„Das Fahrrad hat Rückenwind“

Jana Kühl, 38, ist Deutschlands erste Professorin für Radverkehrsmanagement. Sie erklärt, was für mehr Poller und weniger Parkraum spricht. Und warum Radtouren durch Paris, Bremen und Wuppertal lohnen

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Datum: 24.02.2023
Lesezeit: 10 Minuten
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Frau Kühl, in welcher Stadt haben Sie sich als Radfahrerin bisher am wohlsten gefühlt?

Ich habe das Radfahren während meines Studiums in Kiel schätzen gelernt. Wenn das Verkehrsmittel in einer Stadt von vielen Bürger:innen genutzt wird, nehmen einen auch andere Verkehrsteilnehmer:innen stärker wahr, dann halten Autos selbstverständlich an Kreuzungen, bevor sie rechts abbiegen. Entspannt wird es vor allem dann, wenn man vom Autoverkehr auch ein Stück weit Distanz hat und auf abgetrennten, breiten Spuren unterwegs sein kann. Das findet man aber nur selten durchgängig in den Städten.

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Mal Lastenrad, mal Faltbike: Professorin Jana Kühl nutzt mehrere Räder im Alltag

Laut einer Studie des ADAC von 2021 fühlen sich Menschen auf dem Rad verglichen mit anderen Verkehrsteilnehmer:innen noch immer am unsichersten – was müsste passieren, damit sich das ändert?

Das Rad benötigt eine eigene Infrastruktur mit markierten, möglichst durch Poller oder Bordsteine geschützten Radwegen, Velorouten und Radschnellwegen und Brücken, die Kreuzungen überqueren, wie man es zum Beispiel im niederländischen Eindhoven am Hovenring erleben kann. So vermeidet man Konflikte und erhöht das Sicherheitsgefühl.

Das ist das Ideal – und wie sieht die Realität aus?

Da gibt es noch viel zu tun. Alle Kommunen bekennen sich zwar dazu, die CO₂-Belastung zu reduzieren, aber wenn es um die Verteilung des Verkehrsraums geht, prallen die Interessen aufeinander. Dabei geht es nicht darum, das Autofahren generell zu verbieten, es geht vielmehr um die Frage, wie man auf engstem Raum Lebensqualität für alle schafft und erhält. Dann kann es sinnvoll sein, Parkraum für Autos abzubauen, um breitere Wege zu schaffen, oder Neben- in Fahrradstraßen umzuwidmen, und das passiert auch immer öfter. Das Fahrrad hat Rückenwind, denn es ist nicht nur ein effektives Verkehrsmittel im Nahbereich, es ist auch Zubringer zum ÖPNV und zur Bahn und leistet einen wichtigen Beitrag zur klimafreundlichen Mobilität.

Wo ist Radfahren in Deutschland attraktiv?

In Hamburg wurden neue, markierte und zum Teil geschützte Radwege entlang der Alster und der Reeperbahn eingerichtet, auch in Berlin und Frankfurt am Main entstanden Wege, die aus den Pop-up-Lanes während der Pandemie hervorgegangen sind. Es sind gute Ansätze, wichtig aber ist die Schaffung durchgängiger Wegenetze, damit anfangs sichere Radwege nicht abrupt enden.

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Pop-up-Lanes wie hier in Berlin sorgen für einfachen, schnellen Ausbau des Wegenetzes

Sehen Sie noch Beispiele mit Vorbildcharakter? 

Bremen macht viel in Sachen grüner Verkehrswende. Dort wurde zum Beispiel in der Alten Neustadt ein Netz von Radwegen zu einer Fahrradzone verbunden; andere vielversprechende Projekte sind Superblocks, wie sie demnächst in Darmstadt und Leipzig entstehen sollen. Das sind Wohnviertel, die mit Durchfahrtsperren für Autos entlastet werden.

Sind das nicht nur schöne Inseln im Strom? 

