So brachte Johannes Oerding an einem Tag vier Bahnhöfe zum Feiern

Johannes Oerding hat vier Konzerte in vier Städten gespielt, an einem Tag. Kann man so machen – muss man halt den ICE nehmen. Bericht einer einzigartigen Blitztour

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Datum: 02.06.2023
Lesezeit: 10 Minuten
Johannes Oerding mit Gitarre und Mikrofon auf der Bühne
Ein Tag, vier Bühnen: Johannes Oerding auf „Schnellster Tour“ durch Deutschland

Scheinbar unbeeindruckt schaut der bronzene Herr auf der Empore hinunter in die Eingangshalle des Hauptbahnhofs Münster, in der sich um 9 Uhr morgens rund 1000 Menschen versammelt haben. Johannes Oerding steht mit seiner Gitarre neben der Bronzeskulptur der hiesigen Künstlerin Maria Wiechers, er winkt und ruft in die Menge: „Ich bin aufgeregt!“

Normalerweise ist der Morgenmuffel, als den seine Bandkollegen ihn bezeichnen, nicht so früh auf der Bühne. Aber heute macht der Musiker – schwarze Hose, schwarzes Shirt, blaues Kurzarmhemd und, natürlich, Hut – eine Ausnahme. Er ist unterwegs für die „Schnellste Tour“ der Deutschen Bahn: vier Konzerte in vier Städten, alles an einem Tag. Da muss man früh anfangen. „Das ist die schnellste Tour meines Lebens, und Münster, mein Geburtsort, ist der Start!“, verkündet Oerding von oben herunter, die Leute klatschen und johlen. Groß geworden ist der Musiker gut 100 Kilometer südwestlich von hier: Im 2000-Seelen-Ort Kapellen an der Fleuth, nahe der niederländischen Grenze, wuchs er als jüngstes von fünf Kindern eines Arztes und einer Krankenschwester auf.

Ab die Fahrt: Johannes Oerding beim Einstieg in den ICE von Münster nach Düsseldorf

9:20 Uhr: Letztes Lied in Münster – und weiter zu Gleis 9

Oerding legt los mit seinem Hit „Kreise“, die Fans jubeln. Viele singen mit, filmen, einige Menschen drängeln sich durch die Masse, um zu ihren Zügen zu gelangen. Die meisten hier im Hauptbahnhof sind extra hergekommen für das Gratiskonzert, darunter eine komplette Kindergartengruppe mit zwei Betreuerinnen.

Und auch Lara Doods, 22, rote Haare, schwarzer Blouson, schwarze Jeans, weiße Chucks. Sie ist mit ihrer Freundin Emelie Freckmann, 23, hier, die Studentinnen lieben den Sänger. „Ich hoffe, dass wir seine lockere Art, die er im Fernsehen zeigt, auch hier zu sehen bekommen“, erzählt Doods. Immer wieder nehmen die beiden Frauen sich in den Arm, wippen im Takt der Musik. Nach dem zweiten Song sagt Doods, ihre Erwartungen seien schon jetzt erfüllt worden. Um 9:20 Uhr stimmt Oerding sein letztes Lied an, verabschiedet sich unter lautem Applaus: „Danke, Münster!“, dann geht es weiter Richtung Gleis 9: ICE-Abfahrt nach Düsseldorf.

Ich bin da, um gemocht zu werden

Johannes Oerding

Johannes Oerding ist einer der erfolgreichsten Künstler Deutschlands, seine Alben haben sich bislang über eine Million Mal verkauft, sein siebtes namens „Plan A“ landete 2022 auf Platz eins der Charts. Regelmäßig ist er im Fernsehen zu sehen, als Juror bei der Talentshow „The Voice of Germany“ und als Gastgeber des Tauschkonzerts „Sing meinen Song“.

