Frau Slomka, heute stellen wir die Fragen!

In ihren Interviews bringt sie die Politprominenz ins Schwitzen. Mit DB MOBIL spricht Moderatorin Marietta Slomka über gute Einstiegsfragen, Harmoniesuche im Privatleben und Beschimpfungen im Netz

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Das Buchstabenmuseum in Berlin liegt versteckt im Stadtbahnbogen am S-Bahnhof Bellevue. Marietta Slomka hat es an diesem Morgen im Februar dennoch schnell gefunden, sie war vor einiger Zeit schon mal hier, um sich einen Leuchtbuchstaben zu kaufen. Mit mehr als 1000 Lettern, Logos und Schriftzügen ist dieses Museum der Worte der perfekte Ort für das Treffen mit einer Frau, die mit wohlgesetzten Fragen und Kommentaren so manche:n Gesprächspartner:in zur Verzweiflung bringt.

Seit mehr als 20 Jahren moderiert die Journalistin das „heute journal“. Sie hat das ZDF-Nachrichtenmagazin mit ihrer ironischen Art und ihrer Hartnäckigkeit bei Interviews geprägt. Slomka selbst beschränkt sich in ihrer journalistischen Arbeit aber nicht aufs Fernsehen. In diesen Tagen erscheint ein neues Buch der 52-Jährigen: In „Nachts im Kanzleramt“, das sich vor allem an Jugendliche richtet, erklärt sie aus der Sicht der Insiderin, wie Politik funktioniert.

Frau Slomka, was darf eine erste Interviewfrage auf keinen Fall sein?

Ellenlang – und langweilig.   

Formulieren Sie Ihre erste Frage immer aus?

Ja, aber nur die. Der größte Fehler bei Fernsehinterviews sind vorab ausformulierte, aufgeschriebene Fragen.  

Warum?

Was Wichtigste ist: zuhören. Das tut man nicht, wenn man auf seinen Zettel guckt und nach der nächsten Frage schaut. Hinzu kommt: Wenn man nicht alles ausformuliert, spricht man automatisch eher umgangssprachlich. Dadurch fällt es viel mehr auf, wenn der Gesprächspartner sich in eine förmliche Sprache und Floskeln flüchtet.   

Wie bringen Sie Ihr Gegenüber dazu zu antworten, wenn er oder sie partout nicht will?

Das gelingt mir im Zweifelsfall auch nicht. Aber oft ist es bereits die Frage, durch die ich eine andere Perspektive aufzeige oder auf wunde Punkte hinweise. Und wenn darauf nicht richtig geantwortet wird, sagt das genug aus. Keine Antwort ist ja auch eine Aussage.

Welche Interviewpartner:innen machen am meisten Spaß?

Politiker und Politikerinnen, die sich zumindest bemühen, auf eine Frage einzugehen und wirklich etwas zu sagen. Die nicht minutenlang am Stück reden, sondern den Dialog zulassen. Das ist auch eine Frage des Respekts gegenüber Zuschauern und Zuschauerinnen und damit der Wählerschaft. Ich habe Verständnis dafür, dass Politiker oft vorsichtig formulieren und einiges nicht gesagt werden kann. Aber wenn alles durchgefloskelt wird und ich merke, da hat sich jemand zwei tolle Formulierungen überlegt, die er oder sie unbedingt loswerden will und die künstlich und manchmal, Entschuldigung, durchschaubar wirken, ärgere ich mich.

Ich bin keine konfrontative Person, ich empfinde Konflikte als belastend

Erkennen Sie inzwischen frühe Anzeichen dafür, dass auf der anderen Seite die Stimmung kippt?

Wenn mein Name häufig genannt wird: „Nein, Frau Slomka.“ – „Frau Slomka, so ist das nicht.“ Dann weiß ich, dass die Betriebstemperatur steigt. Aber in der Regel habe ich es ja mit Profis zu tun, die sich im Griff haben und die den politischen Schlagabtausch gewohnt sind.

Für Ihre Befragungen existiert inzwischen ein Begriff – man sagt, jemand sei „geslomkat“ worden. Kostet es Sie manchmal Überwindung, hartnäckig zu sein?

