d b m o b i l d e T I T E L I N T E R V I E W Es gibt in der Innenstadt viele Läden mit altmodi schen Klamotten und Schmuck Wer kauft das alles Alles muss hübsch und nett und sauber aussehen Es gibt keine Patina mehr Früher war es chaotischer aber auch interessanter Sie sind in Erfurt aufgewachsen und waren neun als die DDR zusammengebrochen ist An was erinnern Sie sich noch aus dieser Zeit Ich erinnere mich an vieles aus der DDR An den Morgenappell in der Schule daran wie wir Schüler den Pioniergruß machten während Erich Honecker von der Wand auf uns guckte Kinderbücher mit Friedenssoldaten die zu kleinen Jungs ganz freund lich waren und Pakete für Afrika geschnürt haben aber natürlich nur für die sozialistischen Länder Für Kinder war diese Welt damals gar nicht so ätzend Was war das Schönste für Sie Wir durften viel Es gab Ferienlager staatlich bezahlte Freizeitaktivitäten und wenig kapitalistisch Böses Alle hatten die gleichen Klamotten an Das Prinzip der Schuluniform hat ja etwas Dogmatisches aber wenigstens gibt es damit keinen Streit weil einer keine Nikes anhat Andererseits haben wir uns genau danach gesehnt nach der bunten Welt des Westens In der DDR war alles grau die Häuser die Schulen die Kinderbücher das Fernsehen das Essen Mein Bruder und ich haben manchmal Tic Tacs bekommen Wenn die aufgegessen waren haben wir einen Monat lang an der leeren Schachtel gerochen und uns in den Westen geträumt Im November 1989 fiel die Mauer Wie haben Sie die Tage erlebt Wir hatten den ganzen Abend den Fernseher an und erkannten viele Leute die abgehauen waren Zum Beispiel haben wir meinen Onkel gesehen wie er über den Zaun in Ungarn geklettert ist seinen Trabi hat er einfach stehen lassen Viele Wohnungen in unserer Nachbarschaft standen auf einmal leer komplett eingerichtet teilweise war sogar das Licht noch an die Türen unverschlossen Andere Nach barn sind in diese Wohnungen gegangen um die Telefone zu benutzen Die Eigentümer waren ja weg Haben Ihre Eltern auch erwogen zu fliehen Ja sie haben diskutiert ob wir auch gehen sollen Aber sie haben es unseretwegen nicht gemacht Sie hatten Angst was aus uns Kindern wird wenn wir alle in einem fremden kapitalistischen Land bei null anfangen müssen Sind Sie problemlos im vereinigten Deutschland angekommen oder gab es große Umbrüche in Ihrer Familie Für uns Kinder waren die zehn Jahre nach der Wende toll Die Erwachsenenwelt war krass mit sich beschäftigt sogar die Polizei hatte anderes zu tun als auf uns zu achten Auf einmal war die ganze Stadt ein einziger Spielplatz Es gab leer stehende Häuser in die wir klettern konnten wir hatten ganze ehemalige DDR Fabriken für uns gefährliche Anlagen riesige Keller es ging manchmal zehn Meter ungesichert in die Tiefe Für uns war das eine coole Zeit für die Erwachsenen aber teilweise hart Ich wurde giftig als ich keinen Erfolg hatte Ich habe gedacht dass die da draußen alle doof sind Viele Verwandte und Freunde von uns sind weg gegangen um ihr Glück zu suchen aber später wiedergekommen Weil sie gemerkt haben dass sie im Westen keinen Anschluss finden konnten Was war das größte Problem Sie realisierten dass sie doch eine andere Denke haben Einen anderen Slang der für die Leute im Westen klang als wären sie dumm Verwandte haben mir erzählt dass sie gefragt wurden ob wir im Osten eigentlich Weihnachten feiern Die im Westen hatten keine Ahnung wer wir sind Ist die Enttäuschung derer die damals zurück gekommen sind heute noch spürbar Auf jeden Fall Viel Unmut im Land kommt auch daher dass sich der Kapitalismus damals für viele Ostdeutsche als großes Monster geoutet hat ohne dass man das im Westen so gesehen hat Was war das Monströse daran Feines Handwerkszeug kleine Gitarrenauswahl im Tonstudio 2 6 020 Clueso indd 26 07 09 21 12 47

Vorschau DM mobil 2021-10 V2 opt. PDF Seite 26
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