d b m o b i l d e R E P O R T A G E Und dann ist die Welt verschwunden Noch vor zehn Minuten waren da Arbeit Verpflichtungen die Zukunft Dieses allge genwärtige Klirren und Klappern das Rauschen unserer Wirklichkeit Einfach weg Ich schwebe in eisigem Wasser allein in einem See Es ist Frühling eine dünne Schicht Nebel bildet den Übergang zwi schen Luft und Wasser Und ich treibe zwi schen diesen Welten Kopf im Dunst Kör per unter der Wasseroberfläche Die Badekappe schneidet in die Haut mein Körper erwärmt die dünne Schicht Wasser in meinem Neoprenanzug So be wahrt er mich vor dem Auskühlen auch an warmen Tagen wie dem als wir die Bil der auf diesen Seiten machten Neige ich den Kopf sehe ich die Pappeln die vollge sogen und satt am Ufer stehen das Schilf das sich ungehobelt ausbreitet Weiter hin ten schwimmt Hansi der Schwan Oder ei nes seiner Kinder Wir kennen uns Wir ha ben uns schon miteinander angelegt Ich ziehe die Arme abwechselnd am Kopf vorbei dreimal dann Luft holen Kämpfe mit der Angst die ich nur in ei nem See habe Ich denke an die Welse die faul im Grundschlamm liegen und meinen Fuß vielleicht für eine Ente halten An Hechte die sich in meine Beine verbeißen Mensch oder Wels Freiwasserschwimmer brauchen eine gewisse Furchtlosigkeit könnten An Nixen die ja böse sind und mich mit ihren feingliedrigen Händen auf den Grund reißen wollen Nixen und ande re Kreaturen der Tiefe ich vermute sie hier im Grienericksee bei Rheinsberg Ich denke das wirklich wenn ich schwimme Und ich bin ein glücklicher Mensch wenn ich mit regelmäßigen Arm zügen durchs Wasser gleite Seit einigen Jahren bin ich Schwimmer Im Sommer im See im Winter in der Halle Dreimal die Woche schalte ich die Welt für 45 Minuten aus Ich empfinde großes Glück dass ich diese Möglichkeit gefun den habe und spüre dieses Glück jedes Mal in den ersten zehn Minuten Klar ich habe manchmal keine Lust würde lieber mit Freunden abhängen Aber ich bekämp fe den inneren Schweinehund der gerade im Fall des Schwimmens besonders groß und gemein zu sein scheint Ist auch kein Wunder Schwimmen ist nichts für Eilige Der Weg zum Wasser das Umziehen das Bibbern dann der Sport selbst und da nach wieder anziehen Haare trocknen vor der Halle oder am See frieren Es ist aber eine besondere Sportart und ich muss nicht erklären dass sie sehr ge sund ist Gesünder als Joggen oder Cross Fit oder alles was man im Fitnessstudio tut Schwimmen schont im Gegensatz zu anderen Ertüchtigungen die Gelenke trai niert jeden Muskel zur gleichen Zeit ist gut für Herz und Körperkraft Eine halbe Stunde Schwimmen verbrennt so viel Ka lorien wie eine Stunde Fahrradfahren Anfangs war mir wichtig Wie schnell kann ich stark und dünner werden Aber irgendwann schwamm ich nicht mehr für meinen Körper sondern nur noch für mei ne Seele Einschwimmen Ich bin früh am Morgen am Grienericksee angelangt Im Norden Brandenburgs ist der Boden sandig die Menschen erschei nen mir grundsätzlich schlecht gelaunt Der See ist einsam und kalt Ich stehe auf einem Steg und kämpfe mit der Neopren pelle Die Eleganz die ein Schwimmer aus strahlen kann geht ihm beim Anziehen des Anzugs gänzlich ab Er wirkt dabei un gelenk wie ein Fisch an Land Dann der Sprung ins Wasser Das Herz schlägt wild die Augen flackern hinein mit einem Schrei Als würde das gebrüllte Huu irgendetwas daran ändern dass das Wasser eisig ist Dann die ersten Züge Eckig und erschrocken bewege ich mich durch das Wasser ich gewöhne mich erst nicht an die Kälte Ich kraule und finde in dem Nichts in meinem Kopf die Ruhe die ich im Getriebe des Tages oft ver gebens suche U 4 6 044 Thilo schwimmt 1 indd 46 06 07 21 12 48

Vorschau DB mobil 08-2021 Seite 46
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