Sie haben erst mal Modellcharakter, können aber den Menschen bewusst machen, wie sich das Leben im öffentlichen Raum verändert, sobald der nicht vom Kfz-Verkehr dominiert wird, was sich unmittelbar durch weniger Lärm, weniger Konfliktpotenzial, weniger Stress und mehr Sicherheit auswirkt.

Wie wichtig ist ein gutes Radwegenetz für den Tourismus? 

Es spielt beim Reisen eine immer größere Rolle. In Städten, in denen viel Rad gefahren wird, ist meist auch die Aufenthaltsqualität größer, weil sich viele Viertel und Straßen entspannter erkunden lassen. Ein wichtiger Impuls für den Radreise-Tourismus geht vom E-Bike aus. Damit finden auch ältere Menschen den Anschluss ans Radfahren und haben einen großen Radius, um Regionen zu entdecken. Mit dem E-Bike sind auch Steigungen kein Problem mehr.

Was macht es attraktiv, eine Stadt oder Region per Rad zu erkunden? 

Das Schöne ist, dass man vom Fahrrad aus die Umgebung viel unmittelbarer und flexibler erleben kann, als wenn man zum Beispiel mit dem Bus eine Sightseeing-Tour macht oder mit dem Auto unterwegs ist. 

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Mehr Savoir-vivre auf zwei Rädern: Paris schafft im Innenstadtbereich Raum für komfortable Velorouten wie hier unter der Brücke „Pont de Bercy“

Gibt es Städte, die man besonders komfortabel mit dem Rad entdecken kann?

Paris zum Beispiel war lange Zeit keine Fahrradstadt, das hat sich aber geändert, indem die Bikesharing-Angebote erweitert und rund 1000 Kilometer Radwege geschaffen wurden.

Wie nutzen Sie das Rad? 

Für mich ist es in erster Linie ein praktisches Verkehrsmittel, um von A nach B zu kommen. Ich habe ein Faltrad, um meine Fahrten mit Bus und Bahn kombinieren zu können, in der Freizeit fahre ich Mountainbike, für Einkäufe nutze ich ein Lastenrad. Das nimmt sehr viel Platz in Anspruch, und ich würde gern darauf verzichten, aber leider habe ich in meinem Wohnort in Salzgitter nicht die Möglichkeit, ein Lastenrad zu leihen.

Auch auf Radwegen wird es immer enger; doch anders als in Kopenhagen hat man das Gefühl, dass es auch im Radverkehr hierzulande recht aggressiv zugeht – können wir Deutschen nicht entspannt fahren? 

Über viele Jahre war Radfahren vor allem ein Kampf, weil man von Autofahrer:innen nicht ernst genommen oder gar übersehen wurde, Baustellen und Autos Wege blockierten. Es entwickelte sich eine gewisse Trotz- oder Kampfhaltung; wenn Radfahren zunehmend eine selbstverständliche Fortbewegung wird, bin ich zuversichtlich, dass sich die Ruppigkeit legt. Je mehr Menschen unterwegs sind, desto wichtiger sind allerdings Verhaltensregeln, wie man sie in den Niederlanden und Dänemark eingeübt hat – zum Beispiel, dass man anzeigt, wenn man bremst oder abbiegt.

Was können Sie als Professorin im Studiengang an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften bewirken?  

Mein Auftrag ist es, Studierende auf die Arbeit in den Behörden vorzubereiten. Es gibt nur wenige Studiengänge, die sich mit Radverkehrsplanung beschäftigen, doch der Bedarf an Fachpersonal ist groß. Neue Radwege und autofreie Zonen einzurichten ist ein aufwendiger Prozess, der viele Aspekte berücksichtigen muss, nicht zuletzt auch die Kommunikation. Man muss die Bürger:innen frühzeitig in Vorhaben einbeziehen. Die Radikalität hilft da nicht weiter. Auf der anderen Seite braucht es mehr als kleinteilige Lösungen und auch deren konsequente Umsetzung, wenn wir ein großes Ziel verfolgen – Mobilität und Umweltschutz miteinander zu versöhnen.

