hier in der Nähe in Lüneburg hätte ich wegen des Numerus Clausus vier Jahre lang warten müssen In Berlin wäre das an ders gewesen aber das konnte ich meiner Mutter nicht antun sie allein mit dem Kiosk lassen Und als Texterin habe ich dann gutes Geld verdient Den Job haben Sie allerdings gekündigt um ein unbezahltes Praktikum beim Radio zu machen Warum Meine Mutter hat mich für verrückt erklärt Aber ich wollte et was Neues ausprobieren Und schauen ob ich es zum Fernsehen schaffe Viele sind vom Radio zum Fernsehen gekommen weil man zumindest früher beim Radio eine Sprecherziehung mit Sprachtrainer erhalten hat Da lernt man weniger Zischlaute von sich zu geben Endungen nicht mehr zu vernuscheln und lei ser zu atmen Was hat Sie am Fernsehen gereizt Ich habe immer davon geträumt irgendwann auf dem Bild schirm zu sehen zu sein Obwohl ich schüchtern war stand ich schon in der Schule gerne auf der Bühne und war Mitglied in der Theater AG Ich hatte kein großes Selbstbewusstsein weil ich nicht gut aussah Vielleicht habe ich das dadurch kompensiert Auf der Bühne stehen und Menschen schauen mir zu Außerdem habe ich damit den Traum meiner Mutter verwirklicht Sie woll te Schauspielerin werden musste aber zurückstecken hinter ih rem Bruder der studieren sollte Es war nicht genug Geld für eine zweite Ausbildung übrig Meine Mutter hat mir erzählt dass sie vor Freude und Aufregung weinen musste als sie mich das erste Mal im Fernsehen beim Verlesen der Tagesschau ge sehen hat Haben Sie nie erwogen Schauspielerin zu werden Doch Ich habe sogar Schauspielunterricht genommen und bin von Schule zu Schule getingelt Hamburg Hannover Bochum und Leipzig Ich habe es jedes Mal in die Endrunde geschafft da nach aber glaube ich in der letzten Runde nicht 100 Prozent ge geben Das ist mir erst im Nachhinein klar geworden Ich habe gemerkt Ich bin nicht diejenige die mit einem Koffer von Thea ter zu Theater tingelt und vorspricht Das muss man ja als Schauspielerin wieder und wieder Ich brauche einen gewissen Grad an Sicherheit Deswegen habe ich es gelassen Sie haben zunächst die regionalen NDR Nachrichten moderiert danach das Nachtmagazin in der ARD Seit Mai 2013 präsen tieren Sie die Tagesschau als erste Sprecherin mit Migrati onshintergrund wie es oft hieß Dass das auf einmal Thema war kam für mich völlig überra schend Für mich hatte das vorher nie eine Rolle gespielt Doch als ich bei der Tagesschau anfing bekam ich von den Medien val bei den Deichtorhallen hier in Hamburg das erste Mal gese hen und gedacht meine Entdeckung Da hatten einige andere sie allerdings auch schon entdeckt Ihr Vater starb als Sie 14 waren Danach haben Sie und Ihre beiden Brüder Ihrer Mutter jahrelang geholfen den Familien kiosk am Laufen zu halten Konnten Sie überhaupt Dinge un ternehmen die Jugendliche in dem Alter so machen Nein ich war ein Spätzünder mit Ausgehen und Jungs ging es bei mir erst mit 17 18 los Das wäre vorher auch gar nicht mög lich gewesen Ich hatte genug im Kopf durch den Tod meines Va ters und damit mich auf die Familie zu konzentrieren und ge meinsam den Kiosk zu retten Sie haben in Interviews erzählt dass Sie früher hässlich gewe sen seien Koketterie Nein Ich hatte krause Haare zu einem Balken zusammenge wachsene Bert Augenbrauen eine Brille und ich war spindel dürr Das hat sich erst nach und nach verändert Ich habe mir ein Glätteisen für die Haare besorgt die Brille durch Kontaktlinsen ersetzt und mir die Augenbrauen machen lassen Vorher hatte ich zu große Angst davor meine Mutter hat mich gewarnt Wenn ich die einmal zupfe wachsen sie umso stärker nach und irgendwann ist alles voll davon War aber nicht so Die größte Veränderung kam allerdings durch H M Hennes Mauritz Ja Meine Familie hatte kein Geld Während die anderen Levi s und Witboy getragen haben waren es bei mir die Klamotten meines älteren Bruders die ich auftragen musste Als dann der erste H M Laden im Hamburger Hanseviertel aufmachte und ich hineinging tat sich eine völlig neue Welt für mich auf Alles sah gut aus und es war bezahlbar Endlich konnte ich coole Kla motten tragen wenn wir auf dem Kiez ausgegangen sind Wie vertrugen sich Partys und Ihre Arbeit im Kiosk Ich bin mit Freundinnen bis vier Uhr rund um die Reeperbahn un terwegs gewesen habe zwei Stunden geschlafen und bin mit mei nem Bruder anschließend in die Metro zum Großeinkauf gefahren Dort sind mir im Laufe der Zeit einige Großpackungen Cashew nüsse zum Opfer gefallen als Frühstück Danach ging es zur Schule oder später in die Werbeagentur Ich habe mit 19 als Texte rin gearbeitet Sonntags hatte meine Mutter frei da haben meine beiden Brüder und ich abwechselnd hinter dem Tresen gestanden Wollten Sie nie studieren Doch Aber als ich mich nach der Schule entscheiden musste studierte mein acht Jahre älterer Bruder schon Mein anderer ist vier Jahre jünger als ich und ging noch zur Schule Ich wollte Ge sellschafts und Wirtschaftskommunikation studieren Aber Ich hatte früher krause Haare zu einem Balken zusammengewachsene Bert Augenbrauen eine Brille und ich war spindeldürr Das hat sich erst nach und nach verändert MEIN LIEBSTES STÜCK DEUTSCHLAND 4 5M a i J u n i 2 0 2 0 040 Titelinterview LindaZervakis indd 45 02 04 20 17 32

Vorschau DB Mobil 05-2020 Seite 45
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