Der Musiker, der gerade die Trennung von seiner Kollegin Ina Müller bekanntgegeben hat, ist auf der „Schnellsten Tour“ stets umringt von einer ganzen Reisegruppe: Mitarbeiter:innen, Bandkollegen, Security. Als einziger hat er kein Gepäck dabei, nicht mal eine Tasche muss er tragen, und sein Zigarettenpäckchen hat er bei einem Mitarbeiter geparkt. „Gib mal eine, bitte“, verlangt er, als er für ein paar Minuten im Raucherviereck am Gleis steht. Eigentlich hat der Sänger das Laster abgelegt, aber vor vier Wochen doch wieder angefangen. Warum? „Stress!“, lautet seine ausnahmsweise knappe Begründung.

Zweite Station: Der Sänger performt bei Sonnenschein und vor rund 800 Fans in Düsseldorf

Ansonsten ist Oerding, 41, bekannt für seine Nahbarkeit. Mit den rund 800 Zuhörer:innen beim Konzert auf dem Vorplatz des Düsseldorfer Bahnhofs um kurz vor 12 Uhr scherzt er, winkt den Leuten zu, die aus den Fenstern der sandfarbenen Bürogebäude gegenüber schauen, und holt nacheinander zwei kleine Kinder mit Plakaten auf die Bühne, um für Fotos zu posieren und die Kids in den Arm zu nehmen.

Nach dem Konzert muss es wieder schnell gehen, alles an diesem Tag ist streng durchgetaktet. Jede Abweichung sorgt für Nervosität beim Orga-Team, und es gibt nach dem Auftritt in Düsseldorf schon eine Verzögerung von etwa einer halben Stunde. Der „Schnellste Tour“-Trupp von mindestens 40 Menschen – neben der Oerding-Crew bestehend aus DB-Mitarbeitenden, Journalist:innen und weiterem Securitypersonal – wird zur Eile angetrieben. Was den Sänger allerdings nicht davon abhält, beim Laufschritt durch den Düsseldorfer Bahnhof wieder und wieder anzuhalten, weil ihn jemand um ein Selfie oder ein Autogramm bittet.

Bahn-Fan: Johannes Oerding fährt auch sonst oft mit dem Zug. Er könne dort so gut arbeiten, sagt er

Sein Bandkollege Robin Engelhardt, 38, berichtet, dass Oerding diesen Kontakt zu den Fans liebe: „Er braucht das richtig. Und er hasst es, wenn ihm jemand schreibt, dass er ja gar nicht mehr so wie früher sei. Wenn er für abgehoben gehalten wird, zermürbt ihn das. Deshalb will er immer alles richtig machen.“

Oerding selbst sagt im DB MOBIL-Podcast „Unterwegs mit …“, der auf der ICE-Fahrt und backstage aufgenommen wird: „Ich bin da, um gemocht zu werden.“ Jeder Künstler und jede Künstlerin, der oder die etwas anderes behaupte, sage nicht die Wahrheit. Er erinnere sich noch genau an einen Moment vor 14 Jahren, bei einem Konzert in Berlin. „Da steht in der zehnten Reihe ein älteres Pärchen vor mir, und die gucken sich den ersten Song an, gucken sich an, schütteln den Kopf und gehen raus. So etwas tut richtig weh.“

„Hier spricht Ihr Aushilfszugbegleiter Johannes Oerding”: Der Sänger bei der Scherzdurchsage im ICE. Bei jedem Konzert drängeln sich die Menschen, hier beim Start in Münster

Selfies, Scherze, Schulterklopfen: Oerding ist nah an den Fans

Nicht nur die Podcastaufnahme mit Sebastian E. Merget findet im ICE statt. Der Sänger unterhält sich fast pausenlos: mal mit der Zugchefin, mal mit DB-Mitarbeitenden, die bei einer Verlosung ein „Meet & Greet“ mit ihm im Bordbistro gewonnen haben, und mal mit Musikkollege Ian Hooper, 35, von den Mighty Oaks. Gemeinsam mit Gitarrist Moritz Stahl, 43, jammen die Sänger auf der Fahrt von Düsseldorf nach Karlsruhe das Mighty-Oaks-Lied „When I Dream, I See“. Die beiden haben sich 2021 bei „Sing meinen Song“ kennengelernt und sind seitdem befreundet.

