Rangerin Sandra de Graaf 49 arbeitet seit 25 Jahren im Na tionalpark Bayerischer Wald enn Sandra de Graaf durch den Bayeri schen Wald führt und ein Stück Fichten rinde aus dem Rucksack angelt blicken die Leute sie neugierig an Sie müssen genau hinsehen Der Buchdrucker den de Graaf zeigen will ist gerade mal so groß wie ein halber Fingernagel Er ist eine von 110 Borkenkäferarten die hierzulande vorkommen und die alle von ähnlich kleiner Statur sind Der brau ne spärlich behaarte Körper mit den sechs Beinen sitzt am Ende einer der vielen Gänge die sich wie Flussar me durch das Holz winden Ganz so als hätte man ihn während man die Fichte entrindete mitten in seinem Holzfraß unterbrochen Was man wahrscheinlich auch hat Bei dieser Vorführung so sagt die 49 Jährige wer de sie häufig gefragt Wie kann etwas so Kleines so großen Schaden anrichten Der Borkenkäfer hat seit einigen Jahren Berühmt heit erlangt Er fresse große Teile heimischer Wälder kaputt heißt es in den Nachrichtensendungen Er wü tet auch im Nationalpark Bayerischer Wald der vor ziemlich genau 50 Jahren gegründet wurde am 7 Ok tober 1970 als Erster seiner Art in Deutschland Zu sammen mit dem Böhmerwald bildet er das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas siehe Kasten Seite 38 Mittendrin ist de Graaf aufgewachsen im Dorf Wald häuser es liegt ganz in der Nähe Ihre Eltern hatten einen Hof Onkel und Tante bewirtschafteten eine Hüt te Die zierliche Frau ist seit 25 Jahren Mitarbeiterin der Nationalparkwacht Sie müsste wissen wie man einen Wald schützt zumal vor fiesen Schädlingen wie dem Borkenkäfer De Graaf kennt viele der Antworten Sie ihre Kolle gen und Vorgänger haben in den zurückliegenden 50 Jahren einiges gelernt Über den Wald seine Bewoh ner und auch darüber was ein Nationalpark über haupt ist Das war zu Beginn noch nicht klar Es gab zwar Vor bilder etwa in den USA wo die Regierung 1872 die Gründung des Yellowstone Nationalparks verfügte eine Weltneuheit Anfangs durchstreiften noch Wilde rer die Berge und Täler Besucher lärmten und hinter ließen Müll Einige Jahrzehnte lang musste sogar die Armee über die Einhaltung der Schutzregeln wachen Noch Ende des 20 Jahrhunderts sollten sich in Bayern ähnliche Konfliktlinien zeigen Nicht wenige stellten sich unter einem National park ein riesiges Tiergehege vor mit Hirschen und Wisenten Eine bayerische Variante der Safari Damit waren die Forstämter nicht einverstanden die wilden Tiere würden doch den Wald zerstören Sie schlugen stattdessen eine Waldbewirtschaftung vor die ein bisschen schonender als üblich abläuft Manche Ein heimische forderten wiederum der Tourismus müsse gefördert werden Ein Skigebiet mit Liften Seilbahnen und Sprungschanzen war ihre Idee Was ein Nationalpark sein soll schien vom jeweiligen Interesse abzuhängen Was aber wür de der Wald selbst dazu sagen wenn man ihn fragen könnte Tja Frühe Lektion Der Wald hatte keine Lobby Diesen Job übernahm die Na tionalparkverwaltung Sie etablierte das Motto Natur Natur sein lassen Klingt einfach ist aber so radikal dass zur Gründung des Natio nalparks nur ein kleiner Landstrich zwischen den Gipfeln Lusen und Rachel vor jeglichem Eingriff geschützt wurde Über die Jahrzehnte dehnte die bayerische Regierung das Gebiet aus Die Kernaufgaben der Nationalparkwächter lauten daher bis heute beobachten lernen und aufklären Statt Wächter nennen wir uns lieber Ranger erklärt de Graaf Der Begriff ist vielen aus dem Englischen geläufig Er klingt weniger nach Polizei Sie will nie manden für Fehlverhalten im Wald bestrafen sondern erklären und Achtsamkeit vorleben indem sie zum Beispiel bei jeder ihrer Touren durch den Wald Müll aufsammelt Mehr Ein griff ist für die Wacht auch nicht erlaubt Solange der Wald prächtig vor sich hin ge deiht wird dieser Grundsatz nicht infrage ge stellt Doch was wenn Bäume Schaden erlei den durch Käfer oder Stürme Der langjährige Nationalparkchef Hans Biebelriether hat es rückblickend als Glück bezeichnet dass 1972 ein Sturm ein paar Dutzend Bäume im Schutz gebiet umwarf und man sie liegen ließ An derswo hätte man die Stämme abtransportiert Als 1983 der nächste Sturm gleich hektar weise Bäume umriss konnte Biebelriether auf das Fleckchen von 1972 verweisen das sich ohne menschliches Zutun prächtig erholt hat te Also ließ man das Holz erneut einfach lie gen trotz lauter Proteste Dieses Muster wiederholt sich immer wieder bis heute Zu Beginn der 1990er Jahre fegten die Orkane Vivian und Wiebke durchs Land Tausende Bäume brachen ab oder wur den ganz entwurzelt Es folgten mehrere heiße Sommer und just als 1995 de Graaf ihren Job antrat fand der Buchdrucker der sich mit Vor liebe Fichten einverleibt ideale Bedingungen im angeschlagenen Wald vor Die Rangerin kann sehr anschaulich schil dern wie das Gemetzel abläuft Ein Buchdru cker legt seine etwa 60 Eier in die äußere Rin denschicht genannt Borke Seine Larven und Jungkäfer fressen sich durch das lebende L E K T I O N 7 Der Borkenkäfer links oben ist nicht der Feind Zwar hat er manch abgestorbenen Baum auf dem Gewissen Doch siehe Lektion 1 der Wald braucht totes Holz Deshalb ließ man den Borkenkäfer im Nationalpark vie lerorts gewähren L E K T I O N 8 Besuch ist nicht immer willkommen Auerhahn links mit rotem Kamm und henne daneben brauchen Ruhe Im kräftezehrenden Winter werden deshalb manche Zonen für Nationalparkgäste gesperrt W Larven fressen sich durch das Gewebe des Stamms Und während die Käfer ins Leben starten beginnt der Baum zu sterben 3 71 1 2 0 2 0 028 Bayerischer Wald indd 37 09 10 20 16 26

Vorschau DB mobil 11-2020 Seite 37
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