d b m o b i l d e R E I S E An einem Vormittag im Spätherbst sitzt ein Mädchen mit roten Locken im Morgenkreis des Kindergartens und versteht die Welt nicht mehr Es spürt weder die Kühle des Laminatbodens noch die neugierigen Blicke der anderen Kinder es schaut aus dem Fenster Drau ßen fallen dicke Schneeflocken Die Fünfjährige kennt nur einen Gedanken hinaus toben Sie blickt die Er zieherin an Madlaina die freundlich lächelt Doch die Skihosen bleiben in der Garderobe Madlaina eröffnet die Vorstellungsrunde Das Mädchen bin ich Der Tag ist mehr als 20 Jahre her mein erster im Kindergarten von St Moritz Schweizer Kanton Graubünden zweimaliger Austra gungsort der Olympischen Winterspiele einer der be rühmtesten teuersten exklusivsten Kurorte der Welt Für mich war es an jenem Herbstmorgen nur ein Ort an dem Kinder und Erzieher innen nicht zu begreifen schienen wofür Schnee da ist Zum Sich Reinwerfen nämlich schleunigst bevor er geschmolzen ist Schnell lernte ich Schnee ist hier auf 1800 Metern so normal wie das Läuten der Kirchenglocken Die Berge und Gipfel die Hotels und Juweliere das sind die Kulissen meiner Kindheit Wenn ich erzähle dass ich aus St Moritz stamme tasten mich prüfende Bli cke nach Vermögen ab Doch ich bin nicht reich wenngleich im Reichtum aufgewachsen Ich will das mit einer Szene verdeutlichen Stellen Sie sich eine Art Schloss vor das auf halber Höhe eines verschneiten Hangs steht das Suvretta House ein his torisches Fünfsternehotel im Ort Dort arbeitete mei ne Mutter sie betreute die Kinder der Gäste viele von ihnen kamen aus Spanien Großbritannien und Italien Ich liebte die mit rotem Teppich belegten Hotelflure Überall hingen Gemälde der Engadiner Bergland schaft und goldgerahmte Spiegel auf Beistelltischen mit geschwungenen Beinen standen Blumenbouquets Die Direktorin eine groß gewachsene Frau mit stren gem Blick um die 50 erlaubte mir im hoteleigenen Kinderbereich meine freien Nachmittage zu verbrin gen Dieser Raum im Erdgeschoss des Gebäudes maß mit etwa 40 Quadratmetern kaum mehr als ein Dop pelzimmer Superior mit Seeblick ab 850 Franken in der Wintersaison darin standen Stühlchen an qua dratischen Tischen und Holzkisten voller Spielzeug Die Fenster gaben den Blick auf die verschneiten Berge frei aber Sofia und ich konzentrierten uns auf Papier Watte und Buntstifte Ich sprach deutsch sie spanisch wir zeigten und gestikulierten viel Sofia war ein dünnes Mädchen mit langen braunen Haaren ihr Skiunterricht war wegen schlechten Wet ters ausgefallen Unter Anleitung meiner Mutter bas telten wir ein Miniatur St Moritz Als ihr Vater kam um sie zum Abendessen abzuholen bestaunte er unser Werk und lobte so ein schönes Modell habe er selten gesehen Jahre später erzählte mir meine Mutter dass es sich bei dem Gast um den Architekten Santiago Ca latrava handelte Er entwarf unter anderem den neuen Bahnhof des World Trade Center in New York Es war nicht so dass meine Mutter es auf eine exklu sive Wohnumgebung abgesehen hatte Bevor wir zu dritt in die Schweiz zogen lebte sie mit mir und mei nem Vater im baden württembergischen Rheinfelden Damals litt ich immer wieder unter akuter Bronchitis Der Kinderarzt riet Höhenluft würde mir guttun Meine Mutter wollte wieder ins Berufsleben einstei gen und entdeckte ein Angebot aus dem Alpenkurort St Moritz Mit dem Zug reiste sie zu einem Bewer bungsgespräch ins Suvretta House kehrte während eines Herbstschauers heim und strahlte Sie schwärm te von diesem malerischen Ort mit seiner klaren Luft und dem strahlenden Sonnenschein Wenn man so will folgten wir dem guten alten Ruf des Bergdorfs St Moritz der schon lange vor Schicke ria und Champagner Pferderennen und Nobelbouti quen bestand Seine Mauritius Heilquelle zieht seit Jahrhunderten Pilger innen an Mir schmeckt das um sonst abfüllbare Wasser bis heute nicht Wegen des hohen Eisengehalts hat es eine metallische Note Ein bisschen so als wenn man sich auf die Lippe gebissen hat und das Blut auf der Zunge schmeckt Gegen Ende der Wintersaison wurde es ruhiger im Hotel Ich erinnere mich an einen sonnigen Märztag an dem die Direktorin in den Kindergarten marschiert kam Schmunzelnd bat sie uns für ein kleines Foto shooting für die neue Website des Hauses zu posieren Eine halbe Stunde später saß ich im Badeanzug mit meiner Mutter und ein paar ihrer Arbeitskolleg innen im Whirlpool auf der Winterterrasse des Hotels Um uns herum nichts als schneebedeckte Tannen und ein Blick ins Tal wo kleine Spielzeughäuser um die zuge frorenen Seen aufgestellt waren aus ihren Schornstei nen stieg hellgrauer Rauch auf Über uns kreiste ein Helikopter aus dem jemand Fotos machte Erstaunlicherweise hatten meine Schulfreund innen und ich selten das Gefühl in zwei unvereinbaren Wel ten zu leben Der Alltag das Dorfleben unsere Eltern häuser und unser Unterricht waren wenig glamourös Unsere Autorin wuchs in St Moritz auf dem Schweizer Nobelskiort Das große Geld hatten dort immer die anderen Welches Preisschild hängt an echtem Glück A 3 4 032 St Moritz indd 34 11 01 22 08 45

Vorschau DB mobil 02-2022 Seite 34
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