Nein. Ich frage ja nicht als Privatperson. Hinter den Kulissen bin ich, glaube ich, keine übermäßig konfrontative Person, die laufend auf Streit aus ist. Ich habe es lieber harmonisch und empfinde Konflikte als belastend. Die konfrontativen Interviews führe ich in einer gesellschaftspolitischen Funktion, die ich ausübe. Das „heute journal“ ist für Politprofis keine Wohlfühlzone. Wenn ich Fragen stelle, nehme ich als Journalistin meist den Gegenpart ein. Dass es sich dabei nicht um meine persönlichen Meinungen handelt, verstehen aber nicht immer alle.

In Ihrem neuen Buch geht es unter anderem um die Dinge, die Politiker:innen aus ihrem beruflichen Alltag mit nach Hause nehmen. Womit gehen Sie Ihrem Umfeld auf den Keks?

Hm, das müsste man jetzt mein Umfeld fragen. (lacht) Es kann sein, dass ich häufiger unterbreche. Ich bin ja darauf gedrillt, im Job bei längeren Monologen dazwischenzugehen. Da gibt es so ein inneres Gefühl für Timing. Die größte Déformation professionelle kommt insofern wohl durch mein permanentes Gegen-die-Zeit-Arbeiten in den Moderationswochen.

Was meinen Sie damit?

Nicht nur in der Sendung ist jede Sekunde getaktet, auch tagsüber ist alles auf den Punkt genau geplant. Das führt manchmal zu einer eigenartigen Form von Geschwindigkeit in meinen sendungsfreien Wochen, in denen ich mein Umfeld zur Eile antreibe, auch wenn das gar nicht unbedingt nötig ist. Wenn ich höre: „Jetzt mach nicht so eine Hektik“, weiß ich, dass ich es wieder übertreibe.

Wollten Sie eigentlich schon immer Journalistin werden, oder standen auch beispielsweise Tierärztin oder Pilotin auf dem Plan?

Ich habe mir schon als kleines Mädchen gerne Geschichten ausgedacht und Aufsätze und Gedichte geschrieben. Gleichzeitig habe ich mich früh für Politik interessiert, weil ich aus einem politischen Elternhaus komme, in dem viel diskutiert wurde. Die Kombination aus beidem habe ich dann im Alter von zehn Jahren bei einem Besuch unserer Klasse in einer Zeitungsredaktion gefunden – ich glaube, es war beim „Kölner Stadtanzeiger“. Dort dachte ich: Jeden Tag Geschichten schreiben und sich mit interessanten Dingen, mit Politik befassen, vielleicht sogar um die Welt reisen – großartig, das ist der ideale Beruf für mich! Dass es am Ende das Fernsehen wurde, habe ich so nicht vorhergesehen, aber die grundsätzliche Entscheidung für den Beruf stand fest. Und ich habe sie nie bereut.

Der politische Haushalt Slomka – wie sah der damals aus?

Mein Vater war Berufsschullehrer, unter anderem für Politik. Er konnte sehr gut erklären. Und meine Eltern hatten einen großen Freundeskreis, wir hatten viele Gäste. Bei uns wurden bei Bundestagswahlen Wahlpartys gefeiert, auf denen jeder eine Prognose abgeben konnte, und wer am nächsten dran war, hat etwas gewonnen. Auf diese Weise habe ich als Kind Politik als etwas Spielerisches, Sportives kennengelernt, mit einem hohen Unterhaltungswert. Außerdem haben meine Eltern mit ihren Freunden viel über Politik diskutiert. Da ging es hoch her, allerdings immer in einer respektvollen Tonlage. Nie boshaft und nie so, dass man sich deshalb zerstritt.

Anders als heute?

Ich stelle jedenfalls fest, dass gerade in den sozialen Medien viele Diskussionen von Zynismus und Verachtung begleitet sind. Es fehlt teils an einem grundsätzlichen Respekt für unseren Rechtsstaat, für demokratische Institutionen oder die freiheitliche Demokratie allgemein. Durch die Pandemie ist das verstärkt worden. Eine normale, freundliche Diskussion ist oft nicht mehr möglich. Das besorgt mich.

Wie wirken sich die sozialen Medien auf Ihre Arbeit aus?

Sie erhöhen den Druck enorm. Ein Interview in der Sendung dauert fünf Minuten, aber ich bereite mich mindestens zwei Stunden darauf vor. Das war auch früher so. Aber heute versendet sich nichts mehr, die Fehlertoleranz ist geringer geworden. Es wird diskutiert, hinterfragt und kommentiert.

