Grüner Gaumen

Mit einem neu konzipierten Angebot wird der Genuss im Zug deutlich nachhaltiger. Und für die diesjährigen Aktionsgerichte gilt: alles bio. Ein Besuch in der Versuchsküche der Deutschen Bahn

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Foto: Wolfgang Stahr

Frankfurt am Main, aufgeklappte Notebooks und Biobockwurst. Es ist eine ungewöhnliche kulinarische Erfahrung, auf die sich vier Proband:innen an diesem Freitagvormittag einlassen. Zahlreiche Gerichte werden gleichzeitig serviert, knapp zehn Gänge aufgedeckt, dabei immer wieder Stifte gezückt, Notizen gemacht, nachgeschmeckt.

„Heute kommt auf die Teller, was wir in den letzten Monaten gemeinsam mit unseren Lieferanten intensiv vorbereitet haben“, sagt Philip-Nicolas Schaaf, Leiter Warengruppen-Management bei der DB Fernverkehr AG. Er beugt sich über einen Bewertungsbogen, vergleicht einen Teller Kürbissuppe mit dem anderen. Schaaf ist verantwortlich für das neue Sortiment, das in der DB Versuchsküche für die Bordgastronomie verkostet wird. „Das erste Tasting seit Corona“, freut er sich. Dass dabei ausschließlich Biozutaten verkocht wurden, verantwortet DB „Chefkoch“ André Meisel, mit dem Schaaf die Neuerungen federführend umsetzt.

Foto: Wolfgang Stahr
Serviert werden die Gerichte von Chefkoch André Meisel, Steward Andreas Perdikis und DB Manager Philip-Nicolas Schaaf (v. l. n. r.)

Die DB Fernverkehr AG ist mehr als ein Verkehrsunternehmen – sie ist auch eine der bedeutendsten Gastgeber:innen des Landes. Die DB Fernverkehr gehört zu den fünf größten Kaffeeketten und 20 reichweitenstärksten Systemgastronomien Deutschlands. Wer das Bordrestaurant besucht, komme für den Hauch Luxus, weiß die DB aus der Marktforschung. Das Konzept Speisewagen ist fast so alt wie das Bahnfahren selbst. Edel ausstaffiert waren die Schienenlokale im Kaiserreich, als legendär gilt das Bordgeschirr der Mitropa. Wie Bahnreisende speisen, spiegelt immer auch die Epoche.  

In den vergangenen Jahren fragten immer mehr Kaffeetrinker:innen an Bord nach veganen Milchalternativen; seit Januar gehören Hafergetränke zum Bestand. Jetzt wird die Bordgastronomie noch nachhaltiger – und trägt damit zum Erreichen der Klima- und Ressourcenschutzziele der DB bei. Aber nicht nur durch das neue Angebot, sondern etwa auch durch den verstärkten Einsatz von Mehrwegtassen. Oder eine zunehmend papierlose Kommunikation mit den Kund:innen, Stichwort: digitale Speisekarten.

All das sind Bausteine auf dem Weg zu den Klimazielen der DB: Bis 2040 will das Unternehmen klimaneutral sein – auch in der Bordgastronomie. Zusätzlich will die DB mehr Reisende locken, gerade auch Jüngere überzeugen. Andererseits ist klar: „Wenn es nur Porridge gäbe, würden wir auch niemanden glücklich machen“, sagt Meisel. Die Zielgruppe der Bahn ist breit, abzulesen an der neuen Speisenauswahl. Porridge vom Berliner Start-up Haferkater, Buchweizenquiche und Erbseneintopf mit Mettenden – „den lieben die Leute“. Künftig gibt es all das an Bord der DB.

Der Speisewagen war immer auch Begegnungsstätte. Aktuell leicht eingeschränkt durch Corona – aber nach wie vor unverzichtbarer Kitt zwischen Bahnreisenden, die andernfalls vielleicht nicht im gleichen Restaurant speisen würden. Hightech und Heimeligkeit müssen zusammengehen, das zeigt sich bei der Verkostung. In der Versuchsküche stehen, wie an Bord, ein Dampfgarer und ein Backofen – die einzigen Küchengeräte, die an diesem Tag zum Einsatz kommen.

André Meisel, der in der Spitzengastronomie seine Lehre gemacht hat, weiß um die Herausforderung, bei 300 km/h ein Hauptgericht zuzubereiten. Der Platz in der „Galley“ genannten Bordküche ist stark begrenzt, die Zeit, die Reisende mitbringen, manchmal knapp, die logistische Koordination der vakuumverpackten Speisen ein Meisterwerk für sich. Experimente? Nicht an Bord.

Dass die Biokost unterwegs schmeckt wie hausgemacht, stellt Meisel in Zusammenarbeit mit den Lebensmittellieferanten der DB sicher, noch bevor die ersten Speisekarten erstellt werden. Das Repertoire der neuen Aktionsgerichte besteht in der Regel aus zwei Komponenten: ein Angebot saisonaler Spezialitäten, das alle drei Monate wechselt, ergänzend dazu ganzjährige Lieblingsgerichte.

Die Portionen werden bei den Lieferanten frisch gekocht, vakuumiert und pasteurisiert. Kontinuierlich gekühlt sind sie mindestens zwölf Tage haltbar. Die Kürbissuppe bleibt im Dampfgarer sämig, die Kartoffelrösti werden im Backofen schön knusprig (beide im Herbstmenü). Zubereitungshinweise hält Meisel in einem Handbuch fest. Das neue Konzept habe ihn gleich gereizt, sagt Schaaf – es sei jedoch „knackig“ in der Umsetzung, bekennt er. Jede Zutat biozertifizieren zu lassen, bedeute einen enormen Aufwand, echtes Neuland in der Systemgastronomie.

Foto: Wolfgang Stahr
Messer, Gabel, Stift: Unsere Autorin verkostet die Gerichte des kommenden Herbstes

Die Verkostung ist ein zentrales Puzzleteil in der grünen Transformation der Bordgastronomie. „Schmecken soll es nicht nur mir“, zwinkert Schaaf, an Bord gelange nur, was sich bei diesem Termin durchsetzt. Sein Favorit? Das Biorosinen-Holzofenbrötchen, überbacken mit Camembert und Rosmarin, das Meisel zum Ende der Verkostung serviert. Um den dunklen Konferenztisch sitzen vier gut gesättigte Proband:innen – nicht unwichtig, was sie notiert haben. Die Bioküche könnte neue Maßstäbe für die Branche setzen.  

Und das Rosinenbrötchen? Kommt Ende des Jahres auf die Speisekarte. Räuspern im Verkosterpublikum: „Haste noch so eins für mich zu Hause?“ Ein bisschen Geduld, im kommenden Winter ist es so weit.

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