Aus vollem Antrieb

Die Bahn macht Tempo beim Klimaschutz. Um den Ausstoß von Schadstoffen zu bremsen, wird Diesel durch alternative Kraftstoffe und Antriebe ersetzt. Auf einigen Strecken kommen sie schon zum Zug

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Jochen-Schievink

„Das ist grün“ steht auf dem Sylt-Shuttle, der in Richtung Niebüll abfährt. Bis auf einige neue Aufkleber bemerkt Rolf Stahmer am Zug keine Veränderungen. „Die Lok fährt sich wie immer“, sagt der 61-Jährige, als er aus dem Bahnhof von Westerland rollt. Der Leiter der Triebfahrzeugführer:innen sitzt nur noch selten im Führerhaus. Doch diese Fahrt ist etwas Besonderes. Was die Maschine getankt hat, unterscheidet sich ganz wesentlich vom herkömmlichen Treibstoff. Es ist Kraftstoff aus biologischen Rest- und Abfallstoffen, der vor allem einen Vorteil hat: Er verursacht in der Gesamtbilanz 90 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen als der Diesel, mit dem die Züge jahrelang unterwegs waren.

Sylt fährt voran. Nach dem Einsatz im Güterverkehr startete die DB im Juni auch beim Personentransport in eine neue Ära, die den Schienenverkehr bundesweit verändern soll. Weg vom Diesel, hin zu alternativen Kraftstoffen und Antrieben – mit diesem Plan treibt die Bahn ihr Ziel voran, bis 2040 die klimaschädigenden Emissionen gegen Null zu reduzieren. Bereits heute stellt sie das umweltfreundlichste Transportmittel bereit. Während der gesamte Verkehrssektor noch immer so viel Treihausgase ausstößt wie 1990, hat die DB die Emissionen um 70 Prozent verringert. Rund 90 Prozent der Verkehrsleistung erbringt sie elektrisch, und dafür kommen ca. 62 Prozent Ökostrom zum Einsatz.

Geschwärzt wird die grüne Bilanz aber durch die nicht elektrifizierten Strecken, die etwa zwei Prozent des Fernverkehrs und ein Drittel des Regionalverkehrs ausmachen. Heute rollen noch 3000 Dieselschienenfahrzeuge der DB durchs Land. Um deren Umweltbelastung zu reduzieren, fördert die DB neben Biokraftstoff mit Batterie- und Wasserstoffantrieben zwei weitere Alternativen.

Kraft aus Biomasse

Jochen-Schievink
Vom Feld in den Tank? Nicht beim DB-Biokraftstoff. Er besteht aus biologischen Rest- und Abfallprodukten

 

„HVO“ prangt in großen Buchstaben auf den Shuttle-Zügen, die mehrmals am Tag zwischen Westerland und Niebüll auf dem Festland pendeln, einige fahren damit weiter bis Bredstedt in Schleswig-Holstein. HVO steht für hydrierte Pflanzenöle, ein Produkt, bei dem biologische Abfall- und Reststoffe (z.B. Altspeiseöle und Gülle) in chemischen Reaktionen unter Einsatz von Wasserstoff umgewandelt werden. Für die Herstellung dieses Kraftstoffs benötigt man keine Rohstoffe, die in Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion stehen. Keine Lok muss dafür umgerüstet werden. Hinzu kommt die Ersparnis von Treibhausgas-Emissionen in der Gesamtbilanz um rund 90 Prozent im Vergleich zum Diesel.

Vor dem Start auf Sylt ging die DB der Frage nach, ob der synthetische Treibstoff auch so effizient ist wie der Diesel. Können die Züge unter voller Belastung ohne Leistungseinbußen fahren? Bereits seit August 2021 wurde der Biokraftstoff umfassend im Güterverkehr bei DB Cargo erprobt. Dort hängen schon mal 20 Wagen mit bis zu 3000 Tonnen mit Erzen oder Stahl an der Zugmaschine. Doch auch unter diesen Belastungen erwies sich der Kraftstoff als vollwertig. „Die Energiedichte und Leistungsfähigkeit sind nahezu identisch“, so Meike Friedrich, Nachhaltigkeitsmanagerin bei der DB Cargo, „daher bietet HVO im Dieselbereich eine umweltfreundliche Alternative für uns. Inzwischen haben wir alle unsere Diesellokbaureihen für den Einsatz von HVO freigegeben.“

Auch beim Gütertransport gilt die Schiene als eine der umweltfreundlichsten Verkehrsträger mit rund 80 Prozent weniger CO₂-Ausstoß als der Straßentransport. Ein Cargo-Zug ersetzt auf den großen Achsen, zum Beispiel zwischen Nord- und Südeuropa, bis zu 52 Lkw. In einigen Bereichen, wie zum Beispiel auf der letzten Meile zu den Werken, waren häufig Dieselloks im Einsatz. Doch auch sie werden zunehmend mit Biokraftstoff betankt. Nach den ersten HVO-Tankstellen für DB Cargo in Würzburg, Frankfurt am Main und Kassel hat die DB nun die erste HVO-Tankstelle auf Sylt für den Personenverkehr errichtet.

