Sollten wir unsere Kinder als Europäer:innen erziehen?

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd rund ums Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Anlässlich des Europatages am 9. Mai widmen sie sich dabei den ganzen Monat über Themen, die sich mit dem Europagedanken in unserem Alltag beschäftigen. Katharina startet mit der Frage, ob es wichtig für unsere Kinder ist, sich als Europäer:innen zu fühlen

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Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim

Wenn mich dieses beknackte Virus wieder ganz besonders nervt, beame ich mich gedanklich einfach in den Garten meiner Mutter. Sie hat den schönsten Garten, den ich kenne – mit vielen Obstbäumen und noch mehr Blumen auf einer satten Wiese, die direkt in die Felder der Bauern übergeht. In diesem Garten haben wir schon einige Familienfeste gefeiert, die weißen Tischdecken auf dem Biertisch wehten im lauen Sommerwind. Aber das Wichtigste: Rund um diesen Tisch saßen viele sehr verschiedene Leute, die da redeten, lachten, aßen und tranken.

Diese Feste waren fröhlich und laut, man hörte bayerischen Dialekt (mein Schwager), englisch (mein Bruder lebt mit seiner Familie in England) und spanisch (mein anderer Bruder und seine Frau erziehen die Kinder bilingual). Eine meiner besten Freundinnen ist mit einem Franzosen verheiratet und der beste Freund meines Mannes ist Däne. Heißt also: Ein buntes Sortiment von Europäer:innen saß da zusammen. Jeder brachte ein Stück seiner Identität ein, eine Prise Tradition, und reicherte die Runde damit an. Unsere Kinder lernten so ganz schnell: Unterschiedliche Sprachen und Lebensweisen bedeuten nicht automatisch, dass wir einander fremd fühlen, es kann im Gegenteil eine große Bereicherung unseres Lebens sein.

Heute ist der europäische Gedanke für meine Kinder selbstverständlich. Sie finden es ganz normal, dass wir (üblicherweise, also jenseits der Pandemie) innerhalb der Europäischen Union ohne Grenzkontrollen reisen können, dass wir so gut wie überall mit dem Euro bezahlen können und dass wir regelmäßig Freunde und Bekannte in ganz Europa besuchen. Wenn ich den Kids erzähle, dass wir früher im Winter oft stundenlang an der Grenze zu Österreich warten mussten oder meine Mutter immer erst auf den letzten Drücker deutsche Mark in italienische Lire tauschte, hört sich das für sie an wie eine Geschichte aus dem Mittelalter.

Der Gedanke, dass die Länder Europas miteinander sehr verbunden sind, ist bei meinen Kindern tief verankert. Dass ihre Cousins und Cousinen englische Pässe haben, ist für sie völlig egal, genau wie die Tatsache, dass in London der Weihnachtsmann erst am 25.12. morgens kommt. Andere Länder, andere Sitten. Ganz einfach.

Meine Kinder wachsen in Berlin auf – was sie in Sachen Weltoffenheit hoffentlich positiv prägt. Jeden Tag sehen sie in den U- und S-Bahnen der Hauptstadt die ganze Vielfalt der Menschheit. Auch ich freue mich, wenn ich durch Berlin-Mitte laufe, verschiedene Styles sehe, unterschiedliche Sprachen höre. Dass unsere Hauptstadt voller ausländischer Student:innen ist, finde ich wunderbar. Und dass es völlig selbstverständlich ist, das eigene Land zur Weiterbildung zu verlassen, noch viel mehr. So schaut man über den eigenen Tellerrand, erweitert seinen Horizont und baut Vorurteile ab. Angst vor Fremdem entsteht doch meist durch Unwissenheit.

Europa, das ist die Idee, dass Länder sich zusammenschließen, um dauerhaften Frieden zu garantieren. Was könnte man sich Besseres für seine Kinder wünschen? Daher möchte ich, dass meine mit genau diesem Gedanken aufwachsen: Es gibt keine Grenzen, die uns trennen. Wir alle hängen zusammen. Aber auch: Wo wir geboren werden, ist purer Zufall. Wir hatten Glück und sind auf einem Kontinent zu Hause, der ziemlich privilegiert ist. Dieses Bewusstsein sollten wir unseren Kindern ebenfalls mitgeben.

Wenn Sie mich also fragen „Sollten wir unsere Kinder als Europäer:innen erziehen?“ lautet die Antwort: UNBEDINGT. Denn Zusammenhalt ist immer die bessere Wahl. Abgrenzung, Abschottung und Nationalismus sind keine Alternativen.

Beamen wir uns noch einmal zurück in den Garten meiner Mutter. Wenn Corona irgendwann besiegt ist, werde ich an diesem Tisch mit den weißen Leinendecken das wieder erleben, wonach ich mich am meisten sehne: Erstens Geselligkeit in einer großen Runde und zweitens die Menschen, die ich liebe und die ich selbst bald wieder in ganz Europa besuchen will.

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