A u to ri n fo to P ic tu re A ll ia n ce Das literarische Fundstück Die Autorin Eva Menasse 1970 in Wien geboren studierte Menasse Germanistik und Ge schichte bevor sie als Journalistin unter anderem für die FAZ schrieb Nach dem Reportagenband Der Holocaust vor Gericht 2000 ge lang ihr 2005 mit der Familiensaga Vienna der Durchbruch als heute mehrfach ausgezeichnete Autorin Ihr jüngster Roman Dunkelblum 2021 zeichnet das Bild eines Dor fes nach das seine NS Historie un bedingt vergessen will Menasse wuchs mit einem Vater auf der als Kind seine jüdische Identität ver bergen musste Sie selbst trägt in ihrer Wahlheimat Berlin oft offen einen Davidstern am Revers scheibe dass er hart abbremste und mit einer Hand nach ihr schlug Willst du uns umbringen du Irre Ab dann schwieg sie und biss sich auf die Lippen auch bei der letzten Maximalprovokation die er ihr leise und samtig exquisit wie einen Le ckerbissen servierte Du bist doch genau wie dein Vater im Innersten eiskalt Eine halbe Stunde später nahm er die Ausfahrt zur Tankstelle Während er sich um das Fahrzeug kümmerte suchte sie das Klo Man bekam einen Schlüssel an der Kasse daran hing an einer Schnur ein Holzstück mit den sinnigen Buchstaben WC Ob manchmal jemand wirklich so heißt dachte sie Waltraud Czerwenka Wendy Cohn Sie wusch sich das Gesicht der Spiegel war groß und sauber und die sie darin sah noch so überraschend jung viel jünger als der ganze Schmerz sich anfühlte Als sie herauskam stand ein tschechischer Sattelzug zwischen ihr und dem Pritschenwagen Kurz dachte sie ihr Mann sei einfach abgefahren aber gleich darauf wärmte die Racheidee sie wie Scho kolade süß und verboten Ohne Umweg stieg sie in den Sattelschlepper ein sie bat auf Englisch der Fahrer war alt bärtig und zuckte nur mit den Schultern Sie glaubte durchs Fenster noch einen Blick auf ihren Mann erhascht zu haben die Miene starr noch ohne Ahnung oder Sor ge Zwei Stunden später fand sie an einer anderen Raststätte ein Paar das sie zu ei nem Bahnhof mitnahm Sie setzte sich in ein Abteil in dem nur eine ältere Frau war der praktische graue Kurzhaarschnitt ge nau wie der ihrer verstorbenen Tante Vielleicht auch sie eine Freundin der Nymphen Nun hatte sie Zeit zum Nach denken zum Bereuen zum Trauern auch Die Frau reichte ihr Taschentücher später Haferkekse Den Schlüssel mit den Buch staben trug sie als absurdes Armband die Schnur mehrmals umgeschlungen gedan kenlos damit spielend Aber angekommen in Berlin legte sie ihn auf den Sitz und ließ ihn weiterfahren sie stellte sich vor er führe bis über den Hindenburgdamm nach Sylt in die Dünen Sie fragte sich wie es wohl dem Knie ihres Mannes ginge nach Hunderten Kilometern allein mit der brutalen Kupplung Und wer von ihnen als Erstes zu Hause sein würde Wollen Sie es denn fragte sie den Nach barn und ihr Mann warf ihr einen dieser Blicke zu die töten können Danke ich hab was ich brauch sagte der Nachbar und grinste Später packte sie im Haus das Rosen geschirr ein Teller für Teller da kam die Sonne spektakulär hervor und herein Sie nieste und während sie die Augen schloss waren mit dem Knall im Kopf alle wieder da ihre Schwester und sie mit ihren Pfer deschwänzen in der Bank die Beine reich ten noch nicht bis zum Boden ihr Vater im hellblauen Hemd der eine Flasche Saurüssel entkorkte die schöne Mutter die den Mund verzog die Tante die lachte und Leberknödel verteilte der Onkel mit seinen schlechten Witzen Der Tisch ge deckt mit dem Rosengeschirr es roch nach Suppe und Kuchen Mundgeblasene Christbaumkugeln Osternester im feuch ten Gras im Herbst Brombeeren und zer stochene Fingerspitzen Die Geschichte von Richard Löwenherz und dem Sänger Blondel die die Tante beim Spazierenge hen erzählen sollte wieder und wieder Sie wollte zurück zurück in der Zeit und im Raum die Verzweiflung über alle Verluste nahm ihr die Luft Und doch schaffte sie es später abzufahren der Wa gen bis oben voll mit Brennholz Geschirr und alten Büchern und mit dem Mann dem das alles widerstrebte ihre Erbschaft ebenso wie ihre Rührseligkeit und ver mutlich sogar die Vergangenheit über die er nicht verfügen konnte Immerhin hatte er zuletzt Werkzeug Schrauben und Gar tengeräte gefunden die er hinten dazu packte Und immerhin ging es zurück zum Kind dem blond gelockten Blondel dachte sie und lächelte zum ersten Mal Worüber der Streit auf der eintönigen Autobahn ausbrach wusste sie nicht mehr es war wie üblich irgendwo sprang ein Funke und wie in trockenen Flussbet ten in alten holzigen Schneisen raste das Feuer voran weil sie ihm den Platz gaben uralte Vorwürfe erschienen wie verabre det am Wegesrand weil du immer und du damals und weil du nie einmal fuhr sie dann wieder er aber der Streit gestichelt geätzt gehämmert gebohrt scherte sich nicht darum Einmal schrie sie und gesti kulierte so sehr gegen die Windschutz Fundstück Ist das Ihr WC Schlüssel Schreiben Sie uns Wir bewahren alle vorgestell ten Fundstücke gesondert auf damit sie ihre Eigentümer innen doch noch finden fundstueck dbmobil de Sie haben etwas im Zug oder am Bahnhof ver loren oder gefunden Den Fundservice der DB erreichen Sie unter bahn de fundservice Sie biss sich auf die Lippen auch bei der letzten Maximalprovokation die er ihr leise und samtig exquisit wie einen Leckerbissen servierte dbmobil de70 068 Literarisches Fundstueck indd 70 07 03 22 12 36

Vorschau DB mobil 04-2022 Seite 70
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