Warum aber füttert die Bahn alte Loks mit neuem Treibstoff, statt sie durch elektrische zu ersetzen? Erstens: Für den Strombetrieb müsste ein Drittel des gesamten deutschen Streckennetzes mit Oberleitungen ausgerüstet werden, was Jahre dauern würde. Zweitens wäre es weder wirtschaftlich noch nachhaltig sinnvoll, die Loks sofort aus dem Verkehr zu ziehen, da ihre Nutzungsdauer bei mehreren Jahrzehnten liegt. So sieht die DB in Biokraftstoff eine notwendige Übergangslösung und erprobt parallel neue Antriebsarten, um damit nach und nach ausrangierte Dieselfahrzeuge zu ersetzen.

Tesla auf Schienen
Eine der Antriebsarten konnte Felix Allier im Frühjahr in Baden-Württemberg testen. „Nach den ersten Metern habe ich mich gefragt: Fahren wir überhaupt schon? So leise war das Fahrgeräusch mit dem neuen Antrieb“, erinnert sich der 41-jährige Triebfahrzeugführer an seine erste Fahrt mit einem Zug, der die Aufschrift „Ich bin geladen“ trug. Geladen hatte er acht wuchtige Batterien mit einer Länge von einem Meter, deponiert auf den Wagendächern. Damit erzielte das 60 Meter lange Fahrzeug auf der Strecke zwischen Herrenberg und Eutingen im Gäu Reichweiten von rund 40 Kilometern.

Doch was passiert, wenn die Akkuleistung nachlässt? In einem Versuch in Bayern wurden die Batterien an den Start- und Zielbahnhöfen aufgeladen, da die Strecke dazwischen nicht elektrifiziert ist. Erreichte der Zug eine dieser Stationen, fuhr der Stromabnehmer auf dem Dach nach oben und zapfte die Oberleitung als Ladestation an.

„Der Ladevorgang dauert nicht mal zehn Minuten, schon kann man weiterfahren“, beschreibt Allier seine Erfahrung aus Baden-Württemberg. Dort erprobte man die Aufladung während der Fahrt und machte sich den Umstand zunutze, dass die gesamte Strecke mit einer Oberleitung überspannt war. Nach den erfolgreichen Versuchen sollen im nächsten Jahr Batteriezüge der neueren Generation mit Reichweiten bis zu 100 Kilometer zwischen Leipzig und Chemnitz den Betrieb aufnehmen.

Tankstelle an Bord
Der Batteriezug soll also kurze Strecken zwischen den elektrifizierten Passagen und denen ohne Oberleitung emissionsfrei überbrücken. Wenn es um längere Distanzen geht, knüpft die DB große Erwartungen an die Wasserstofftechnik. Statt Batterien lagern auf dem Dach des Zuges Brennstoffzellen, die Wasserstoff in elektrische Energie umwandeln. Der Nachteil: Für die Erzeugung von Wasserstoff wird sehr viel Strom benötigt. Dem gegenüber stehe ein gewichtiger Vorteil, wie Christian Pieper erläutert. „Das Problem bei Strom ist, dass man ihn nicht in großen Mengen speichern kann, zum Beispiel für die Zeit, in der es zu Engpässen kommt“, sagt der Referent für alternative Antriebstechniken bei der DB. „Dagegen lässt sich Wasserstoff als Energielieferant in Form von Gas besser verteilen und über Monate speichern.“

Außerdem biete die Technik den Vorteil, dass man mit einer Ladung Strecken von bis zu 700 Kilometern zurücklegen könne. Nach ersten Testfahrten mit einem Prototyp entwickelte die DB eine mobile Anlage, die eine Schnellbetankung von Wasserstoffzügen erlaubt. Sie soll ab 2024 den Wasserstoffzug versorgen, der dann im regulären Fahrgastbetrieb zwischen Tübingen, Horb und Pforzheim unterwegs sein wird.

Beide Antriebstechniken haben ihre Vorteile und sollen dazu beitragen, den Schienenverkehr noch umweltfreundlicher zu machen. Denn das Ziel der DB ist klar: In 18 Jahren soll kein Zug mehr mit Diesel unterwegs sein.

 

Erschienen in DB MOBIL Ausgabe September 2022

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