Ein Klotz erfindet sich neu

Kaufhäuser erinnern vielerorts an Wirtschaftswunderzeiten. Doch spätestens mit dem Boom des Onlineshoppings wurden sie zu leerstehenden Fremdkörpern. Wir stellen Ihnen fünf Warenhäuser vor, denen neues Leben eingehaucht wurde.

Von:
Lesezeit: 6 Minuten
RLT Neuss / Simon Hagenberg

Sie kennen die Giganten der Fußgängerzone, diese unförmigen, riesigen Immobilienkästen. Beinahe wie Ufos wirken die alten Warenhäuser. Auf Augenhöhe das verglaste Erdgeschoss, hinter den Fenstern Leere. Darüber ein fensterloser Klotz. Früher waren die großen Kaufhäuser in Deutschland Dreh- und Angelpunkte des Einkaufslebens. Viele erinnern sich an den Familienausflug am Samstag, erst gab es neue Schuhe und danach eine Currywurst oder ein Eis. Auf der Rolltreppe fuhren Kund:innen munter durch den Erlebnisort im Zentrum der Stadt. Geld ausgeben als Event.

Seit des Aufkommens von Onlineshopping ist der Glanz der Warenhäuser zusehends verblasst. Heute muss man nicht durch Gänge irren und Rolltreppen hoch- und runterfahren, um etwas zu finden, heute ist alles bloß einen Klick von uns entfernt. Zurück blieben dutzende leere Filialen, tausende Quadratmeter ungenutzter Raum. Platz ohne Ende - was stellt man damit an?

DB mobil stellt fünf ehemalige Kaufhäuser vor, die eine zweite Chance bekommen haben.

RLT Neuss / Simon Hagenberg

Neuss: Hört, hört! Das Landestheater im alten Horten

Ein Rückblick in das Jahr 1962: Der Oberbürgermeister von Neuss schüttelt freudig allen Wichtigen der Stadt die Hände. Dann wird dem neuen Geschäftsleiter des Horten Kaufhauses feierlich der Schlüssel überreicht. Scharen von Anwohner:innen sind in die Innenstadt geströmt, um das Spektakel nicht zu verpassen. Fast 40 Jahre später war die Aufregung völlig verpufft: 1999 machte das Kaufhaus dicht. Überrascht hat das niemanden und deshalb hat die Stadt sich vorbereitet: Bereits ein Jahr vor der Schließung wurde die Umnutzung beschlossen. Zum ersten Mal in Deutschland wird ein altes Kaufhaus kernsaniert, zu einem modernen, hellen Gebäude mit charakteristischer Rundung. Neben der Kreisverwaltung der Stadt und einem Kino im Obergeschoss zieht das Rheinische Landestheater ins Haus. Bei der Neueröffnung bringt es Shakespeare auf die Bretter. Seitdem bespielt das Ensemble einen großen Saal, eine Studiobühne und das Foyer mit Aussicht auf die Stadt.

Rendsburg: Das Pflegeheim mit Säule im Zimmer

Das leere Hertie Kaufhaus in Rendsburg, westlich von Kiel, soll weg. Seit der Schließung 2009 verwahrlost das Gebäude, der Kurs steht auf Abriss. Unverhofft kauft es dann ein Investor. Architekt Werner Schaffer wird beauftragt, ein Pflegeheim für Senior:innen daraus zu machen. Der Großteil des ursprünglichen Hauses darf stehen bleiben. Tragsäulen, die durch die geplanten Zimmer ragen, werden einfach in die Raumgestaltung integriert. Einige Bewohner:innen erinnern sich: Dort wo jetzt ihr Bett steht, haben sie früher gern eingekauft.
In anderen Städten gilt Abriss und Neubau von vermeintlich nutzlos gewordenen Häusern immer noch als plausible Option. Jes Hansen vom Architekturbüro Schaffer dagegen würde immer dazu raten, die Gebäude zu retten: „So viel Energie zu verschwenden, die bereits in einem perfekt nutzbaren Bauwerk steckt“, das passe für ihn nicht mehr in die heutige Zeit. Auch für die Stadtgeschichte bedeuten die Kaufhäuser immer noch viel. Hansen findet sie deswegen „in jedem Fall erhaltenswert.“