Um 13:45 Uhr wird das erste Bier gebracht, Hooper, Oerding und Stahl blödeln rum, unterhalten sich aber auch mal ernsthaft – im falschen Moment. Als Yvonne Goldschmidt, zuständig für Social Media im Team Oerding, das Trio filmen will, sprechen sie gerade über Allergien: Pollen, Birke, Gräser, Frühblüher, dicker Kopf, Nasenspray, solche Sachen. Eher nicht so sexy, findet Goldschmidt: „Redet mal über was anderes, über Touren oder so.“

Jammen gemeinsam seit 17 Jahren: Moritz Stahl und Johannes Oerding

Ankunft in Karlsruhe kurz nach 15 Uhr. Die mindestens 700 Zuschauer:innen in der imposanten Bahnhofshalle mit dem hohen Gewölbe sind wieder bunt durchmischt: Alle Altersstufen vertreten, etwas mehr Frauen als Männer, viele Kinder. In den ersten Reihen kennt jede:r die Songs auswendig, ob „Kaleidoskop“ oder „Schnee von gestern“. Zu „Kreise“ führen Fans eine Choreografie auf, ihre Finger formen Kreise, zeigen nach links, nach rechts, die Arme werden über Kreuz gelegt, es hat ein bisschen was von einem Clubtanz.

Auch dabei: die Mutter von Oerdings Kumpel Max Giesinger, der im vergangenen Jahr mit der DB auf „Schnellster Tour“ war. „Ich habe mich sehr gefreut, sie dort zu sehen. Sie hat laut mitgesungen“, erzählt Oerding nach dem Konzert. Giesinger und Oerding wohnen beide in Hamburg, und als die Anfrage der DB kam, habe er gleich Max angerufen und gefragt, wie es denn bei ihm gelaufen sei. „Deshalb wusste ich, man wird hier gut betüdelt und betreut, alle sind nett und lieb und haben da einfach Bock drauf“, so Oerding im Podcast.

„Unsere Lieblingsspitznamen für ihn sind ,Duracellhäschen‘, aber vor allem ‚Kontroletti‘“, verrät Gitarrist Moritz Stahl auf der anschließenden Weiterfahrt mit dem ICE von Karlsruhe nach Ulm. Dort wird das Abschlusskonzert stattfinden. Bassist Robin Engelhardt ergänzt: „Johnny will immer alles wissen. Vor Konzerten ruft er oft an und fragt, ob ich alles dabeihabe – auch das Stimmgerät und die Kabel?“ Inzwischen sei das Projekt Oerding aber so groß geworden, dass der Sänger nicht mehr alles kontrollieren könne. „Er hat zähneknirschend gelernt abzugeben. Dadurch gibt er uns mehr Freiraum“, sagt Stahl.

JOHANNES OERDING: Vom Debut an Gold

Geboren am 26. Dezember 1981 in Münster. Aufgewachsen in Kapellen an der Fleuth, als Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester. Er hat zwei Schwestern und zwei Brüder und ist das jüngste Kind.

Schon als Jugendlicher spielt er in verschiedenen Schülerbands. Nach dem Abi studiert Oerding, weiß aber, dass er nichts anderes als Musik machen will.

2009 erscheint sein Debutalbum: „Erste Wahl“ und holt direkt Gold (ab 100 000 verkaufte Alben). Auch für danach folgende Platten gibt’s Gold oder sogar Platin (ab 200 000). 2022 veröffentlicht er sein siebtes Album: „Plan A“, das auf Platz 1 der Albumcharts steigt.

Im Fernsehen tritt er als Juror bei der Talentshow „The Voice of Germany“ und als Gastgeber des Tauschkonzerts „Sing meinen Song“ auf.

