„Niemand möchte belehrt werden“

Schauspielerin Pheline Roggan setzt sich seit Langem für mehr Nachhaltigkeit in der Filmbranche ein. Im Interview mit DB MOBIL erklärt sie, was ihr Großvater damit zu tun hat und wo sie selbst schwach wird

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Datum: 14.04.2023
Lesezeit: 13 Minuten
Abhängen auf dem Sofa: Pheline Roggan im Festsaal des Gasthofs „Ein Ding der Möglichkeit“

Die Sauna ist kalt, die Kinderschaukel verwaist, und auch sonst passiert an diesem Märzmorgen noch nicht viel auf dem Gelände des Gasthofs „Ein Ding der Möglichkeit“ im niedersächsischen Waddeweitz im Wendland. Das ändert sich mit der Ankunft von Pheline Roggan, deren Freund:innen das liebevoll restaurierte, auf Nachhaltigkeit bedachte Anwesen gehört. Roggan – graue Jeans, hellblaues Sweatshirt, weiße Sneaker – besucht den Hof nicht nur heute für das Shooting, sondern kommt regelmäßig vorbei und schläft auch mal dort. Die Schauspielerin („Soul Kitchen“, „jerks.“) ist bekannt für ihr Engagement im Kampf gegen die Klimakrise und für einen gesellschaftlichen Wandel. Sie hat beispielsweise die Initiative Changemakers.film gegründet, die sich für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Filmbranche einsetzt. Deshalb passt „Ein Ding der Möglichkeit“, mit dem die Inhaber:innen aus Hamburg und Berlin alternative Wohn- und Arbeitsformen ausprobieren wollen, perfekt zu ihr. Überhaupt gefalle ihr das Landleben inzwischen sehr, sagt die 41-Jährige, die mit Tochter und Freund in der Hamburger City wohnt. „Wir haben im Lockdown vier Monate hier in der Nähe verbracht.“ Auf dem Land war Roggan auch für die TV-Dokureihe „Wir können auch anders“ (ARD-Mediathek), in der sie sich mit anderen Prominenten wie Anke Engelke, Bjarne Mädel oder Axel Prahl auf die Suche nach Lösungen der Klimakrise gemacht hat. Roggan selbst war auch an der Entwicklung und Gestaltung der Serie beteiligt.

Chillen im Innenhof: Schauspielerin Pheline Roggan zu Besuch bei Freund:innen im Wendland

Frau Roggan, Sie sind für zwei Folgen dieser Dokureihe unterwegs gewesen und haben unter anderem einen Mann getroffen, der aus Erbsen Fleischersatz machen lässt, und eine Frau, die sich um die Gesundheit von Stadtbäumen kümmert. Ihre größte Erkenntnis?

Vorher hatte ich manchmal den Eindruck, dass ich die Natur vor allem als Wohltat brauche und zur Erholung nutze: Ich bin gerne draußen, und wenn ich frei habe, fahre ich irgendwo ins Grüne oder ans Wasser. Ich habe erst jetzt so richtig begriffen, was die Natur eigentlich für uns leistet und wie entkoppelt wir in unserem städtischen, technologisierten Leben von ihr sind. Mir war nicht wirklich bewusst, wie abhängig wir von ihren ganzen Leistungen sind, die wir alle als so selbstverständlich hinnehmen: Luft, Wasser, fruchtbarer Boden, Lebensmittel. Und ich habe verstanden, dass das, was auf den Preisschildern dieser Lebensmittel steht, nicht den wirklichen Kosten entspricht.

Zum Beispiel?

Fleisch aus Massentierhaltung sorgt dafür, dass für den Anbau von Futtermitteln Wälder abgeholzt werden, dass der Boden verarmt und mit Nitrat belastet und dass das Grundwasser verschmutzt wird. Die Beseitigung dieser Folgen wird aber nicht eingerechnet in den Preis im Supermarkt, sondern zum Beispiel durch Steuern oder Abwassergebühren auf uns alle umgelegt. Wir bezahlen also alle, ohne es zu wissen, einen hohen Preis für vermeintlich billige Ware. Das muss sich ändern.

Die Dokureihe weist auf Missstände hin, kommt aber ohne erhobenen Zeigefinger aus. Warum war Ihnen das wichtig?

