K U R Z G E S C H I C H T E Die Autorin Alena Schröder Junge Frau am Fenster stehend Abendlicht blaues Kleid Was wie eine Bildbeschreibung klingt ist der Titel von Alena Schröders ers tem in diesem Jahr erschienene Roman der prompt auf der Spiegel Bestsellerliste lan dete Die Autorin beschreibt darin über 100 Jahre und mit vielen Schicksalswendungen die Geschichte einer deutschen Familie die plötzlich ein verloren geglaubtes Bild des Malers Jan Vermeer erbt worauf sich der Ti tel bezieht Alena Schröder geboren 1979 hat Geschichte studiert die Henri Nannen Schule für Journalismus besucht und vor ih rem Debüt als Schriftstellerin für Brigitte Die Zeit und das SZ Magazin gearbeitet WAS SOLL ICH BRINGEN DIE EIN WECK GLÄSER OVER Die meisten Gummersdorfer trugen ihr Megafon nun ständig an einem Rie men über der Schulter einige hatten auf ihren Terrassen aufgespannte Sonnen schirme auf den Boden gelegt um den Schall besser fangen zu können Die Sa che mit den Telefonkabeln geriet mehr und mehr in Vergessenheit Einige Gum mersdorfer fragten sich zwar wann ihre fortgezogenen Kinder wohl bemerken würden dass die Telefone auf denen sie normalerweise alle zwei Wochen einmal anriefen um sich nach ihren Alten zu erkundigen nicht mehr funktionierten Andererseits waren die jungen Leute ja immer sehr beschäftigt man sah es ih nen nach und irgendwann hatten sich alle daran gewöhnt einfach nichts mehr von ihnen zu hören Es war der Sommer des Megafons Eine Zeit in der sich die Gummersdorfer auf ganz neue Art und Weise kennenlern ten Es gab berührende Momente wie den einen Sonntagmorgen an dem Gisela per Megafon FROH ZU SEIN BEDARF ES WENIG angestimmt hatte und die Nachbarschaft im Kanon eingefallen war Es gab angespannte Momente wie bei dem Nachbarschaftsstreit zwischen Pe ter und Max in dem es erst um die Frage gegangen war wer mal wieder den Geh steig nicht gefegt hatte Aber bald be schallten die beiden das Dorf mit lang zurückliegenden Konflikten die bis in ihre gemeinsame Schulzeit reichten Schließlich mischten sich noch Isolde und Helga ein es war ein ohrenbetören der Lärm Jetzt kippt es dachte Dirk bei sich Seit Wochen bereute er seine Initiative mit den Megafonen Alles was Gum mersdorf für ihn zum perfekten Ort ge macht hatte war nun hinüber und er hatte es selbst verbockt Aus seinem Pa radies der Ruhe und Einkehr war ein Ort geworden der akustisch an einen Trup penübungsplatz erinnerte Nicht mal in der sonst heiligen Mittagspause unterlie ßen es die Gummersdorfer zu megafonie ren obwohl er mehrfach darum gebeten hatte Er musste etwas unternehmen Er fuhr mit seinem klapprigen alten Passat in die Kreisstadt nahm dort den Regionalex press und schließlich einen ICE in Rich tung Berlin Er wollte persönlich am Hauptsitz der Telefongesellschaft vor sprechen und die Wiederherstellung der Gummersdorfer Telefonleitungen for dern vielleicht sogar das Aufstellen ei nes Funk mastes für den Handyempfang Als ein Mitarbeiter des Bordbistros mit einem Tablett voller Kaffeebecher an sei ner Sitzreihe haltmachte und ihn fragte ob er einen Kaffee wünsche griff er aus purer Gewohnheit zum Megafon das in seinem Schoss lag NEIN DANKE SEHR FREUNDLICH Der folgende Tumult herunterfallen de Kaffeebecher ein zu Tode erschreck ter und nun mit Kaffee begossener Bahn mitarbeiter aufgebrachte Mitreisende die sich beschwerten schließlich habe man ja nicht umsonst im Ruheabteil re serviert beschämte Dirk so nachhaltig dass er sein Megafon unter dem Sitz ver steckte Als er in Berlin Hauptbahnhof aus stieg ließ er es einfach liegen Die Stille der Hauptstadt umfing ihn wie ein vorge wärmter Bademantel und er beschloss zu bleiben und nie wieder zurückzu kehren Ist das Ihr Megafon Schreiben Sie uns Wir bewahren alle Fundstücke gesondert auf damit sie ihre Eigentümer innen doch noch finden fundstueck dbmobil de Sie haben etwas im Zug oder am Bahnhof ver loren oder gefunden Den Fundservice der DB erreichen Sie unter bahn de fundservice Demos angemeldet und Protestaktionen koordiniert hatte darin 20 Megafone Genügend um jeden Gummersdorfer Haushalt mit einem zu versorgen Der Ort war klein genug und die Lage in einer Talsenke günstig per Megafon würden sie im Notfall miteinander kommunizie ren können Zunächst waren die übrigen Gummers dorfer skeptisch man könne sich ja zur Not auch einfach besuchen wenn es was zu bereden gab die meisten von ihnen waren ja noch gut zu Fuß aber irgend wann siegte die Faulheit Isolde war die Erste die sich ein Herz fasste an einem sonnigen Frühlingsnachmittag Die Gummersdorfer werkelten in ihren Gärt chen als es plötzlich knarzte und fiepte und dann hörte man Isoldes Stimme laut durchs Dorf schallen ACHTUNG ACHTUNG LIEBE MIT BÜRGERINNEN UND MITBÜRGER HIER SPRICHT ISOLDE ICH LADE EUCH ALLE MORGEN ZU MEINEM SECHSUNDDREISSIGSTEN GEBURTS TAG EIN ES GIBT KAFFEE UND STA CHELBEERTORTE OVER Kurz hing eine gebannte Stille über dem Dorf Isolde feierte nun seit 40 Jah ren ihren 36 Geburtstag daran hatten sich alle gewöhnt aber mit dieser Art der Einladung hatten sie nicht gerechnet Die Scheu vor dem Megafon war damit verflogen Franz war der Erste der auf die gleiche Weise antwortete JA HALLO HÖRT IHR MICH FRANZ HIER ISOLDE ICH KOMME MORGEN UND BRINGE MILCHREIS MIT OVER Die übrigen Gummersdorfer holten nun auch ihre Megafone aus den Schach teln und probierten ein wenig herum es war eigentlich ganz einfach wenn man es mal begriffen hatte man musste sich auch keine Nummern mehr merken und die eigene Stimme auf blecherne und damit gewichtige Weise verstärkt zu hören ge fiel ihnen nicht schlecht In den folgenden Tagen verlegte sich die nachbarschaftliche Kommunikation mehr und mehr aufs Megafon HIER BERND HAT JEMAND NOCH RINDENMULCH ÜBRIG BITTE MAL MELDEN OVER HALLO HIER SPRICHT HANNELO RE GERDA KANNST DU BITTE DIE EINWECKGLÄSER VORBEIBRINGEN OVER 7 0 d b m o b i l d e Anzeige 1 2 210x136 068 Literarisches Fundstueck indd 70 10 08 21 08 16

Vorschau DB mobil 09-2021 - Neu Seite 70
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