Text Niklas Maak Illustration Rami Niemi A uf den ersten Blick sieht alles aus wie immer wenn man von den Masken einmal absieht Men schen in deutschen Metropolen gehen zur Arbeit bringen ihre Kinder zur Schule kaufen ein tref fen sich in Restaurants Kaum etwas deutet darauf hin dass sich die Stadt in der größten Krise seit Beginn der Moderne befindet Aber wer genauer hinschaut sieht die Verände rung Läden und Einkaufszentren stehen leer weil Men schen online bestellen Und nicht nur die Fußgängerzonen liegen brach In den großen Städten werden zwar weiter Bü rotürme gebaut aber viele können nicht mehr vermietet werden Dass die Arbeit von zu Hause aus oft gut funktio niert wird diese Tendenz noch beschleunigen Nur Was wird aus der Stadt wenn sich das was dort seit Jahrtausenden stattfindet Arbeit und Handel Einkauf und Informationsaustausch immer mehr in den virtuel len Raum und nach Hause verlagert Was wird aus dem was wir öffentlichen Raum nennen Eines ist schon jetzt klar Das eigene Zuhause ist wichtiger denn je gute be zahlbare Wohnungen sind aber bereits heute Mangelware Die Stadt und unsere Architektur waren schon vor Corona in der Krise die Pandemie macht ihre Probleme nur noch deutlicher sichtbar Die Politik und die Bauindustrie ste hen derweil vor einem Paradox Es wird viel und schnell gebaut werden müssen um die Wohnungsnot abzumil dern Gleichzeitig sollte wegen des Klimawandels so we nig wie möglich gebaut werden schließlich entstehen rund 40 Prozent aller ausgestoßenen Treibhausgase vor allem CO2 beim Bauen und Betrieb von Gebäuden Die Zukunft der Stadt hängt also vor allem an der Frage Wie kann ein gutes Leben aussehen ohne dass es den Planeten gefährdet Thesen zu einer prosperierenden Stadt der Zukunft UNSERE HÄUSER MÜSSEN ÖKOLOGISCHER WERDEN Die Frage wie wir unsere Städte weiter und umbauen ist eng verknüpft mit der Klimafrage Die Bauindustrie er füllt die Forderungen der Politik nach schnell zu errich tendem billigem Wohnraum mit einer trostlosen Fertigs uppen Aufgießarchitektur Massenhaft wurden weiß getünchte Kisten mit flachen Decken hochgezogen statt Die deutsche Stadt steckt tief in der Krise Ladenlokale und Büros stehen zunehmend leer während bezahlbarer Wohnraum fehlt Aus diesem Span nungsfeld aber erwachsen Chancen Architekturkritiker und Autor Niklas Maak formuliert in DB MOBIL seine Thesen zur Zukunft des urbanen Raums Holzbauten oder solide gemauerten zweischaligen Wän den die Jahrhunderte halten können wird billiger Dämm putz verbaut der oft nach zehn Jahren abbröselt oder feucht wird Das Dämmmaterial besteht aus ökologisch desaströsen Schwerölprodukten Dabei entstehen anders wo wegweisende Alternativen In Frankreich dämmt man alte Plattenbauten unter anderem mit verglasten Winter gärten als Vorbau So werden die Wohnungen gleichzeitig größer und heller Das Fraunhofer Institut entwickelt auf der Basis von Pilzen Dämmmaterialien und Baustoffe die sich als Ersatz für Styropor oder sogar für Sperrholz eig nen Noch fehlt der politische Druck solche Materialien auch zum Einsatz zu bringen Immerhin entstehen bereits mehr Neubauten aus Holz Begrünt man zudem Flachdä cher und Fassaden neuer Häuser spart das nicht nur Ener gie sondern es entsteht auch ein Garten mitten in der Stadt Wenn man ein Fünftel jeder Gebäudeseite bepflan zen würde könnte man Überhitzungseffekte ausgleichen Denn schon jetzt ist es in Hochhausstädten mit wenig Grün im Sommer zehn Grad wärmer als im Umland Aber auch grüne Holzhäuser müssen ab einer bestimmten Höhe mit Beton und Stahl verstärkt werden wirklich grü ne CO2 neutrale Alternativen zu entwickeln erfordert eine Umstellung der gesamten Bauindustrie die schon bei der Herstellung der Materialien anfangen muss WIR BRAUCHEN RAUM FÜR NEUE LEBENSMODELLE Noch wird also falsch gebaut und dazu immer dasselbe Das ist nicht nur ein ökologisches sondern auch ein sozi ales Problem Architektur kann zu neuen Lebensformen ermutigen oder diese verunmöglichen Und derzeit gibt es zwei Wohnformen für Singles oder Kleinfamilien Wo aber sind die Wohnungen in denen acht 80 Jährige zu sammenleben könnten Oder solche in denen drei Al leinerziehende und ein Paar zusammenwohnen sich bei der Kinderbetreuung helfen kochen und feiern Jahrtau sende lang war das Zusammenleben von zehn Menschen in einem Haushalt die Regel Erst die Indus trialisierung trieb die Gesellschaft dazu sich in Klein familien neu zu sortieren in denen die Frau sich darauf zu beschränken hatte den Familienvater und Fabrik arbeiter arbeits RETTET DIE STADT 4703 2022 046 Essay indd 47 08 02 22 10 59

Vorschau DB mobil 03-2022 Seite 47
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