Es braucht einfach auch gute Nachrichten in dieser angespannten Weltlage, und niemand möchte belehrt werden. Mit erhobenem Zeigefinger den Leuten zu erzählen, was sie dürfen und was nicht, macht einfach nur bockig und provoziert eine Anti-Haltung. Deshalb kommuniziert kaum noch jemand so. Außerdem ist das Bewusstsein für die Umwelt inzwischen so gewachsen, dass ich das Gefühl habe, die meisten Menschen zeigen schon mit ihrem eigenen inneren Zeigefinger auf sich.

Am liebsten draußen in der Natur: Pheline Roggan im beschaulichen Waddeweitz im Wendland

Wie meinen Sie das?

Es passiert manchmal, dass Leute anfangen, sich mir gegenüber dafür zu rechtfertigen, wenn sie in den Urlaub fliegen. Dann denke ich, also bitte, mach doch. Das ist deine Diskussion, die du da jetzt mit dir selbst führst, und nicht unsere. Es ist richtig, dass sich das Bewusstsein ändert, dass man vieles überprüft und überlegt, muss das sein, brauche ich das jetzt wirklich? Aber man sollte nicht zu streng mit sich werden und sich alles verbieten. Ich esse auch gelegentlich eine Mango oder Avocado, und ich gehe auch mal in die Badewanne. Niemand möchte irgendjemandem etwas wegnehmen. Im Gegenteil, es geht doch darum, gute Lebensgrundlagen für alle zu erhalten!

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hat in einem Interview gesagt, Nachhaltigkeit müsse bequem sein. Sehen Sie das auch so?

Für die Politik nicht. Aber für die Bürger:innen sollte die nachhaltige Alternative die bequemste, die beste und die günstigste Alternative sein. Aber ganz im Ernst, wir können noch so viel Bioseife benutzen und uns noch so viele Zahnbürsten aus Bambus kaufen – aber was nützt das, wenn RWE Lützerath abbaggert und dadurch Unmengen an CO2 in die Atmosphäre pustet? Und wir währenddessen damit beschäftigt sind, uns gegenseitig vorzuhalten, dass wir im Urlaub waren oder keine nachhaltigen Turnschuhe tragen.

Bringen die ganzen kleinen Schritte im Alltag aus Ihrer Sicht also gar nichts?

Doch. Als zum Beispiel der Plastikstrohhalm verboten wurde, dachte ich erst, echt, Leute? Das ist jetzt unser Hauptproblem? Aber andererseits: Wir sind mittlerweile über acht Milliarden Menschen. Wenn auch nur die Hälfte davon jeden zweiten Tag aus dem Strohhalm trinkt und ihn danach wegschmeißen würde, dann wäre das ein Riesenberg. Aber bei all dem sollten wir nicht aus den Augen verlieren, wer die eigentlichen Verursacher der Klimakrise sind: die fossilen Konzerne.

Wegweisend: Pheline Roggan im Garten des grünen Gasthofs, den Freund:innen von ihr betreiben

Sie haben eine kleine Tochter. Bei vielen sorgt die Geburt ihres Kindes dafür, dass sie sich mehr um die Zukunft des Planeten sorgen. War das bei Ihnen auch der Fall?

Das ist eigentlich erst später passiert. Es gibt nicht den einen Moment, sondern eher einen Zeitraum. Im Sommer 2019 saß ich oft im Zug und habe viel gelesen, unter anderem den englischen „Guardian“. Dort gibt es schon lange eine Rubrik, in der sehr eindringlich über die Klimakrise berichtet wird. Damals hat der Regenwald in Brasilien gebrannt, die Permafrostböden sind 90 Jahre früher aufgetaut als erwartet, und auch das Eis in Grönland ist viel schneller abgeschmolzen als gedacht. Ich habe wahrscheinlich ein paar Artikel zu viel gelesen und einige Monate lang wirklich Panik gehabt. Das hatte mit Sicherheit auch etwas mit meiner Tochter zu tun. Als letzten Sommer mein Opa gestorben ist, wurde mir das noch mehr bewusst.  

Inwiefern?

