Ill us tr at io n M at th ia s Se if ar th A ut or en ill us tr at io n A nj e Ja ge r Die Künstlerin Mischkes Zuggespräche Mischkes Zuggespräche Der Journalist und Autor trifft jeden Monat besondere Menschen auf seinen Reisen Diesmal Berlin von zwei Jahren Corona von der Abwesenheit all dessen weshalb sie als Künstlerin aus Korea ge kommen ist Ich glaube ich muss vor Freude weinen sagt sie plötzlich auf Deutsch und reicht mir ein Bier das ich nicht trinken will weil ich kein Bier trinke Aber ich mache eine Ausnahme Es gibt etwas zu feiern mit der fremden Frau in meinem Abteil Wieder öffnet sie die Tür und legt sich mitten in den Gang Sie be ginnt zu hyperventilieren Alles okay frage ich und habe schon fast die Hand an der Notbremse Ja ja lacht sie mir entgegen Dann trinken wir das Bier und sie erzählt dass sie Malerin sei aber nicht studiert habe dass es in Berlin schwer sei mit Kunst Geld zu verdienen wenn man nicht bekannt ist Sie erzählt es ohne klagenden Ton sondern mit begeisterndem Optimismus Aber jetzt wird alles anders Und mir fällt auf Es ist nicht diese Frau ihr Stipendium ihre Kunst die mich mitreißen sondern dass ich das erste Mal seit Langem wieder die sen Optimismus spüre ein Es geht weiter trotz allem Es macht mich sogar fröhlich Danke sage ich zu ihr Wofür fragt sie zurück Fürs Freuen über kleine Sachen ich dachte das geht nicht mehr Sie sieht mich streng an Es ist keine kleine Sache es ist die größte Sache meines Lebens sagt sie ernst Wir stoßen an dann blickt sie auf mein Buch und fragt ob ich weiterlesen will Wenn Deut sche lesen müsse man ja immer still sein Nein sage ich Das Buch ist eh langweilig O bwohl das Zugabteil still ist und obwohl ich lese und somit eigentlich das bekann te Signal für Ruhe bitte ausstrahle spricht die Frau aufgeregt in ihr Telefon wohl auf Koreanisch Hüpft dabei hoch setzt sich dann wieder was mich allerdings nicht stört weil ich fasziniert davon bin mit wie viel Emotion und Gestik sie in ein Telefon sprechen kann Ich bin ein Mensch der am Handy eher den Morsestil pflegt aha ja gut Unterhaltung beendet Plötzlich legt die Frau auf sieht mich durchdrin gend an und ruft kurz Oh Dann springt sie auf fragt mich auf Englisch ob ich auf ihre Tasche aufpassen könnte und verlässt das Abteil Sie läuft mehrmals an der Tür vorbei reckt dabei die Arme und lacht laut Schließlich verschwindet sie Ich bleibe allein zurück in diesem Abteil es ist still das Rauschen des Zuges wieder hörbar Und ich fühle mich durch die Performance meiner Mitreisenden wie in einem Windkanal Bin selbst ganz aufgedreht will wissen wie es weitergeht konstruiere meine Fragen an sie Ich traue der Frau aber auch zu dass sie an der nächsten Station einfach singend und lachend im Brandenburger Nichts verschwindet Doch sie kommt zurück mit Bierflaschen aus dem Speisewagen offenbar Ich bekomme ein Stipendium ruft sie so laut dass mir vor Schreck ein Kopfhörer aus dem Ohr fällt Ich freue mich für sie obwohl wir uns ja gar nicht kennen Endlich sagt sie Und erzählt von Thilo Mischke Für seine Reportagen ist unser Kolumnist rund 160 Tage im Jahr unterwegs Hier er zählt er von Begegnun gen mit Menschen die ihn nicht los gelassen haben Vor Kurzem ist sein neues Buch mit Reise berichten aus aller Welt erschienen Alles muss raus Notizen vom Rand der Welt Droemer 20 30 dbmobil de 030 Mischke indd 30 07 06 22 08 56

Vorschau DB mobil 07-2022 Seite 30
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