Forschung auf Schienen

Der Zugverkehr soll noch verlässlicher, komfortabler, vernetzter werden. Die DB entwickelt viele Ideen, damit das gelingt. Die meisten werden in diesem Zug getestet. Willkommen im „advanced TrainLab“

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Foto: Max Zerrahn für DB MOBIL

Dass das hier kein normaler ICE ist, fällt schon auf, als der Zug in den Betriebsbahnhof Berlin-Grunewald einfährt. Statt des hochfrequenten Surrens, das so typisch für den ICE ist, ertönt das sonore Tuckern von Dieselmotoren. Und richtig: Auf dem Dach fehlen die Stromabnehmer. Auch der rote Streifen eines ICE fehlt, die Bauchbinde ist grau. Auf den Fenstern steht in großen Buchstaben „advanced TrainLab“, wörtlich übersetzt: fortschrittliches Zuglabor. Bei der DB sagen sie: das schnellste Labor auf Schienen. Es ist jedenfalls der ungewöhnlichste Zug der gesamten ICE-Flotte.

Man könnte auch sagen: Dieser Zug ist der modernste, den die Bahn hat. Vor rund 20 Jahren war das Modell der Baureihe 605 erstmals im regulären Passagierverkehr unterwegs. Inzwischen dient es, vollgepackt mit technischen Geräten, ganz anderen Zwecken. „Mit dem TrainLab erforschen und entwickeln wir Technologien, die den Bahnbetrieb voranbringen werden“, erklärt Projektleiterin Chantal Radü, als sie aus dem Zug klettert. Fast wöchentlich geht das TrainLab mit Experten der DB auf Testfahrt. „Wir kooperieren aber auch mit Partnern aus der Industrie und mit wissenschaftlichen Einrichtungen.“

Foto: Max Zerrahn für DB MOBIL
Projektleiterin Chantal Radü

Die Zukunft, die es zu erforschen gilt, fängt schon beim Diesel an. In den Tanks des Zuges schwappt nicht irgendein Kraftstoff, sondern ein klimafreundlicher: Der Ökodiesel wird zu 100 Prozent aus biologischen Rest- und Abfallstoffen hergestellt. „Damit können wir den CO₂-Ausstoß im Vergleich zum normalen Diesel um bis zu 90 Prozent senken“, sagt Radü. Seit mehreren Monaten treibt der Kraftstoff zwei der vier jeweils 560 Kilowatt (761 PS) starken Motoren an. Die beiden anderen laufen mit herkömmlichem Diesel, damit der Einfluss auf die Motorleistung vergleichbar ist. Wird der Test ein Erfolg, könnten bald auch Regionalzüge, die auf nicht elektrifizierten Strecken unterwegs sind, klimafreundlich tanken.

„Der Ökodiesel ist eines unserer Herzensprojekte“, sagt Chantal Radü. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie das Potenzial des Kraftstoffs früh erkannt und sich für dessen Erprobung stark gemacht. Die 29-jährige Maschinenbauingenieurin stieg als Trainee bei der DB ein. Seit der Jungfernfahrt 2018 des TrainLab ist sie an Bord und koordiniert den Betrieb des Zuges. Ein abwechslungsreicher Job. „Typische Arbeitstage gibt es nicht. Wenn Störungen oder unerwartete Reparaturen anfallen, müssen wir improvisieren“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „Da bin ich manchmal vor allem als Krisenmanagerin unterwegs.“

Als sich der Zug zur Fahrt nach Berlin-Wannsee in Bewegung setzt, führt Radü einmal durch das rollende Labor. Auf den ersten Blick sieht die Inneneinrichtung aus wie im normalen ICE. An einigen Stellen aber ist der Zug bis aufs ­Skelett entkernt: Die Messinstrumente und die Rechnerschränke, aus denen Kabel quellen, brauchen Platz. Zwei Techniker, die eine Messfahrt vorbereiten, blicken konzentriert auf ihre Laptops. Die beiden arbeiten an einem Projekt, mit dem die Position des Zuges auf der Strecke zentimetergenau bestimmt wird. Was sich selbstverständlich anhört, ist eine Schlüsseltechnologie für den Schienenverkehr der Zukunft. Chantal Radü beschreibt einen Anwendungsfall: „Wenn wir beispielsweise den Zustand der Schienen und Schwellen mit Kameras und Sensoren automatisch überprüfen wollen, müssen wir exakt wissen, wo der Fehler ist. Nur dann können wir später einen Reparaturtrupp losschicken.“

Die Digitalisierung der Bahn spielt auch bei vielen anderen Projekten des TrainLab eine Rolle. So sind an beiden Enden des Zuges Plattformen für Kameras und Sensoren angebracht, mit denen sich Systeme zur Objekt- und Hinderniserkennung erproben lassen. Sie sollen den Betrieb noch sicherer und zuverlässiger machen. Optimale Bedingungen, um solche Systeme zu erproben, bieten wenig befahrene Strecken. Auch deshalb ist das TrainLab besonders oft in Gegenden unterwegs, in denen nur wenige Züge fahren und erst recht kein dieselgetriebener ICE.

Als der Zug in Berlin-Wannsee hält, zeigt Chantal Radü aufs Dach der Wagen. Dort sind verschiedene Antennen montiert. Sie fangen – wie bei jedem ICE – die Mobilfunksignale für das WLAN an Bord ein. Anders als bei einem normalen Zug lassen sich die Antennen am Versuchszug aber mit einer speziellen Vorrichtung schnell wechseln. Das ist die Voraussetzung für Tests, mit denen die beste Antennentechnologie gesucht wird. Mobilfunk im Zug – da liegt die Frage auf der Hand: Wann kommt das bessere WLAN bei den Reisenden an? „Da wird es leider keinen Schlüsselmoment geben“, erläutert Radü, „das wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess.“ Außerdem: Der Empfang im Zug könne immer nur so gut sein wie das Mobilfunknetz an den Strecken.

Stationiert ist das „advanced TrainLab“ in Halle an der Saale. Von dort aus starten die meisten Versuchsfahrten. Der Laborzug saust dann mit 200 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit über Schnellfahrstrecken – oder kriecht im Schritttempo über Nebenstrecken. Doch wie integriert man einen Zug, der weder Passagiere noch Güter befördert, in den Fahrplan? „Das ist manchmal eine Kunst für sich“, weiß Radü. Das TrainLab sei ja nicht nur ein zusätzlicher Zug auf der Strecke. Manchmal müsse es für einen Versuch mit kontinuierlichem Tempo fahren, ein andermal dürfe es nicht anhalten und brauche Signale für eine grüne Welle. Dann könne es schwierig werden, eine freie Trasse zu finden. „Wir dürfen den regulären Verkehr nicht stören. Also fahren wir manchmal nachts.“

Genauso schwierig ist es inzwischen, überhaupt noch freie Kapazitäten für neue Projekte im rollenden Zuglabor zu finden. „Deswegen bringen wir bald einen zweiten Versuchszug auf die Schiene“, verrät Chantal Radü noch. Wann das sein wird? „Noch in diesem Jahr.“

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