Er ist 100 Jahre alt geworden. Meine Tochter ist jetzt fünf. Die Klimaprognosen gehen ja immer bis zum Ende des Jahrhunderts, und bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung wäre meine Tochter dann nicht mehr da. Was ist aber, wenn sie so alt wird wie mein Opa? Durch zwei Menschen, die mir sehr nahe waren und sind, habe ich auf einmal einen Bezug zur Dauer eines Menschenlebens bekommen, und mir wurde klar, dass auch meine Tochter noch krass betroffen sein könnte. Wie erkläre ich ihr das? Was antworten wir alle unseren Kindern, wenn die sagen: „Aber Ihr habt es doch gewusst. Warum habt Ihr denn nichts gemacht?“ Tja, warum nicht?

Am Thema Nachhaltigkeit kommt heute fast niemand mehr vorbei. Kann man es sich als in der Öffentlichkeit stehende Person noch leisten, ein Leben wie früher zu führen?

Da bin ich überfragt. Aber wir haben mit unserer Initiative für grünes Drehen so früh angefangen, dass es bei meinem Engagement nichts damit zu tun hat, ob es heute zum guten Ton gehört oder nicht.

Bapunzel statt Rapunzel: Roggan am Eingang zum ehemaligen Getreidesilo, das zur Bar umfunktioniert wurde

Sie sprechen von Ihrer Initiative Changemakers.film, die ökologische Mindeststandards entwickelt und daraus eine 13 Punkte umfassende Selbstverpflichtung für mehr Nachhaltigkeit bei Filmdrehs entwickelt hat. Inzwischen haben mehr als 600 Filmschaffende unterschrieben, zum Beispiel Lars Eidinger, Kida Khodr Ramadan, Veronica Ferres und Tom Tykwer. Wie waren die Reaktionen, als Sie die Initiative 2020 mit drei Kolleg:innen gegründet haben?

Von Nachhaltigkeit war in der Filmbranche damals kaum die Rede. Wir dachten, okay, wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen, dann müssen sich ja alle Bereiche umstellen. Wie ist das denn in unserer Branche? Und was ist eigentlich mit unseren Kolleg:innen? Die haben ja zum Teil eine wahnsinnig große Reichweite, und die wird für viele Dinge genutzt, Werbung zum Beispiel. Warum äußern sich so wenige zum Thema Klimawandel?

Und was haben Ihre Kolleg:innen Ihnen geantwortet?

Viele waren von Anfang dabei und haben direkt unterzeichnet, aber in den Medien haben wir erst mal starke Kritik bekommen: Was das denn solle, dass es Quatsch sei. In 100 Jahren Film sei doch noch nie darauf geachtet worden … Heute herrscht auf jeden Fall ein anderes Bewusstsein. Doch es gibt immer noch berühmte Menschen, die sich nicht äußern möchten.

Warum nicht?

Vielleicht, weil sie Angst haben, zu moralisch zu wirken oder Leute vor den Kopf zu stoßen. Sie wollen kein negatives Feedback, mit dem man bei dem Thema leider immer noch rechnen muss.

Vielleicht möchten sich einige auch nicht verzetteln und vor zu viele Karren spannen lassen?

Ich finde es ein bisschen schade, so zu denken. Es ist wichtig, den Bogen größer zu spannen. Jetzt heißt es oft: „Ich engagiere mich schon gegen Rassismus. Deshalb kann ich jetzt nicht auch noch was gegen die Klimakrise sagen.“ Aber die Klimakrise ist rassistisch, sie wird die Ungerechtigkeiten verschärfen, und sie ist auch sexistisch, denn Frauen leiden stärker unter den Auswirkungen. All diese Themenbereiche greifen ineinander, also sollten sie auch gemeinsam adressiert werden.

Nicht mehr blond: Für eine Rolle im Ludwigshafener Tatort wurden Roggans Haare rot gefärbt

Auf der Website Ihrer Initiative heißt es: „Wir sind gerne bereit, mit alten Gewohnheiten zu brechen und auf Luxus zu verzichten.“ Sie plädieren etwa für Veränderungen bei der Technik, dem Catering, aber ebenso bei der Unterbringung und dem Transport. U-Bahn statt Taxi und Gemeinschaftsappartement statt Einzelzimmer im Hotel – würden das wirklich alle mitmachen?

