DAS LITERARISCHE FUNDSTÜCK FOLGE 26 I L L U S T R A T I O N A N J E J A G E R R E D A K T I O N F R E D E R I C L Ö B N I T Z W WAS MAN NICHT IM KOPF HAT Täglich landen rund 700 verlorene Dinge bei den Fundstellen der Deutschen Bahn Wir bitten in jeder Ausgabe Schriftsteller innen sich eines davon auszusuchen und uns dessen fiktive Geschichte zu erzählen Diesmal THOMAS MEYER über eine BEINPROTHESE Während der Ausbildung hatte man sie ge nau darauf vorbereitet Man hatte ihnen gesagt Ihr müsst absolut neutral sein Die Menschen die ihr unterstützen werdet ha ben alle möglichen religiösen spirituellen kulturellen und politischen Überzeugun gen Eure Aufgabe besteht darin ihnen das Leben zu erleichtern ungeachtet ihres Charakters Gerda hatte sich keine weiteren Gedan ken dazu gemacht Sie war sicher dass das Schicksal sie mit einem Menschen zusam menführen würde mit dem sie sich ver steht Das war ihre religiöse und spirituelle Überzeugung Sie glaubte an eine unsicht bare ordnende Kraft die Passendes zusam menfügt und Unpassendes trennt Außer dem hielt sie sich für tolerant und weltoffen und somit für fähig auch über größere Wesensunterschiede eine Brücke schlagen zu können Als es dann so weit war nach einem Auto unfall bei dem ein Mann ein Bein verloren hatte freute sich Gerda endlich zum Ein satz zu kommen Monatelang hatte sie im Krankenhaus in einem dunklen Raum dar auf gewartet während links und rechts von ihr Kolleginnen aus dem Regal gezo gen worden waren solche für Füße solche für Amputationen über dem Knie solche für Hände und Arme und endlich auch sie Gerda die Unterschenkelprothese Während sie von einer jungen Orthopä din durch den Korridor getragen wurde sah sie sich bereits auf sonnigen Pfaden wandeln eng verbunden mit einer her zensguten Kinderärztin vielleicht oder ei nem linksliberalen Staatsmann alter Schu le Menschen denen sie mit Freuden helfen würde Leider war ihr Patient ein unmöglicher Kerl Mitte 50 misslaunig und hochgradig fremden und frauenfeindlich was irgend wie alles zusammenzugehören schien als 4 8 d b m o b i l d e 048 Literarisches Fundstueck indd 48 13 12 21 08 46

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