d b m o b i l d e G E S E L L S C H A F T Einmal war ich in eine Zwischenwelt ein geladen Es war ein ziemlich trüber Sonn tag im Herbst 2017 als ich mit einem Schlafsack in der Hand und Glitzer auf den Wangen in einer ehemaligen Fabrikhalle in Leipzig stand und nach einem möglichst gemütlichen Platz auf dem Fußboden suchte Gegen zwölf Uhr legte ein DJ elek tronische Ambient Musik auf die ersten Partygäste verteilten sich auf Teppichen Couches und Matratzen Eine Schlafparty schien mir damals ein ganz wunderbares Konzept zu sein gleichzeitig feiern UND entspannen Während den anderen all mählich die Gesichtszüge entglitten und es immer ruhiger um mich herum wurde fühlte ich mich immer wacher und fragte mich Wie schaffen das andere in der Öf fentlichkeit so selig zu schlafen Inemuri nennen das die Japaner innen schlafen während man offiziell etwas an deres tut Sie können an öffentlichen Or ten wie dem Arbeitsplatz an der Bushalte stelle oder in der S Bahn offenbar den Kopf nach hinten kippen die Arme verschrän ken tiefenentspannt schnaufen und plötzlich knallwach wieder am Gespräch teilnehmen Die Japanologin Brigitte Ste ger schreibt in ihrem Buch über Inemuri dass es durchaus Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Umgebung braucht sich in der Öffentlichkeit so hilflos und angreif bar zu zeigen Japan habe eine niedrige Kriminalitätsrate weswegen die Gefahr gering sei während eines Schläfchens überwältigt oder ausgeraubt zu werden Trotzdem sei Inemuri eher unter Männern und dort auch eher unter älteren Respekts personen verbreitet die den Kontrollver lust weniger fürchten Um öffentlich zu halbschlafen braucht es also ein gewisses Grundvertrauen in die Umgebung dass mir währenddessen nichts entgeht oder gar passiert Und der oder die Deutsche Haben die zu viel Angst vor Kontroll oder Gesichtsverlust um sich öffentlich schla fen zu legen Oder warum sieht man hier so wenig Personen beim schamlosen Ni ckerchen Zunächst einmal ist Schlafen insgesamt nicht mehr so angesagt in unserer Hoch leistungsgesellschaft Laut Schlafatlas schätzen die Deutschen ihre Schlafdauer auf durchschnittlich 6 54 Stunden Vor etwa hundert Jahren sollen es noch ent spannte neun Stunden gewesen sein Aber im dichten Gedränge gegenwärtiger Erfor derlichkeiten bleibt für ausgedehnten Schlaf offenbar weniger Zeit Bei einer Be fragung von 3000 Deutschen durch das Statistische Bundesamt gaben etwas weni ger als die Hälfte an dass sie mindestens einmal im Monat einen Mittagsschlaf ma chen Vielleicht haben wir es einfach ver lernt zur Ruhe zu kommen Ich persönlich schlafe laut meiner Ge sundheits App auf dem Smartphone durchschnittlich fünf Stunden und sechs Minuten Mittagsschlaf mache ich nie Ni ckerchen in der Öffentlichkeit schon gar nicht Natürlich weiß ich dass Schlaf ge sund für Körper und Geist ist aber irgend etwas in mir will nicht abschalten Wer schläft liebt nicht Und wer liebt schläft nicht sagt der Titelheld im Roman Schlafes Bruder Leider stirbt er am Ende So gut scheint die Strategie langfris tig nicht zu sein Kann also auch ein noto rischer Nicht Schnarchsack wie ich lernen überall und ständig zu schlafen Ich recherchiere zunächst meinen ange borenen Chronotyp also nach welchen Rhythmen mein Körper eigentlich funk tioniert Dass Menschen mehrere Schlaf phasen durchlaufen haben Wissenschaft ler im sogenannten Schlafbunker in Andechs bei München erforscht Im Laufe von 25 Jahren begaben sich 447 Versuchs personen dort hinein um abgeschottet von Tageszeit und Tageslicht ihren Rhyth mus zu ergründen Dabei zeigte sich dass unsere innere Uhr meist nach zwei Schlaf phasen verlangt mittags und nachts Auf der Seite des Leibniz Instituts für Arbeits forschung an der TU Dortmund finde ich einen einfachen Test den Munich Chrono type Questionnaire der mich nach mei nem Schlafverhalten befragt Wann werde ich müde Und wann würde ich gern geis tig oder körperlich arbeiten In einem Spek trum zwischen Definitiver Morgen typ Lerche und Definitiver Abendtyp Eule bin ich der neutrale Typ Meine Hochs und Tiefs sind nicht besonders früh oder spät angesiedelt sondern eher mit tendrin Ich beobachte also meine Aktivi tätskurve Als erstes Tief identifiziere ich das zwischen zwölf und 14 Uhr später er wischt mich noch ein Nachmittagstief zwi schen 16 und 18 Uhr Etwa ab null Uhr be ginnt mein Nachttief In diesen Tiefpunkten beginne ich mit meiner Recherche zunächst zu Übungs zwecken allerdings im Homeoffice auf der Couch Folgt man Power Napping Ratge bern sollte das richtige Schläfchen zwi schen 15 und 30 Minuten lang sein Wer länger als 40 Minuten schläft kommt da nach nicht mehr hoch Um auch wirklich wieder aufzuwachen stelle ich mir den We cker Andere trinken angeblich vorher zum Beispiel einen Kaffee dessen Koffein erst nach 20 Minuten wirkt oder halten einen Schlüsselbund in der Hand der ihnen beim völligen Wegnicken aus der Hand fällt und klirrend das Wecksignal sendet Das kleine Nickerchen klappt bei mir wie erwartet zu nächst überhaupt nicht Statt in ein dunk les Nichts zu sinken verliere ich mich in Jobgedanken Hoffentlich erwischt mich jetzt nicht die Mittagsfrau denke ich im unruhigen Pseudoschlaf In sorbischen Inemuri nennen die Japaner innen das Schlafen während man offiziell etwas anderes tut Dafür braucht es Grundvertrauen in die Umgebung E 6 0 052 Schlafen offen indd 60 13 12 21 08 48

Vorschau DB mobil 01-2021 Seite 60
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