mentalitätswandel eingeleitet, sagt Speckter – entsorgt werde nur noch so wenig wie möglich. Vielmehr kann eine weltweit vernetzte Kreislaufökonomie, bei der die Deutsche Bahn sich als Pionierin positionieren will, langfristig Ressourcen schonen.  

Die DB bringt aber auch Kleinteiligeres wieder auf den Markt – und vermittelt es an Liebhaber:innen. Der 13-jährige David zum Beispiel dankt es ihr. „Ich finde es toll, dass die DB alte Einrichtungsgegenstände aus den Zügen nicht einfach entsorgt. So hat jeder die Möglichkeit, seinem Zuhause echtes Bahnambiente einzuhauchen!“, frohlockte der Bahnfan in einem Brief an DB Resale & Services, den Speckter aufbewahrt hat. Der Teenager aus Heidelberg äußerte darin einen präzisen Wunsch: einen 1.-Klasse-Einzelsitz aus einem ICE 3. „Der Junge hat seinen Sitz bekommen“, erzählt Speckter schmunzelnd. Keine Selbstverständlichkeit, denn ICE-Inventar gibt die DB nur selten aus der Hand.

Sebastian Lock
Schön aufgepolstert: 1.-Klasse-Sitz in neuem Glanz.

Warum, das zeigt ein Besuch bei der DB Fahrzeuginstandhaltung, der auch das Resale-Team zugeordnet ist, im Werk Nürnberg. Dort werden Regionalzüge, aber auch ICE der ersten drei Generationen Zug um Zug von der Schiene genommen, akribisch untersucht, modernisiert oder sogar generalüberholt. Die „Lebensdauerverlängerung“ ist zentral für die Zukunftspläne der DB, die ihre ICE-Flotte von heute 340 auf 600 Einheiten nahezu verdoppeln will. Zwei Wochen dauert allein die In­spektion eines Zuges. Die Spezialisten untersuchen ihn auf Herz und Nieren, Drehgestell und Bremssohle. Per Video­skop lässt sich Rostbefall ermitteln, was dazu führen kann, dass ein Wagen ausrangiert wird. Es gelte das Aschenputtelprinzip, sinniert Speckter beim Besuch der Nürnberger Kolleg:in­nen: Die Guten ins Töpfchen, die weniger Guten ins Kröpfchen. Und der 1.-Klasse-Sitz? Geht selten an Bahnfans, weil er gut aufzuarbeiten ist: Die Lederbezüge haben eine lange Haltbarkeit. Dem Nachhaltigkeitsprinzip verpflichtet, bringt die DB sie in aller Regel wieder aufs Gleis.

Sitzkäufer David hatte also Glück – wie auch Matthäus Burkhart. Der Hotelier betreibt einen Ferienbahnhof in Reichenbach in Rheinland-Pfalz. Er gelte in der Gegend schon als ein „bisschen verrückter Wirt“, lacht er ins Telefon: 2014 ersteigerte Burkhart über das Resale-Angebot einen 60 Jahre alten Werkstattwagen. Technik verschlissen, keine Klimaanlage, null Barrierefreiheit – kurz: Aussonderung im Werk Nürnberg unumgänglich. Burkhart dagegen erfüllte sich mit dem Kauf einen Traum. Schon früher hatte er das Land nach einem Bahnwagen abgesucht, um ihn zur Ferienwohnung umzubauen. Die Möglichkeit, „einfach zu googeln“, habe die Suche erheblich vereinfacht. Jens Peter Speckters Matching-Plattform: Sie funktioniert.

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