Und geschimpft.

Mit Dingen wie Hatespeech hatten wir früher viel weniger zu tun. Es kamen hier und da böse Zuschauerbriefe, und es gab das Zuschauertelefon, aber das ist kein Vergleich zu heute. Heute sind wir Projektionsfläche für Leute, die Dampf ablassen oder uns für ihre politisch-ideologischen Zwecke instrumentalisieren wollen. Auch einer der Gründe, warum ich es mir nicht antue, einen erkennbar persönlichen Account auf Social-Media-Plattformen zu haben.

Was würde da passieren?

Als sehr prominente Frau aus dem politisch-medialen Bereich hat man schnell eine große Plattform, das ist quasi ein Selbstläufer. Damit liefert man anderen eine sehr große Bühne, auch für persönliche Beschimpfungen und Propaganda. Damit einher geht der Druck, ständig aktiv zu kommunizieren und dabei in meiner beruflichen Rolle bloß keine Fehler zu machen. Ich habe beschlossen, dass es für meine Psychohygiene besser ist, das nicht zu tun. Auch wenn ich mir über die Jahre ein dickes Fell erarbeitet habe. Würde ich heute noch mal als sehr junge Redakteurin in diesen öffentlichen Job wechseln, hätte ich noch einige Bedenken mehr als vor 20 Jahren.

Wegen des zunehmenden Drucks?

Unter anderem. Es ist auch dieser Hass, der Journalisten und Journalistinnen inzwischen entgegengeschleudert wird, bis hin zur Bedrohung. Das gab es in der Form vor ein paar Jahren noch nicht. Durch Corona hat auch das noch mal zugenommen. Diese Radikalisierung betrifft zwar nur eine Minderheit in der Gesellschaft, aber es genügt ja schon, wenn eine Minderheit sich so verhält. Dadurch sinken Sicherheits- und Freiheitsgrade für politische Diskussionen. Bei Frauen kommt noch Sexismus hinzu. Es gab mal in Großbritannien eine interessante Umfrage, wer im Netz den meisten Hatespeech abbekommt – auf den ersten zehn Plätzen waren neun Frauen und ein schwuler Mann. Das sagt ja einiges aus.

Sie sagen, Sie hätten heute ein dickes Fell. Wie nah geht es Ihnen, wenn Sie über Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine berichten?

Das geht uns als Moderatoren genauso unter die Haut wie den Zuschauern. Das Entsetzen darüber, wie hier in unserer Nachbarschaft ein Staat brutal überfallen wurde, hat auch mich vollkommen umgehauen. Das Leid, das wir sehen, das trifft mich ins Mark. Aber als Nachrichtenjournalistin hat man bei solch schrecklichen Ereignissen einen psychologischen Vorteil: Man hat plötzlich sehr viel zu tun und ist Teil einer Redaktionsgemeinschaft, die unter Hochdruck professionell arbeitet. Man fühlt sich insofern vielleicht weniger allein und passiv als viele Zuschauer und Zuschauerinnen.

Das Einzige, was mich neben Journalismus interessiert hätte, wäre der diplomatische Dienst gewesen

Wie schalten Sie nach einem langen Abend im Studio zu Hause ab?

In normalen Zeiten setze ich mich nach der Sendung gern aufs Sofa, zappe herum und schaue mir lieber keine harten Themen oder grausamen Filme an. Die Realität des Tages war mir hart genug. Da gucke ich lieber Serien wie „The Crown“ oder lade mir Naturdokus von Terra X runter. Aber bei so extremen Ereignissen wie dem Ukraine-Krieg funktionieren solche Ablenkungsmechanismen bei mir nicht mehr. Dann hänge ich noch die halbe Nacht am Tablet und verfolge die aktuellen Entwicklungen. In solchen Zeiten bin ich wie in einem Tunnel.

In Ihrem Buch brechen Sie eine Lanze für Politiker:innen. Sie schreiben, dass „der stressige Job, Politiker zu sein, in der Gesellschaft nicht immer die Anerkennung findet, die er verdient“. Plädieren Sie für mehr Mitleid?