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Bahn frei: Auf einer ehemaligen Schienentrasse entstand in Wuppertal ein 22 Kilometer langer Radweg mit Tunneln, Viadukten und Aussichten auf die Stadt

Haben Sie als Fahrradexpertin einen Geheimtipp für unsere Leser:innen?

Besonders spannend finde ich Bahnradwege wie etwa in Wuppertal. Dort wurde auf einer ehemaligen Eisenbahnstrecke ein 22 Kilometer langer Weg errichtet, der so breit ist, dass dort Radfahrer:innen, Fußgänger:innen und Inlineskater:innen Platz finden.

 

Fünf fahrradfreundliche Städte und Regionen  

Hoch im Norden
Bremen radelt voran. Die Hansestadt eroberte nach der jüngsten Umfrage des Verbands ADFC (aktuelle Ergebnisse ab Ende April) den ersten Platz unter den radfreundlichsten Städten Deutschlands, gefolgt von Hannover. Hervorzuheben sind der mit 25 Prozent hohe Anteil des Rads am Verkehr sowie die wachsende Zahl der vom Autoverkehr getrennten Wege. Das gute Netz kommt auch den Reisenden von auswärts zugute. Die 821 Kilometer Radwege verbinden nicht nur alle Stadtteile miteinander, sie bieten auch Anschluss an schöne Ausflugsrouten wie den Weserradweg, der 2022 vom ADFC zum dritten Mal zu Deutschlands beliebtestem Radfernweg gewählt wurde. 

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Auf historischen Spuren: Die Wasserburg Anholt mit ihrem weitläufigen Park liegt auf der „100-Schlösser-Tour“, die durchs Münsterland führt

Komfortradeln im Münsterland
Das Münsterland ist eines der attraktivsten Reiseziele für Radler:innen. Ein besonderes Highlight bildet die „100-Schlösser-Tour“ im nordwestlichen Westfalen, die auf 960 Radkilometern mehr als 100 Burgen und Schlösser mit weitläufigen Parks und Gärten verbindet. Auf gut ausgeschilderten Radwegen lassen sich Touren durch die Münsterländer Parklandschaft vorbei an ländlich geprägten Ortschaften mit Ausflügen ins grenznahe Holland kombinieren. Zum Übernachten lockt eine Vielzahl von fahrradfreundlichen Unterkünften („Bett+Bike“).

Tunnelblick
Mit fünf Sternen – der höchsten Auszeichnung – hat der Fahrradclub ADFC vor Kurzem den Diemelradweg prämiert. Er beeindruckt durch sein naturnahes, gut ausgebautes Radwegenetz, das auf rund 112 Kilometern von Willingen-Usseln im Sauerland über die Höhen des Rothaargebirges durch den Carlsbahntunnel, Hessens ältesten Eisenbahntunnel, bis zur Barockstadt Bad Karlshafen führt.

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Malerisch: Der Ruhrtalradweg führt auch durch die wilde Auenlandschaft von Hattingen

Mit Pedalen durch den Pott
Radeln durch den Ruhrpott – das hat etwas, weil 240 Radkilometer ganz verschiedene Landschaften des Reviers miteinander verbinden, vom Sauerland bis in die Stahlstadt Duisburg. Dabei geht es meist entlang der Ruhr, mit guter Anbindung an Bus und Bahn.

Per Velo? Très chic 
Noch immer gelten Kopenhagen und Amsterdam als die europäischen Vorbilder für fahrradfreundliche Städte. Doch auch Paris macht von sich reden, weil die Metropole ein großes Ziel verfolgt: Sie möchte bis 2026 zur Fahrradstadt werden. Mittlerweile wurden schon knapp 1000 Kilometer Wege gebaut. Wo einst der Autoverkehr tobte, führt nun eine Fahrradhauptstraße vom Triumphbogen quer durch die Stadt bis zur Bastille.

