Wie erklärt man Kindern das Prinzip Europa?

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd über das Leben und Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute befasst sich Lisa mit der Frage, wie man den Jüngsten das Wir-Gefühl von Europa näher bringt.

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Ein neuer Sitznachbar in der Schule unseres Sohnes. Die beiden klopfen die wichtigsten Steckbriefdaten ab. „Hey, wer bist du denn, woher kommst du?“ Als das Kind antwortet, dass der Papa aus Deutschland und die Mama aus Lettland komme, fragt unser Sohn: „Cool, aus Riga?“ Das neue Kind ist baff. Es erzählt, neulich hätte ein anderes Kind nicht mal gewusst, dass es Lettland überhaupt gibt. Wieso er denn die Hauptstadt kenne …

Und da muss ich bei all dem Nervpotenzial und aller Kritik der Digitalisierung danken: Unsere Söhne lieben Quiz-Apps und lassen sich andauernd nach Hauptstädten abfragen. Bei europäischen Städten wissen sie mittlerweile besser Bescheid als ich. Und so weht auch in Zeiten der Pandemie ein europäischer Wind durchs Kinderzimmer. Irgendwie gut, oder?

Europa ist für Kinder ein eher abstraktes Konstrukt. Die Vereinigten Staaten von Amerika zu erklären mag einfacher sein, weil in allen Staaten die gleiche Sprache gesprochen wird. Das schafft eine gewisse Nähe. Ihnen zu erläutern, dass wir uns als Europäer:innen definieren, genauso wie die Menschen in Frankreich, Polen oder Lettland, mutet etwas komplexer an. Aber auch das lässt sich Kindern verständlich vermitteln.

Vielleicht so: In der Schule hat die Klasse 7a andere Lehrer:innen als die Klasse 8d. Die Kinder sind unterschiedlich alt, sie kennen sich nicht, allenfalls vom Sehen. Aber sie haben doch etwas gemeinsam: Sie besuchen dieselbe Schule an derselben Adresse. Und deshalb gehören sie zusammen. Sie haben diese eine Gemeinsamkeit: Sie gehören alle zur Schulgemeinschaft. Und das sind eben nicht nur die 30 Kinder, die mit ihnen im Klassenraum sitzen, sondern auch 1.000 andere aus allen Klassen. Wer die Schule beleidigt, bekommt es gleich mit 1.000 Menschen zu tun – nicht nur mit den wenigen, mit denen wir unseren Alltag verbringen. Wenn die Schule einen Preis gewinnt, haben WIR den gewonnen. Europa, das ist dieses Wir-Gefühl.

Wir sprechen zwar verschiedene Sprachen, leben in anderen Landschaften, und auch unsere Gesetze unterscheiden sich zum Teil. Aber wir sind eine große Gemeinschaft. Eine, in der sich gegenseitig geholfen wird. Wir können ohne Aufwand von einem Land ins nächste fahren. Wir alle sind Europäer:innen, und das vereint uns. Das macht uns stärker. Weil wir viele sind. Wenn sich jemand einem dieser Länder gegenüber unfair verhält, geht das nicht nur gegen die Menschen in dem betroffenen Land, sondern gegen uns alle. Hier gilt dann: Mein Haus ist dein Haus. Wir unterstützen uns und greifen einander unter die Arme.

Wir werden frei sein  
Wenn wir uns lieben  
Es wird vorbei sein  
Mit all den Kriegen  
Wir sind Brüder  
Wir sind Schwestern  
Ganz egal wo wir sind  
Glaub mir  
Die Liebe gewinnt  

Diese Zeilen singt die Kölner Band Brings in ihrem Lied „Liebe gewinnt“ und beschwört darin auch unseren Zusammenhalt. Es soll niemand allein gelassen werden in diesem Europa. Wir helfen einander, statt uns gegenseitig das Leben schwerer zu machen. Und es ist gut, wenn die Gemeinschaft einem den Rücken stärkt. Das gilt im Großen wie im Kleinen, für Europa genauso wie für die Schule unserer Kinder. Wir sind Verbündete, weil uns diese eine große Sache eint.

Eigentlich ist die europäische Idee ganz einfach. Wir sind Teil einer Solidargemeinschaft, und die ist Teil unserer Identität. Auch wenn wir uns nicht alle einzeln kennen: Wir halten zusammen, so gut es geht. So wie eine Familie zusammenhält, die auch die entfernteren Verwandten nicht vergisst. Oder eben die Schule, wenn eine Klasse in Schwierigkeiten gerät. Es geht ums Ganze. Und niemand bleibt allein.

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