Es geht darum, dass die Grundstrukturen überdacht und umgestellt werden. Zum Beispiel, dass die Produktionsautos elektrisch sind. Es heißt also nicht, dass man nach einem harten Drehtag nicht das Auto nehmen darf, aber halt möglichst nicht allein, sondern mit mehreren. Es geht um ein generelles Umdenken – dass man nicht mehr mit dem Auto zum Appartement zwei Straßen weiter fährt oder innerhalb Deutschlands fliegt, nur weil man das schon immer so gemacht hat. Ich finde es im Übrigen auch viel bequemer, mit der Bahn zu fahren. Ich steige mitten in der Stadt in den Zug, kann arbeiten, und dann steige ich im Zentrum der anderen Stadt aus. Und mit Kindern ist es sowieso besser, weil die nicht so festgetackert sitzen wie im Flugzeug.  

Können Sie es sich leisten, ein Rollenangebot abzulehnen, weil die Produktion nicht grün genug ist?

Nein, bis jetzt nicht. Aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es dauert nicht mehr lange, dann wird es sehr viel mehr grüne Produktionen geben.

Platz zum Schlafen: Bis zu 45 Leute können im „Ein Ding der Möglichkeit“ untergebracht werden: in drei Appartements, zehn Zimmern – und drei Zirkuswagen draußen im Garten

Was macht Sie so optimistisch?

Unsere Initiative hat an einem Gesetz für ökologische Standards für nachhaltige Filmproduktionen mitgearbeitet. Es enthält verpflichtende staatliche Richtlinien, die an Fördergelder geknüpft sind. An diesen Verhandlungen waren alle großen Produktionsfirmen und Sender beteiligt, und die haben sich für die Einhaltung der Standards ausgesprochen. Insofern ist absehbar, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich grünes Filmen durchsetzt.

Sie spielen seit sechs Jahren eine der Hauptrollen in der Erfolgsserie „jerks.“, deren finale Staffel gerade läuft.  Wie sah es am Set mit dem Thema Nachhaltigkeit aus?

Da war noch viel Luft nach oben, aber es hat sich schon einiges getan. In der letzten Staffel hatten wir alle zum Beispiel Wasserflaschen zum Nachfüllen, um Plastik zu vermeiden.

Es ist vollbracht: Pheline Roggan am Ende (des Shootings)

Wie viel bringt so etwas in der Gesamtschau?

In England hat ein Institut herausgefunden, dass bei einem englischen Film durchschnittlich so viele Plastikflaschen verbraucht werden wie sonst von 168 Leuten in einem Jahr. Und dass im Flugverkehr für den Dreh eines durchschnittlichen englischen Kinofilms ungefähr so viel CO₂ ausgestoßen wird wie bei elf Flügen zum Mond. Außerdem könnte man mit der verwendeten Strommenge eine Woche lang den Times Square beleuchten. Wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt, dann bringt das schon ziemlich viel.

„jerks.“ agiert oft unter der Gürtellinie. Hat sich dadurch auch im Alltag Ihre Hemmschwelle für Peinlichkeiten geändert?

Es war eher umgekehrt: Wir haben einmal im Jahr für circa zwei Monate am Stück gedreht. Und ich habe jedes Mal gemerkt, dass ich am Anfang meine Hemmschwelle senken und meine gute Erziehung ablegen musste.

Was war das Schlimmste?

In schrecklich unangenehmen Situationen nicht zu harmonisieren, sondern sie auszuhalten – oder sogar noch schlimmer zu machen. Oft haben wir es so weit getrieben, dass wir den Dreh unterbrechen mussten, weil das Team um uns herum zu sehr gelacht hat. In solchen Momenten wussten wir: Das war jetzt richtig gut.

Pheline Roggan (links) ist DB MOBIL-Redakteurin Katja Heer (rechts) das erste Mal 2009  im Film „Soul Kitchen“ aufgefallen. Noch mehr blieb ihr allerdings Roggans Auftritt kurze Zeit später im Hamburger Kampnagel-Theater im Gedächtnis: Bei der sogenannten Diskurs-Operette „Deichkind in Müll“ trat sie 2010 mit der Hamburger Band auf, ein Impro-Abend ohne wirkliche Handlung, aber mit viel Spaß.

Auf die Ohren

Sie wollen noch mehr von Pheline Roggan wissen? Dann hören Sie doch mal in den DB MOBIL-Podcast „Unterwegs mit ...“ rein, bei dem sie in der dritten Staffel zu Gast ist.

Mit freundlicher Unterstützung von den Labels Addition, Alina Schüfeld, Annette Rufeger, Armedangels, Cleptomanicx, Dawn Denim, Faible und Failure, Garment, Jan 'n June, Musswessels, Rose von Sharon und Stilnest

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