R E P O R T A G E Da blättert der Putz bröckeln die Fliesen Jugendstil an altem Schimmel Siegfried Schmidt vom Verein für Kulturdenkmale kommt hinzu Im Ballsaal könne ich mich auf der Couch langmachen dort gebe es Heizung und Licht was ich noch bejubeln würde Was meint er Ich mache mich lang Schmidt macht es kurz Ich will nicht leug nen dass sich auch unschöne Ereignisse in die Ge schichte des Hauses eingesenkt haben Geister jäger innen hätten paranormale Aktivitäten gemessen Er legt Blätter auf den Marmortisch falls ich mehr lesen mag Große Nervosität nun meinerseits schnell das Thema wechseln Wie das denn sei so einen Kas ten am Leben zu halten Grübelnder Schmidt An fangs waren wir begeistert von der Aufgabe Die Zwei fel kamen später Zweifel ob sie die Instandhaltung mit Führungen und Fototouren bestreiten können Zweifel wenn wieder Vandal innen einsteigen und Türgriffe abschrauben und wenn sie die Waldlust die sie doch offen halten wollen mit Brettern vernageln müssen und Zweifel sowieso wenn wieder mal ein Investor mit einer Idee angehansdampft kommt Man hat ihnen alles schon vorgeschlagen Tagungstreff Einkaufszentrum Disco Altenheim Das Haus hätte eine Hotelnutzung verdient Aber man kriegt im Le ben nicht immer was man verdient sagt Schmidt und verabschiedet sich Ich bleibe zurück im Halbdunkel unter dem Keiler Habe ich das verdient Menschen doch die wären jetzt schon schön Diese Zerstreuungskulisse einer Lobby in die man sich nur hineinsetzen muss Biografien die sich zufällig kreuzen in jedem Gesicht eine Story Dazu die wichtigen Fragen Wie sieht es hier denn aus wie man selbst und wie eigentlich die anderen Jetzt fehlen sie mir fürwahr die gestrengen Manager innen mit den Aktenkoffern Die bunt krawat tierten Handlungsreisenden in zu weit geschnittenen Jacketts Die barocken Süddeutschen die wortknappen Hanseat innen Die Instagrammer innen die mit der Zurschaustellung ihres Urlaubs der genau deswegen nie einer wird schon im Hotel starten Mir fehlen sogar die beigen Rentner innen die um sieben das Buffet belagern mehrere Servietten greifend um sich mit dem Zuviel genommenen und man nimmt doch immer zu viel für den Tag zu verproviantieren Und am Buffet reinfallen auf raffiniert ausgeleuchtete Platten und auf Butter an Eiswürfeln Das Hotel als Empathiemaschine Normalerweise würde ich zuerst auf mein Zimmer gehen und den Fernseher anschalten ohne Ton dann entfaltet die Stille erst ihre Wirkung Wenn so ein Wetter Otto auf n tv die Aussichten der nächsten Tage souffliert die mir aber egal sein können denn ich bin im Hotel meine Aussichten sind folglich großartig Weil hier die Zimmer in den finsteren oberen Etagen liegen und zudem eiskalt sind flaniere ich lieber in die Vergnügungshalle der Waldlust Panoramafenster in Einsamkeit erblindet Total allegorisch Ich kann nicht rausgucken ich sehe nur mich selbst Eigentlich muss man aber auch nicht rausschauen Die hässlichsten Städte können aus dem Hotel erträg lich anmuten und in die schönsten setzt man manch mal keinen Fuß weil es im Hotel noch schöner ist Dann der Teppich überall Teppich Eine bordeaux rote dünn gelaufene Paisley Variante Als Stauballer giker halte ich Teppiche eigentlich nicht aus in Hotels aber drückt sich in ihnen erst die Gemütlichkeit aus die mir anzeigt dass ich nicht zu Hause bin Wobei ich mich ja durchaus zu Hause fühle im Hotel das ist der Täuschungseffekt der Räume Wie schnell sie mich glauben machen ich würde dort wohnen während ich zu Hause alles immerzu umdekoriere sodass ich also zu dem was gemeinhin als Wohnen bezeichnet wird gar nicht komme Das Hotel als anonymer Ort Habe ich nie verstanden wie denn Tausende die vor mir da waren und Tausende die nach mir kommen nichts daran ist anonym Wogegen ich schon was habe das Knacken jetzt von den Stufen beim alten Lift Die Ra che der Waldlust dass sie einen nicht in Ruhe lässt wenn man sie auch nicht in Ruhe lässt Aber da ist nichts nur poröse Aktenordner darin Gästeregister aus den Fünfzigern Gehaltszettel Mah nungen Beschwerden Zu beanstanden gab es offen bar einiges Auf triste Weise beruhigend dass diese Geisteshaltung überlebt hat Dabei ist es ganz falsch Hotelbewertungen zu lesen bevor man bucht Man muss sie im Hotel selbst lesen und sich dann an dieser Wutpoesie begeistern die immer mehr über den Gast als über das Hotel sagt Wie würden diese Menschen erst über die Badezimmer der Waldlust rasen Da blättert der Putz bröckeln die Fliesen Jugend stil an altem Schimmel Ich schicke einem Freund Schadensgutachter für Altbausanierung Fotos Er schreibt sofort zurück Alles okay Ist Shabby Chic Ich liebe meine Freunde Auch das merke ich immer wenn ich im Hotel bin weil ich ihnen von dort beson ders oft schreibe Wasser fließt leider keines und Seife ließe sich auch nicht stehlen dabei nehme ich sie im mer mit und zu Hause schäme ich mich dafür Im Erd geschoss wenigstens kaltes Wasser das WC muss nachträglich eingezimmert worden sein wie so vieles 1900 wurde die Waldlust erbaut als Sommer De pendance des Schwarzwaldhotels das die Familie Luz unten am Bahnhof führte Schnell überflügelte die Waldlust ihre Schwester wurde aufgestockt wieder und wieder Und alle kamen sie Durchlauchten und reiche Bürger innen Finanzmagnat innen und Künstler innen die Windsors und Premierminister Lloyd George Dynamit Erfinder Nobel König Ferdi nand von Bulgarien und der Maharaja von Baroda da mals reichster Mann der Welt Aus Hollywood Doug las Fairbanks und Mary Pickford dazu Prinzessin Wilhelmine von Sachsen Weimar um mit Fürstin 5 0 d b m o b i l d e 046 Grandhotel indd 50 12 04 21 17 01

Vorschau DB mobil 05-2021 Seite 50
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