IMAGO / CHROMORANGE

Hamburg: Kunst im Karstadt

Nicht immer gibt es sofort eine langfristige Lösung für ein leeres Gebäude. Im Oktober 2020 schloss der Karstadt Sports in der Hamburger Innenstadt. Ab Juni 2022 bis zum Jahresende wird der Raum für Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt. Das einstige Kaufhaus wandelte sich zu einer Wundertüte auf fünf Etagen: Vernissagen, Kunst Workshops mit DJ; regelmäßig flitzen und tanzen Besucher:innen bei der Rollerskate Disco durch das Erdgeschoss. Das Projekt wurde initiiert von der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Mit ihrem Programm „Frei_Fläche“ vermitteln sie leere Räume an Kreative, die den Platz zur Zwischennutzung mit ihren Ideen bespielen wollen. Jede:r der eine freie Einzelhandelsfläche zu bieten hat kann sich bewerben, die Kreativ Gesellschaft sucht dann nach dem passenden Konzept. Bis ein Plan für die Zukunft des Kaufhauses entsteht, verkommt es so nicht zu einem Symbol der Tristesse. Stattdessen bereitet es auf Zeit ein Zuhause für Begegnung, Kollaboration und ungewöhnliche Projekte.

Landesamt für Archäologie Sachsen / Laszlo Farkas

Chemnitz: Das Museum mit 70 Jahren Kaufhausgeschichte

Die Kaufhauskette der Brüder Schocken war am Anfang des 20. Jahrhunderts eine richtige Institution. Die besonders prachtvolle Filiale in Chemnitz öffnete 1930 ihre Türen. Das tortenstückförmige Gebäude mit leuchtenden Fensterreihen, entworfen von Erich Mendelsohn, war ein Hingucker. Nach der Enteignung der Familie in der NS-Zeit versuchten sich verschiedene Kaufhausketten vor Ort, 2001 war dann endgültig Feierabend für den Einzelhandel im historischen Bau. Zehn Jahre lang blieb das Gebäude leer. Bis 2010 die Sanierung begann. Heute findet das Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz, kurz smac, im Schockenhaus seine neue Heimat. Jutta Boehme, die Pressesprecherin des Museums, erzählt, dass beim Umbau besonders viel Wert auf die Geschichte des Hauses gelegt worden sei. Die historische Natursteinfassade und der „Schocken“ Schriftzug über dem Eingang wurden erneuert und strahlen wieder. Im Museum gibt es auch eine Ausstellung zur Vergangenheit des Kaufhauses.
„Das ist ein tolles Alleinstellungsmerkmal, was wir hier haben“, findet Jutta Boehme.

Lünen: Sonnenschein für die Wohnungen im Hertie-Haus

Auch die Mitte der Stadt Lünen, im Norden Dortmunds, nahm der klassische Kastenbau des ehemaligen Hertie Kaufhauses für sich ein. Für die weitläufigen Verkaufsflächen, auf denen sich die Waren stapelten, ist so ein Kubus perfekt. Für alles andere ist die Struktur denkbar ungeeignet. 2013 begann die grundlegende Erneuerung des Gebäudes. Im Erdgeschoss zog die Volksbank ein, daneben duftet nun frisches Brot im Bäckerei-Café. In der ersten Etage sind Arztpraxen. Das entkernte Kaufhausskelett für die komplizierten Anforderungen der medizinischen Geräte einzurichten, war dabei besonders schwierig. In den oberen Etagen sind Wohnungen entstanden. Die Lage in der Innenstadt ist ideal, das Problem: Es war duster im alten Hertie-Haus. Doch das Bauteams hatte auch hierfür eine Lösung: Sie schnitzten aus dem Gebäude einen großen Teil heraus. Das klingt filigran, ist aber ein rabiater Vorgang: Mit einem Aufsatz, der sich „Pulverisierer“ nennt, rupfen die Bagger den Beton auseinander. Zwischen den Wohnungen verläuft jetzt eine begrünte Schneise. Das Tageslicht strahlt hindurch, hier lässt es sich leben.

Die leeren Kaufhaus-Giganten müssen nicht vor sich hin rotten. Umbauen ist ein Risiko – aber es kann sich lohnen. Das Kaufhausproblem fordert die die Städte auf jeden Fall heraus, sich Gedanken zu machen: Wie sieht die Zukunft des Zusammenlebens bei uns aus? Was für ein Stadtzentrum wünschen wir uns? Die leer gefegten Etagen warten nur darauf, mit kreativen Ideen gefüllt zu werden.

Schreiben Sie uns!

Der Artikel hat Ihnen gefallen, Sie haben eine Frage an die Autorin/den Autor, Kritik oder eine Idee, worüber wir einmal berichten sollten? Wir freuen uns über Ihre Nachricht.