Ein Dorado für Echsen

Sie sonnen sich im Schotter, verstecken sich im Gras: An Gleisen fühlen sich Zauneidechsen wohl. Wie schützt die DB die Tiere am besten? Um das zu erfahren, hat eine Forscherin sie mit Sendern versehen

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Zauneidechse im Schotterbett mit einem am Schwanz befestigten Radiotelemetrie-Sender
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Zwei Bahngleise, irgendwo am nördlichen Stadtrand von Berlin. Ringsherum sprießt kniehohes Gras, wild wuchern Büsche und Sträucher. Dazwischen totes Gehölz und die eine oder andere Kabeltrommel. Idylle sieht anders aus – zumindest für das menschliche Auge. Doch für Zauneidechsen seien Bahngleise ideale Lebensräume, erklärt Umweltplanerin Alina Janssen. „Es gibt viele Strukturen auf kleinem Raum: Im Gleisschotter ­sonnen sich die Tiere gern, Gras und Gebüsch bieten gute Versteckmöglichkeiten.“ Wenn es kälter wird, suchen sich die Reptilien ein frostfreies Revier – und werden ebenfalls fündig: „An Gleisen liegt oft Gehölz, darunter friert es nicht so schnell“, sagt Janssen.

Eigentlich ist die Zauneidechse in Flussauen beheimatet. Doch die sind rar geworden. Bahnstrecken sind Sekundärlebensräume – menschengeschaffene Landschaften, die den Bedürfnissen der Tiere entsprechen. „Diese Orte sichern langfristig das Überleben der Art. Der natürliche Lebensraum ist in dieser Menge einfach nicht mehr vorhanden“, sagt Janssen. Das betrifft auch manch andere Spezies: Fledermäuse, Raubvögel und sogar Biber siedeln sich in der Nähe von Bahnanlagen an. Die DB steht in einer be­son­deren Verantwortung, diese Populationen zu schützen. Hier kommen die DB-Umweltpla­ner:in­nen ins Spiel. Sie prüfen vor Bauarbeiten, ob geschützte Tiere am Bauort vorhanden sind, und bringen diese in Sicherheit. In diesem Team hat auch Janssen ihre Karriere als Umweltplanerin begonnen, bevor sie den Arbeitgeber wechselte. Aber auch dort hat die 33-Jährige immer wieder mit Bahnprojekten zu tun.

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In der Nähe einer Bahnstrecke in Brandenburg kampierte Umweltwissenschaftlerin Alina Janssen, um die Bewegungen der Zauneidechsen zu analysieren

Mit Lasso auf Reptilienjagd
„Zauneidechsen zu fangen kann Monate dauern“, erklärt Janssen. Meist werden die Tiere in Eimern abgefangen, die entlang eines Schutzzauns vergraben werden. Huscht eine Eidechse direkt vorbei, kann man sie mit einem Schwamm einfangen. Oder man greift zu einem Holzstock mit einer kleinen Lassoschlinge vorn dran. „Ich lege sie der Eidechse um den Kopf und ziehe sie hoch, sodass sich die Schlinge zuzieht. Das tut der Eidechse wegen ihres Schuppenpanzers auch nicht weh.“ Wenn die Fang­eimer über mehrere Tage leer bleiben, gehen die Umweltplaner:innen davon aus, alle Tiere eingesammelt zu haben.
Es wäre schön, das aufwendige Verfahren zu beschleunigen, jedoch: „Wir wissen nicht genau, an welchen Stellen sich die Tiere am Gleis aufhalten oder wie groß ihre Streifzüge sind.“ Diese Wissenslücken wollte Janssen schließen. Im Sommer 2020 startete ihr eigenes Forschungsprojekt, das sie zu ihrer Doktorarbeit am Museum für Naturkunde Berlin machte. Die DB unterstützte sie mit Geld und Personal. Schließlich hat sie bei den vielen Bauprojekten der kommenden Jahre häufiger mit der Zauneidechse zu tun.

Eidechsen auf Sendung
Wenn Janssen von ihrer Forschung im Osten Brandenburgs erzählt, klingt es ein wenig nach Abenteuerurlaub. Da pandemiebedingt viele Hotels noch geschlossen hatten, stellte sie einen Wohnwagen in die grasige, von zwei Gleisen durchzogene Ödnis. Gesellschaft leistete ihr Sicherheitspersonal, „um Ausschau nach Zügen zu halten“.

So lebte sie stets in der Nähe ihrer Untersuchungsobjekte, die sie, mit Unterbrechungen, von Juni 2020 bis Mai 2021 beobachtete. Dafür nutzte sie eine völlig neue Methode: Sie versah 80 ausgewachsene Zauneidechsen mit 0,3 Gramm leichten Sendern, die sie entlang des Schwanzes befestigte. „So kommen die Eidechsen problemlos in ihre Schlupflöcher.“ Von gelegentlichen Echsenbissen abgesehen lief das problemlos: Nach drei Wochen fielen die Sender von allein ab. Janssen setzte auf Funk, denn „Radiotelemetrie-Sender sind leichter und genauer als GPS“. Einziger Nachteil: Sie empfängt die Standortdaten nicht automatisch, sondern muss die Tiere selbst orten.

Mit Receiver und ausgefahrener Antenne kämpfte sich Janssen durch zecken­reiche Gräser und dornige Sträucher. „Manchmal dauerte es drei Stunden, alle zu finden. Dann ging es von vorn los, bis zu sechsmal am Tag.“ Doch sie arbeitete gern mit den Reptilien: „Zauneidechsen sind sehr individuell. Man schreibt ihnen Charakter zu. Manche sind eher schüchtern, andere die totalen Draufgänger mit einem supergroßen Revier.“

Ein großes Revier bedeutet für männ­liche Zauneidechsen 330 Quadratmeter, für weibliche 240. Die Kernzonen beschränken sich auf 20 bis 30 Quadrat­meter, wie Janssen herausfand: „Zauneidechsen leben auf relativ engem Raum.“ Somit könnten auch kleinflächige Arbeiten am Gleis die Tiere gefährden. Nur im Spätsommer unternehmen Zauneidechsen eine Wanderung von 100 Metern, vermutlich zum Winterquartier. Gleise überqueren sie aber nicht: Während der Untersuchung wagte sich nur eine Eidechse auf die andere Seite der Schienen.

Noch ist Janssens Dissertation im Fach Umweltwissenschaften nicht veröffentlicht. Aber die vorliegenden Erkenntnisse helfen der DB bereits, die Art künftig noch besser zu schützen. Damit es die Zauneidechsen weiterhin behaglich haben, zwischen Schotter und Gestrüpp. Mehr dazu: gruen.deutschebahn.com/de/massnahmen/eidechsen

Erschienen in DB MOBIL Ausgabe November 2022

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