Wie wir Kindern einen gesunden Umgang mit Essen beibringen

An dieser Stelle schreiben Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim abwechselnd über das Leben und Unterwegssein mit Kindern (und Mann). Heute befasst sich Lisa mit der Frage: Wie lehren und leben wir ein gesundes Essverhalten?

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Juliane Dunkel


Es gibt da so eine herrliche Gegenüberstellung in der Rubrik „Gefühlte Wahrheit“ des Magazins der Süddeutschen Zeitung: Eine Tabelle zum Thema, wie viel Verpflegung man wo benötigt. Auf der linken Seite steht „Acht Stunden Büro: 1 Apfel, 1 Käsebrot, Kaffee“. Auf der rechten Seite: „Zwei Stunden Zugfahrt: 3 Äpfel, 2 Käsebrote, 1 Croissant, 1 Schokoriegel, Kaffee, 1 Tüte Gummibärchen, 3 Liter Wasser, 1 Tüte Saure Pommes, Kaugummi, 1 Donut“.

Wie irrational wir manchmal mit dem Thema Essen umgehen, oder? Natürlich mag die Aufzählung leicht übertrieben sein, aber im Kern hat sie etwas Wahres. Wenn ich mit unseren Kindern unterwegs bin, habe ich auch immer lieber zu viele Snacks dabei als zu wenig. Falls der plötzliche Hunger kommt. Oder man spontan in Seenot gerät, man weiß ja nie… Aber Spaß beiseite: Die volle Snacktasche gibt mir eben auch das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben.

Und um Kontrolle geht es zum Teil auch beim Thema Essstörungen bei Jugendlichen, die – so weisen es nun Studien wie die aus dem Kinder- und Jugendreport 2022 der Krankenkasse DAK-Gesundheit nach – zahlreicher geworden sind in den vergangenen zwei Jahren. Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Anna-Lena Kaufmann von der Praxis GedankenWerk ist Expertin für Essstörungen und erklärt: „Zum einen fielen Patientinnen, die sich bereits im Heilungsprozess befanden, in alte Muster zurück, zum anderen gab es aber auch mehr Neuerkrankungen.“ Die Essstörung biete all das, was die Zeit der Pandemie den Kindern und Jugendlichen nahm, nämlich das Gefühl von Struktur, Kontrolle und Sicherheit. Der gewohnte Alltag brach auseinander, existierte nicht mehr, so hätten sich Kinder und Jugendliche eigenständig neue Strukturen erschaffen. Unter anderem eben auch mit der Regulierung von Essverhalten. Zum Teil auch noch zusätzlich angespornt von den sozialen Medien, in denen etliche Heranwachsende für ein „Makeover“ warben, um dann fit, sportlich und schlank aus dem Lockdown zurück in die Schule oder Ausbildung zu kommen. Manche nahmen das leider zu ernst.

Essen ist für Eltern per se ein Riesenthema: Bei den Kleinen geht es oft um den Kampf der Vitamine: Wie kriege ich mein Kind dazu, Gemüse zu essen? Später dann die Frage: Wie verhindere ich, dass mein Kind eben nicht das Essverhalten derart reguliert, dass es ins Krankhafte abrutscht?

Lässt sich aus den Erkenntnissen über Essstörungen etwas ableiten für unseren Umgang mit dem Essverhalten im Alltag? Sollten Süßigkeiten stärker oder gar nicht reglementiert werden und auf Zugfahrten nur noch Gurken- und Möhrensticks und Vollkornbrot erlaubt sein? Sollten wir heimlich mit dem Mixer Gemüseanteile ins Ketchup der Kinder schmuggeln? Natürlich nicht. Das wäre zu extrem, und Extreme, das wissen wir nur zu gut, schaden eher als dass sie helfen.

Für einen gesunden Umgang in der Familie mit Essen braucht es vor allem

  • gute Vorbilder,
  • gute Angebote,
  • gute Einkaufslisten.

Denn wenn wir unseren Kindern zeigen, wie wir ausgewogen und ausreichend essen (und nicht nur grünen Salat, weil wir insgeheim davon träumen, doch noch drei Kilo weniger zu wiegen); wenn wir zum TV-Abend auch Rohkost mit Dips statt Chips, Flips und Popcorn anbieten oder zum Nachtisch selbst gemachtes Apfelmus statt Vanillepudding, dann können die Kinder bei uns etwas abgucken und herausfinden, was ihnen schmeckt und die Vielfalt des Essens kennenlernen.

Das alles verhindert natürlich keine Essstörung, eine ernstzunehmende seelische Erkrankung, bei der die Ursachen tiefer liegen und für die wir uns Hilfe suchen sollten. Doch in Familien, in denen nicht nur aus der Konserve oder der Tiefkühltruhe gegessen, sondern viel selbst gekocht wird, in denen Eltern und Kinder gemeinsam am Tisch zusammensitzen oder sogar zuvor Gemüse schnibbeln, wo nicht über den Hunger hinweg gegessen wird, sondern eine gute, gemeinsame (Mahl-)Zeit verbracht, erlernt man ein gutes Gefühl für Essverhalten.
Und man lernt auch, dass auch drin sein darf, auf einer längeren Zugfahrt eine Ausnahme zu machen...Süßigkeiten, Chips! Von mir aus auch mit der gesamten vom SZ Magazin aufgeschriebenen Liste – mit Donut, Croissant und Gummibärchen.

Denn auch das gehört zu einem gesunden Umgang mit Essen: Ein Maß zu finden. Sich nicht durch Verbote irgendwann doch in einen Futterrausch zu katapultieren. Genuss zuzulassen, aber auch zu wissen, wo die eigenen Grenzen sind.
 

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