Privates: Nach elf Jahren Beziehung gibt Oerding auf der „Schnellsten Tour“ seine Trennung von Kollegin Ina Müller bekannt. Der Sänger lebt in Hamburg.

Die beiden Musiker arbeiten seit 17 Jahren mit dem Sänger zusammen. „Wir kannten ihn schon, bevor er ein Popstar wurde, wir haben früher in Hotels zusammen im Doppelbett gepennt“, so Engelhardt. Oerding habe sich eigentlich nicht groß verändert. Stahl berichtet aus dem Innenleben des Teams: „Und wenn er mal auf Boss macht, dann ziehen wir uns zurück und warten ab.“

Johannes Oerding kommt zum Gespräch dazu. Inzwischen ist es 19 Uhr, vielen aus dem großen Begleittrupp ist die Erschöpfung anzusehen. Die Batterien des Duracellhasen aber scheinen noch voll zu sein, er zeigt keinerlei Müdigkeitserscheinungen.

Doch auch er braucht eine Pause, allerdings nicht heute, sondern erst nächstes Jahr. Dann aber für länger: „Ich werde 2024 ein Sabbatical einlegen und nicht auftreten“, sagt Oerding und nimmt einen Schluck von seinem Bier. „Ich habe 17 Jahre durchgearbeitet, und in den letzten drei, vier Jahren ist viel passiert. Es ist Zeit für eine Pause, bevor es anfängt, zu anstrengend zu werden und mir weniger Spaß zu machen.“ Er wolle reisen, die Welt sehen und Dinge machen, die er noch nie gemacht habe.

Abschlusskonzert: Oerding hat in Ulm den letzten von vier Auftritten an einem Tag

Letzte Station: Ulm. Das vierte Konzert findet wieder draußen statt. Während die Sonne langsam hinter dem Intercity-Hotel verschwindet und ein lauer Wind aufzieht, warten mehr als 1000 Fans auf dem Vorplatz auf die Band. Um 20 Uhr machen sich die fünf Musiker im weißen Backstagezelt hinter der Bühne bereit. Sie werden abgeschirmt, die Anspannung ist greifbar.

Jetzt zählt nur noch der Auftritt, der viel länger dauern soll als die drei vorangegangenen Gigs. Die Bandmitglieder stehen im Kreis, Oerding spricht in die Runde und checkt letzte Details ab: „Ist alles so weit klar?“ Die Männer umarmen sich, klatschen ab.

„Danke für diesen Tag!”: Johannes Oerding verabschiedet sich unter Jubel von seinen Fans

Eineinhalb Stunden performen sie dann, wollen gar nicht aufhören. Die Zugabe heißt passenderweise „Ich will nicht nach Hause“, Handylichter gehen an. Doch irgendwann muss auch hier Schluss sein. „Danke für so viel Liebe! Danke für diesen Tag!“, ruft Oerding in die Menge und geht unter lautem Geklatsche und Gejohle von der Bühne in den Backstagebereich. Alles scheint von ihm abzufallen, er grinst froh. Was er sagen würde, wenn ihn nächstes Jahr ein:e Musikerkolleg:in anrufen und um Rat in Sachen „Schnellste Tour“ fragen sollte? Oerding: „Auf jeden Fall machen!“

DB MOBIL-Redakteurin Katja Heer (rechts, backstage in Ulm) war erstaunt, wie nervös Johannes Oerding vor dem ersten Konzert in Münster war. Oerdings Erklärung: „Ich bin noch nie so früh morgens aufgetreten, und meine Stimme war noch müde. Außerdem habe ich lange nicht mehr ganz allein auf einer Bühne gestanden.“

Auf die Ohren

Sie wollen noch mehr von Johannes Oerding wissen? Dann hören Sie doch mal in den DB MOBIL-Podcast „Unterwegs mit ...“ rein, bei dem er in der dritten Staffel zu Gast ist.

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