Städte Special Essay fähig zu halten Die Coronakrise zeigt wie lebensfeind lich unsere gängigen Bauformen sind Viele Alleinerzie hende könnten die Hilfe von Freunden im Haushalt brauchen Singles und Alte vor Einsamkeit bewahrt wer den Fördert man diese neuen Lebensformen stärkt das quasi nebenbei den generationenübergreifenden gesell schaftlichen Zusammenhalt PLÄTZE UND BAUTEN MÜSSEN ANDERS GENUTZT WERDEN Die immer wieder beschriebene Wohnungsnot ist eigent lich vor allem eine Raumverteilungsnot Es gibt erstaun lich viel Leerstand Bisher war die klimaschädliche Lö sung dort meist Abriss und Neubau Doch es gibt andere Wege In Berlin etwa wird gerade das Haus der Statistik umgebaut ein Betonmonstrum aus DDR Zeiten Bald sollen dort das Bezirks rathaus günstige Wohnungen und Kindergär ten untergebracht werden aber auch Geschäf te eine Bäckerei ein Schreiner und eine Fahrradwerkstatt Wer in solchen Häusern lebt muss nicht zur Arbeit pendeln sondern kann zu Fuß gehen zwischendurch nach den Kindern sehen Freunde treffen Wenn dies gelingt könnten neue Formen von Stadtleben entstehen In Hamburg und Bremen etwa un terstützen die Senate Menschen die ihre Ide en in leer stehenden Läden ausprobieren möchten Und die Tate Modern in London und die Bibliothek von Seattle zeigen wie sich öffentliche Orte durch Vereinnahmung neu definieren lassen Jüngere Menschen haben sich dort eine Art öffentliches Wohnzimmer eingerichtet Orte die öffentlich und intim zugleich sind Sie lassen sich dort stundenlang mit Telefonen und Büchern nieder tref fen sich oder drehen Tiktok Videos Vielleicht wird die Stadt wieder lebendiger individueller vielfältiger Vielleicht wird sie wieder zu einem Ort der so aussieht wie in den Tagen bevor große Ketten die kleinen Läden und Werkstätten aus den Zentren verdrängten Man wird all die leeren Flächen neu definieren können und neue Freiräume gewinnen die andere Formen fördern Zeit mit einander zu verbringen Kinder großzuziehen und mit Freunden außerhalb der Grenzen der Kernfamilie zu leben Hinzu kommt der Faktor Zeit Wenn wir die gewonnenen Arbeitsstunden aufgrund der zunehmenden Digitalisierung geschenkt bekämen könnten wir uns von unserem Nine to five Rhythmus verabschieden und Arbeit Bildung Wis sensproduktion und Zusammensein anders organisieren DIE ZUKUNFT DER STADT LIEGT AUCH AUF DEM DORF Vielleicht sollte man den Blick auch aufs Land lenken wo wunderschöne Dörfer verwaisen weil es dort keine Ar beit gibt und keine Anbindung an die Städte Beides könn te sich schnell ändern Zum Beispiel wenn man sie durch Schnellzüge miteinander verbindet Der TGV benötigt für die 584 Kilometer zwischen Paris und Bordeaux gerade einmal zwei Stunden In Frankreich füllen sich plötzlich die kleinen halb verlassenen Dörfer im Süden mit Men schen die in Paris arbeiten ihre Kinder aber im Grünen an einem Bach oder am Meer aufwachsen lassen wollen Auch in Deutschland sollten Mittelstädte und das Land wieder zu einem Raum werden in dem man leben und ar beiten kann etwa durch den Ausbau des Internets sowie des Netzes schneller Regionalzüge und die Förderung lo kaler Produktion IN GERECHTEN STÄDTEN IST RAUM FÜR ALLE Stadtplanung ist mehr als die Verteilung von Häusern und Infrastruktur sie muss den Rahmen für ein gutes Leben bauen Sie muss die Fragen beantworten wie wir Kinder entspannter aufwachsen lassen Wie man eine gerechte Stadt baut deren Räume wirklich offen für alle sind Sie muss dazu einladen an der Weiterentwicklung der Stadt auf vielen Ebenen mitzuwirken Trostlosigkeit und steigende Preise sind kein Schicksal sondern das Ergebnis falscher Politik und die kann kritisiert und geändert werden Bo denspekulation zum Beispiel sollte durch höhere Besteue rung unattraktiv werden Denn Boden ist eine nicht ver mehrbare Ressource deren Nutzung über Lebensentwürfe entscheidet Wohnen ist ein Grundrecht Deshalb muss der Staat reagieren er muss baubürokratische Hürden abschaf fen und die Grundlagen dafür schaffen das Bauen nicht nur als Milliardengeschäft sondern als Tätigkeit zum Wohl der Bevölkerung zu betreiben Archi tektur ist ihrem Wesen nach optimistisch sie schafft im besten Fall einen gebauten Rahmen in dem neue Dinge möglich werden und kann zu einem anderen Leben ermutigen das man sich vorher kaum vorstellen konnte Selten gab es so viele kluge interessante junge Archi tektinnen und Architekten die Ideen für neue Formen des Zusammenle bens haben Wenn man sie lässt muss man sich um die Zukunft der Stadt keine Sorgen machen In Frankreich füllen sich kleine Dörfer im Süden mit Menschen die in Paris arbeiten ihre Kinder aber im Grünen aufwachsen lassen wollen Zukunftswelten Zuletzt verarbeitete Maak seine Gedan ken in Romanform Technophoria erzählt vom Leben und Wohnen im digitalen Morgen Hanser 23 Der Journalist und Autor Niklas Maak leitet das Architekturressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Er unterrichtete Architektur in Harvard und ist zurzeit Gastprofessor für freie Kunst und Architektur an der Frankfurter Städelschule Zudem ver öffentlichte er mehrere Sachbücher zum Thema unter anderen Wohnkomplex Warum wir neue Häuser brauchen Hanser 48 dbmobil de 046 Essay indd 48 08 02 22 10 59

Vorschau DB mobil 03-2022 Seite 48
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