Service der DB rund ums Rad

Viel Bahn-Anschluss
Im DB-Fernverkehr ist eine Fahrradmitnahme in allen IC/EC-Zügen sowie auf vielen ICE-Verbindungen möglich. Benötigt wird eine Fahrradkarte sowie eine Stellplatzreservierung (Kosten: 9 Euro), die beim Kauf der Fahrkarte gebucht werden kann. Im Regionalverkehr der DB ist die Mitnahme eines Rads fast überall möglich und hängt nur von den zur Verfügung stehenden Kapazitäten ab. Die Fahrradtageskarte kostet hier 6 Euro. Die Preise weichen in den Verbünden von den Tarifen der Deutschen Bahn ab, auch die Fahrradmitnahme an sich ist in den verschiedenen Verkehrsverbünden unterschiedlich geregelt. Einen Überblick über die Konditionen zur Fahrradmitnahme in den Verkehrsverbünden finden Sie auf der Internetseite der DB Fahrradmitnahme im Nahverkehr.
Alle weiteren Informationen zum Thema unter bahn.de/fahrrad.

© Deutsche Bahn AG/Julia Breuer
Bequem mobil: mit DB Call a Bike

DB Call a Bike: Bikesharing leicht gemacht
Das bundesweite Bikesharing-Angebot der Deutschen Bahn – und eines der größten und erfolgreichsten in Deutschland – bietet zahlreiche Vorteile für Reisende. Einer davon: Sie brauchen nur ein Kundenkonto und eine App, und schon stehen mehr als 13.000 Räder der Call-a-Bike-Familie in über 80 deutschen Städten und Kommunen bereit. Die Preise sind moderat, und BahnCard-Kund:innen fahren noch einmal günstiger.

Die App DB Rad+ zählt die mit dem Fahrrad gefahrenen Kilometer und wandelt diese in ein Guthaben um, das bei regionalen Partnern gegen Rabatte und Prämien eingelöst werden kann. Von dem digitalen Angebot profitiert auch die gesamte Fahrrad-Community in der Region: Die App sammelt alle gefahrenen Kilometer auf einem Gemeinschaftskonto. Viele Kilometer bedeuten neue Angebote im Aktionsgebiet wie zum Beispiel eine Fahrradservicestation oder eine kostenlose Fahrradinspektion.
Bundesweit ist die App DB Rad+ bereits in 14 Städten im Einsatz. Mit 2,2 Millionen erradelten Kilometern in allen Aktionsgebieten haben die Radler:innen mehr als 300 Tonnen CO₂ eingespart. Wer bei DB Rad+ mitmachen möchte, findet alle Infos unter bahnhof.de/radplus.

Morgens das Fahrrad am Bahnhof abschließen und abends das fertig reparierte Rad wieder dort abholen – so einfach geht eine Fahrradreparatur mit DB Radfix. Radfahrende können diesen Service auf bahnhof.de/radfix buchen und an den Bahnhöfen Berlin Südkreuz und Hauptbahnhof Karlsruhe ausprobieren. Mit DB Radfix unterstützt die DB das klimafreundliche Zusammenspiel von Fahrrad- und Bahnfahren.

Mit der Bike+Ride-Offensive (B+R-Offensive) wollen das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und die DB möglichst viele Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen errichten. Das BMWK unterstützt die Kommunen durch Förderung der B+R-Offensive. Kommunen können sich auf der Website bahnhof.de/bikeandride schnell und unkompliziert für das Programm anmelden. Die DB hilft, geeignete Standorte an den Bahnhöfen zu finden, und stellt eigene Flächen mietfrei zur Verfügung. Zusätzlich unterstützt die DB bei der Planung und Montage der Anlagen. So schafft die DB zusammen mit den Kommunen mehr Platz für Fahrräder an Bahnhöfen. Ziel der Offensive ist es, das klimafreundliche Zusammenspiel von Fahrrad- und Bahnfahren zu fördern.

Alle Infos unter bahnhof.de/fahrrad

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