Reportage nur der Reichstag der Fernsehturm oder das Brandenburger Tor wieder Am Ufer des Seddinsees liest mich Malte Jäger 44 mit dem Schlauchboot auf Ich werfe mein Gepäck in das schaukelnde Dingi wie solche Beiboote auf Seemanns deutsch heißen Kurze Umarmung ein kumpeliges Lachen schon jagen wir los Fort von der Stadt weg von dem Lärm den Autos und dem Beton Malte dünn und drahtig schwarzer Schnäuzer in einem Kino gesicht ist ein toller Fotograf Ich war schon oft mit ihm unterwegs Auf Ge schichte wie wir sagen Gemeinsam ha ben wir in Hongkong Schlangensuppe ge löffelt und uns durch Rumsorten auf Mauritius getrunken Heute verbringt er fast jede freie Minute auf Berliner Gewäs sern Mein Hausboot ist das beste Office das ein Mensch haben kann sagt er Nach einer Viertelstunde Fahrt errei chen wir die Guriù Malte hat das Boot nach einem Fischerdorf im Nordosten Bra siliens benannt in das es ihn auf einem Couchsurfing Trip verschlagen hatte Das Wort verkörpert für mich die Sehnsucht unterwegs zu sein sagt er Dabei sieht die Guriù eher wie ein festes Zuhause aus Das Boot liegt wie ein gläserner Bungalow auf dem See 14 Meter lang viereinhalb Meter breit 3 80 Meter hoch Das Dach ist halb Terrasse halb Solarzellenfeld Den Innenraum dominieren ein Holzboden und ein kleiner Kamin Und natürlich der offene Kapitänsstand mit dem Steuerrad Dahin ter sitzt Malte oft an einem Esstisch und arbeitet Sichtet Bilder plant neue Produk tionen Wenn er Pause macht setzt er sich in einen Schmetterlingssessel aus Leder trinkt einen Kaffee und schaut durch die bodentiefen Fenster hinaus auf den See Heute Morgen hab ich einen Biber gese hen sagt er Ich kenne Biber nur aus der Baumarktwerbung Laut Umfragen können sich 29 Prozent der Deutschen vorstellen auf dem Wasser zu wohnen Neu kann ein Hausboot wie die Guriù rund eine viertel Million Euro kos ten Malte und seine Frau Jessika 39 blond und tätowiert hatten Glück Sie erstanden das gute Stück 2017 aus der Konkursmasse eines Architekten der finanziellen Schiff bruch erlitten hatte Da war das Schiff aber schon zehn Jahre alt erzählt Malte Wir haben es kernsaniert und umgebaut Und sehr viel Geld reingesteckt Er lächelt leicht gequält Zur Zeit ankert die Guriú nahe einem alten Verladehafen am Nordu fer des Seddinsees Nach dem Zweiten Weltkrieg luden Binnenschiffe hier den Schutt der zerbombten Berliner Stadtland schaft ab Der See und seine bewaldete Um gebung sind ehemaliges DDR Gebiet Plötzlich fühle ich mich wie Indiana Jones Mitten im Dschungel aber noch ist kein verlorener Schatz zu sehen Ich ho cke in einem Kajak und gleite durch pista ziengrünes Wasser Mechanisch steche ich mein Paddel in das schimmernde Nass Links rechts Links rechts Um mich herum zwitschern Vögel Nein sie brüllen fast Stört es sie dass ich hier bin Über mir schließen sich Baumkronen das Blätterdach verdeckt den blauen Himmel Es riecht faulig Halb versunke ne Stümpfe und Äste ragen wie die Kno chen eines Saurierskeletts aus dem Ge wässer Hoffentlich gehe ich nicht über Bord Für eine Landratte wie mich ist so eine Kajakfahrt eine wackelige da unge übte Angelegenheit Gibt es hier Piranhas Krokodile Baum stammdicke Pythons Wohl kaum Ich bin nicht auf dem Amazonas unterwegs Son dern in den alten verwilderten Seitenar men des Gosener Kanals der den Berliner Seddinsee mit dem Dämeritzsee verbindet Die Tierwelt kann sich dennoch sehen las sen Vor mir kreuzt ein Nutria eine fette Biberratte mit funkelnden Knopfaugen Ein Graureiher thront still wie eine Statue auf einem Baumstumpf Und ein Hauben taucher streckt mir empört den Irokesen schnitt entgegen als ich an seinem Nest vorbeigleite Die Millionenmetropole Ber lin sie wirkt sehr weit weg hier Deshalb bin ich hergekommen Um die wilden Seen rund um Berlin zu erkunden Um Zeit auf dem Wasser zu verbringen Und um einen guten Freund zu besuchen der in dieser verwunschenen Gegend auf einem Hausboot umherschippert Ist das Leben das er hier führt auch ein Leben für mich Bin ich nah am Wasser gebaut Rückblende drei Tage zuvor Die Reise beginnt auf der Schiene Von Hamburg aus fahre ich per ICE zum Berliner Hauptbahn hof weiter mit der S Bahn Berlin ist an diesem Tag typisch Berlin groß und voll und laut In Grünau im Südosten der Me tropole steige ich in die Tram Schon ruhi ger hier An der Haltestelle Alt Schmöck witz verlasse ich die Straßenbahn und gehe zu Fuß weiter Mir ist heiß Schnell klebt der Rucksack an meinem Rücken die Reise tasche zerrt an meinem Arm Ich stapfe stur Richtung Bootsanleger und denke da bei an Alexander von Humboldt Der gro ße Entdecker hat einmal gesagt Die Na tur muss gefühlt werden Ich fühle an meinem linken Fuß eine Blase Berlin ist eine Wasserstadt Auf einer Fläche von rund 900 Quadratkilometern gibt es 50 Seen drei Flüsse und acht Kanä le Aber auf Postkarten finden sich meist Fast jeder dritte Deutsche hält ein Hausboot für eine erstrebenswerte Form des Wohnens Unser Autor ging für ein paar Tage an Bord um zu ergründen Ist er einer von ihnen P 34 dbmobil de 032 Hausboote indd 34 03 06 22 11 12

Vorschau DB mobil 07-2022 Seite 34
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