Man muss jetzt keinen Streichelzoo eröffnen. Aber etwas mehr Verständnis dafür haben, wie Politik als Beruf aussieht. Was hinter den Kulissen alles geschieht und was geleistet wird, erst recht wenn es an Ämter wie die im Kanzleramt geht. Joschka Fischer nannte den Bereich die Todeszone der Politik: Da ist die Luft richtig dünn und die Verantwortung sehr groß. Und ich mag dieses Stammtischgerede von „Die da oben“ nicht. Damit macht man es sich als Bürger zum einen zu leicht, und zum anderen macht man sich selbst klein.

So manche Politiker:innen rühmen sich ja, dass sie wenig Schlaf bräuchten und hart im Nehmen und Verhandeln seien. Gilt in diesem Berufsfeld auch heute noch: Wer Schwäche zeigt, verliert?

Ja. Deshalb heißt mein Buch auch „Nachts im Kanzleramt“ – weil es bei Verhandlungsrunden oft auch darum geht, bis zur Erschöpfung miteinander zu ringen, um hinterher sagen zu können: „Ich habe alles gegeben.“ Ich glaube, das wird sich aus der Politik nie gänzlich rausnehmen lassen. Es wird immer wieder Terminmarathons geben, Wahlkämpfe und Koalitionsverhandlungen sind brutal. Und Kompromisse zu finden, ist mühsam.

Haben Sie je über die Laufbahn als Politikerin nachgedacht?

Nein, weil ich mir nicht hätte vorstellen können, mich politisch für eine Partei zu entscheiden. Ich bin als Wechselwählerin doch eher die kühle Beobachterin. Das Einzige, was mich interessiert hätte, wäre der diplomatische Dienst gewesen. Internationale Politik und Sicherheitspolitik sind meine Steckenpferde. Aber als ich darüber mit meinen Eltern sprach, meinten die, ich solle das mit der Diplomatie lieber lassen. Journalismus sei besser für mich. (lacht) Und sie hatten recht!

Sie beschreiben im Buch den „Suchtfaktor Macht“: Viele junge Politiker:innen seien am Anfang voller Idealismus und würden Macht dazu benutzen wollen, um etwas zu bewegen. Später ginge es manchmal nur noch um den Machterhalt an sich. Wie süchtig sind Sie?

Es gibt diesen Satz von Johannes Rau: „Politik ist wie Nüsse essen – wenn man anfängt, kann man nicht mehr aufhören.“ Ich kann das schon verstehen. Dieses Adrenalin, dieses Dransein am Nachrichtenstrom: Man erfährt Dinge frühzeitig und vermittelt sie einer breiten Öffentlichkeit. Das ist ein besonderer Reiz von Berufen im politisch-medialen Kontext. Das „heute journal“ mitzugestalten, zu moderieren und die Interviews zu führen ist etwas Besonderes. Hinzu kommt die Teamarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, die ich sehr mag und teils seit vielen Jahren kenne. Zu sagen, ich könnte damit jederzeit aufhören und würde es nicht vermissen, wäre Quatsch. Das alles würde mir schmerzlich fehlen. Aber eines Tages wird
es so sein.

Und dann?

Keine Ahnung. Ich habe keine Pläne. Solange der Sender mich will und die Zuschauer mich akzeptieren, mache ich weiter. In diesem Job ist jeder Tag neu und anders. Dessen wird man nicht überdrüssig.

Nachhaken ist ihr Job

Slomka wird am 20. April 1969 in Köln als Tochter eines Berufsschullehrers und einer Stadtführerin geboren. Sie studiert VWL und volontiert bei der Deutschen Welle. 1998 startet Slomka ihre Karriere beim ZDF, arbeitet unter anderem als Parlamentskorrespondentin, Nachrichtenmoderatorin und Reporterin. Mit 31 wird sie Hauptmoderatorin des ZDF-Nachrichtenmagazins „heute journal“, als zweite Frau überhaupt. Schlagfertig und bisweilen ironisch führt Slomka seit mehr als 20 Jahren durch die Sendung – bis 2021 im wöchentlichen Wechsel mit Claus Kleber, der dann in Rente geht. Nebenbei verfasst sie mehrere Bücher. Ihr neues heißt „Nachts im Kanzleramt. Alles, was man schon immer über Politik wissen wollte“ (Droemer Knaur, ET: 1.4.2022). Dort schreibt sie, dass Meckern dazugehöre. Denn: „Journalisten machen das Nörgeln ja quasi zum Beruf.“

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